Design Professor: «Touchscreens gehören nicht ins Auto oder in die Küche»
Hintergrund

Design Professor: «Touchscreens gehören nicht ins Auto oder in die Küche»

Form follows function? Nicht bei Touchscreenbedienungen in der Küche. Weshalb werden diese trotzdem überall verbaut? Der Experte klärt auf.

Selten habe ich auf einen Meinungsartikel so viel Zuspruch erhalten, wie auf meinen Beitrag zu Touchscreens in der Küche. Ihr habt den Berührungsanzeigenwahn auch an anderen Stellen hinterfragt. Im Auto zum Beispiel.

  • Meinung

    Küchengeräte mit Touchbedienung treiben mich in den Wahnsinn

    von Simon Balissat

Wo früher einzelne Dreh- und Druckknöpfe waren, sitzt heute oft ein Touchscreen. In der Küche, im Auto, an der Kaffeemaschine oder an der Türklingel. Wirklich sinnvoll seien die Touchscreens selten, sagt Sebastian Stroschein, Professor für Industrial Design und Interface Design am «Institut Zeitgemässe Design Praxis» der Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW in Basel. Er selbst hat ein Büro für Produktdesign in Berlin.

Weiss, von was er spricht: Sebastian Stroschein
Weiss, von was er spricht: Sebastian Stroschein

Faktor Preis

«Tatsächlich funktionieren diese Touchscreens nicht zuverlässig, zum Beispiel wenn sie nass sind. Trotzdem entscheiden sich die Hersteller dafür, weil es viel günstiger ist, solche digitalen Kochfelder zu bauen als solche mit Knopf.» Immer neue Bildschirmtechnologien mit noch höherer Auflösung und satteren Farben lassen die Preise von älteren Displays und Technologien purzeln. Für Herd oder Ofen braucht es sowieso nicht die neusten Retina OLED Displays, weshalb sich die Hersteller quasi im Ausverkauf Displays sichern können. Die dann sinnvoll einzusetzen, ist die grössere Herausforderung.

Modernität vorgaukeln

Kosten alleine können den Erfolg der Touchscreens nicht erklären. Schliesslich funktionieren auch die teuersten Herdplatten und Backöfen mittels Streicheleinheiten und haben keine Drehregler mehr. Das Bedürfnis erklärt Stroschein mit dem Wunsch, ein modernes Zuhause zu haben. «Biete ich in einem Neubau eine Wohnung zur Miete oder zum Verkauf an und ich habe da einen Herd drin, der alt aussieht, dann muss ich mich rechtfertigen. Schnell kommt die Frage auf, ob die Wohnung wirklich auf dem neusten Stand ist.» Glatte Oberflächen, möglichst keine hervorstehenden Elemente. Was für die Küche gilt, hat auch das Auto schon längst erreicht. Minimalistisch, ohne Ecken, Kanten und vor allem Knöpfe. Dem Designer schmerzt das Herz. «Wenn alles nur noch aus eckigen Bildschirmen besteht, können wir als Designer nichts mehr zum Produkt beitragen», so Stroschein. Er sieht aber kein Ende des Trends in den nächsten paar Jahren. Zu festgefahren sind die Hersteller auf das Konzept, zu fest hat sich die Touchbedienung etabliert.

Gruppendynamik

Auch der klassische Gruppendruck trägt seinen Teil zum Touchscreen Hype bei. Verkauft die Konkurrenz plötzlich nur noch Geräte mit Berührungsanzeige, willst du auch ein Stück des Kuchens. Und zwar schnell, weil der Zug sonst schon abgefahren ist. Das erklärt auch, weshalb die Touchbedienung teilweise nicht zu Ende gedacht ist. «Ich kann nicht monatelang testen, weil sonst schon die nächste Technologie auf den Markt kommt. Als Designer arbeiten wir oft an Produkten, die erst in ein paar Jahren erscheinen», sagt Sebastian Stroschein. Die Mühlen mahlen langsam. «Wenigstens besteht in Zukunft die Möglichkeit, die Software immer zu aktualisieren und gewisse Fehler so zu beheben». Tesla macht das vor, auch Küchengeräte dürften bald alle mit dem Internet verbunden sein.

Wo Touchscreens sinnvoll sind

Den Touchscreen ganz verteufeln will der Designprofessor auf keinen Fall. Bei Kaffeevollautomaten zum Beispiel seien Touchscreens sehr sinnvoll: «Jura hat vor ein paar Jahren ein Display ohne Touch verbaut. Das wollten alle immer berühren, da wir uns heute Touchscreens gewöhnt sind.» Dort machen Touchscreens Sinn, da direkt auf einen Blick erkennbar ist, wo sich Espresso, Cappuccino oder Lungo befinden. Dasselbe gilt für den Designer bei Waschmaschinen: «Der grosse Knopf zum Wählen des Programms ist eigentlich wahnsinnig umständlich. Ich brauche ja sowieso bloss drei bis vier Funktionen bei der Waschmaschine. Wenn ich mir die einfach auf einen Touchscreen programmieren kann, dann spare ich viel Zeit.» Auch Touchscreens in der Küche oder im Auto will Stroschein nicht ganz abschreiben, da neue Erfindungen und neue Technik diese in Zukunft brauchbar machen könnten. Induktionsherde mit Touchbedienung sind platzsparend, was sie für kleine Küchen attraktiv macht. «Da könnte zum Beispiel ein Scharnier an der Platte sein. Brauche ich sie nicht, klappe ich sie einfach hoch und habe Arbeitsfläche», fantasiert der Designer.

Zukunft der Küche

In der Küche geht der Trend immer mehr zum vereinfachten Ablauf, wo Touchscreens gleich die Rezepte anzeigen und halbautomatisch dämpfen, kochen und garen. «Eine Rückkehr des Drehknopfs ist denkbar, wohl aber nicht in der alten Form.» Eine Mehrfachbedienung, wie sie in Autos seit zwanzig Jahren schon gang und gäbe ist, sei denkbar. In sehr hochwertigen Küchen könnten sogar «echte Materialien» wie Edelstahl wieder für Drehknöpfe zum Einsatz kommen. Heute sei halt vieles Fake, sagt Stroschein: «Gaggenau imitiert seit Jahren Edelstahl mit bedampften Oberflächen auf Kunststoff. Die Folge ist, dass diese Regler innerhalb kurzer Zeit durch Fett und Reinigungsmittel unansehnlich werden.» Dann doch lieber einen einfach zu reinigenden Touchscreen.

Total unbrauchbar sind die Touchscreens also nicht. Es ist eher ein Problem von Quantität und Qualität. Sebastian Stroschein plädiert deshalb für den überlegten Einsatz von Touchscreens da, wo sie Sinn ergeben: «Dieser Trend, in jedes Produkt einen Screen einzusetzen, ist absurd. Es gibt Rasierer mit Screens und Zahnbürsten mit Apps. Das nimmt schon sonderbare Formen an!»

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Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell. 


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