Entscheidungen treffen: Warum die Intuition der bessere Kompass sein kann
Hintergrund

Entscheidungen treffen: Warum die Intuition der bessere Kompass sein kann

Liebst du die reine Vernunft? Und hälst Bauchgefühl für Unsinn? In der Wirtschaftswelt ist das anders: Dort entscheiden viele Führungskräfte nach ihrer inneren Stimme.

Bauchgefühl. Innere Stimme. Geistesblitz. Gefühltes Wissen. Ein Ahnen. Ein Spüren. Begriffe wie diese versuchen zu umschreiben, was selbst die Forschung, von Neurowissenschaft über Psychologie bis hin zur Philosophie, bis heute nicht einheitlich definieren kann: Intuition.

Eher lässt sich umschreiben, wie Intuition ist: Schnell. Unbewusst. Sie fällt uns leicht. Jeder verlässt sich im Alltag ständig auf sie – anders wären die x-tausend menschlichen Entscheidungen pro Tag nicht zu handhaben.

Auf Intuition als Impulsgeber und Wegweiser setzten und setzen Kreative und Forschende besonders gern: «Überall geht ein frühes Ahnen dem späteren Wissen voraus», meinte der Forschungsreisende Alexander von Humboldt. Ähnlich die Kerbe, in die Albert Einstein schlug: «Ich glaube an Intuitionen und Inspirationen. Manchmal fühle ich, im Recht zu sein. Ich weiß nicht, ob ich es bin.» Intuition, das ist offenbar eine Art «gefühltes» Wissen. Einstein war es übrigens auch, der die Intuition als «heiliges Geschenk» bezeichnete und die Ratio als «treuen Diener» – und dass die Gesellschaft nur den Diener ehren würde, wohingegen sie das Geschenk «vergessen hat.»

Hand aufs Herz: Hältst nicht auch du deinen Verstand für etwas Besseres? Und schaust auf das zweitklassige Gefühl herab, das dir wie aus dem Nichts heraus Hinweise gibt, wie du entscheiden solltest? Bis heute haftet dem Bauchgefühl etwas Negatives an, manche verorten es gar im Reich von Spiritualität und Esoterik. Logisch ist ihm ja nicht beizukommen: die Gründe für die unbewusste Intelligenz? Unergründlich. Irgendwo aus den Tiefen des menschlichen Hirns entspringen sie.

Die Intuition kann auch irren

Fairerweise muss man sagen: Tatsächlich sollte man der Intuition nicht immer über den Weg trauen. In einem vielfach wiederholten Experiment, dem berühmten «Schläger-und-Ball-Problem», lautet die Frage: Wenn ein Ball und ein Schläger zusammen 1,10 Dollar kosten und der Schläger kostet 1 Dollar mehr als der Ball. Was kostet der Ball?

Der Ball koste 10 Cent, lautete die spontane, intuitive Antwort von mehr als 80 Prozent der Probandinnen und Probanden. Doch diese Antwort ist falsch – korrekt wäre: 5 Cent. Sogar Elite-Studierende täuschten sich in hohem Maße, bei ihnen waren es immer noch 50 Prozent, die intuitiv auf 10 Cent tippten. Unser Bauchgefühl rechnet eben nicht mathematisch nach, sondern agiert nach dem Pi-mal-Daumen-Prinzip.

Und ja, diverse erklärbare kognitive Verzerrungen wie der Anker-Effekt beeinflussen die menschliche Intuition und führen zu Denkfehlern. (Ein Grund mehr für Fans der reinen Ratio, das Bauchgefühl abzuwerten.) Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman versucht in seinem Buch «Schnelles Denken, langsames Denken» zu erklären, worauf die Fehleranfälligkeit basiert. Ihm zufolge unterteilt sich unser Hirn in zwei Systeme, die Prozesse unterschiedlich steuern: System eins – das Bauchgefühl – agiere schnell, automatisiert, ohne Regeln. System zwei – der Verstand – sei genau das Gegenteil, es arbeite regelgeleitet und langsam.

Schnelles Denken, langsames Denken (Daniel Kahneman, Deutsch)

Schnelles Denken, langsames Denken

Daniel Kahneman, Deutsch

Schnelles Denken, langsames Denken (Daniel Kahneman, Deutsch)
Sachbücher

Schnelles Denken, langsames Denken

Daniel Kahneman, Deutsch

Bauchgefühl: Nicht zufällig, sondern Ergebnis von Erfahrung

Doch so einfach ist der Mensch höchstwahrscheinlich nicht gestrickt. Mittlerweile gehen Forschende fächerübergreifend davon aus: Die beiden Systeme arbeiten nicht voneinander getrennt – und die «reine» Ratio ist immer gefärbt von den Urteilen der Intuition. Mittlerweile genießt zumindest in Wissenschaftskreisen die Intuition einen besseren Ruf.

Neurowissenschaftlerin Friederike Fabritius beschreibt auf ihrem Blog, wie Menschen Entscheidungen treffen: «Die meisten von uns planen, analysieren und lösen Probleme mit Hilfe des präfrontalen Kortex, dem Teil des Gehirns direkt hinter der Stirn. Die hier getroffenen Entscheidungen sind relativ langsam, begrenzt und bewusst.»

Hingegen werde bei der Intuition laut Fachleuten ein anderer Teil im Hirn aktiviert, die so genannten Basalganglien: «Die Intuition (...) geht tiefer in das Gehirn, wo jahrelanges Wissen gespeichert ist. Wenn eine Entscheidung ansteht, werden die Schlüsseldaten unbewusst miteinander verknüpft, bis die Schlussfolgerung plötzlich in unser Bewusstsein dringt und die Antwort liefert.»

Und in einem Social-Post betont die Forscherin, dass intuitive Entscheidungen «nicht zufällig sind und einen Mangel an Geschicklichkeit bedeuten.» Im Gegenteil:

«Intuitive Entscheidungen sind oft das Ergebnis jahrelanger Erfahrung und Tausender Stunden Übung. Sie stellen die effizienteste Nutzung Ihrer gesammelten Erfahrung dar.»

Weil Intuition gefühltes Wissen ist, spüren manche Menschen auch körperlich, wenn ihnen eine rational getroffene Entscheidung widerstrebt: Mit einem Ziehen im Bauch, aber auch in der Schulter oder in der Brust meldet sich ihr implizites Gedächtnis.

Was es für ein gutes Bauchgefühl braucht

Jetzt ist ein wichtiges Stichwort gefallen: Erfahrung. Intuition greift auf im Hirn abgespeichertes Wissen zu, sekundenschnell und unbewusst. Daher funktioniert das Bauchgefühl dann am besten, wenn jemand viel Erfahrung auf dem Gebiet mitbringt, auf dem er eine Entscheidung treffen muss. In einem Experiment mit Golfspielenden zeigte sich: Gab man erfahrenen Spielerinnen und Spielern nur drei Sekunden Zeit, über ihren Schlag nachzudenken, trafen sie besser, als wenn sie länger über den Schlag grübeln durften. Bei Anfängerinnen und Anfängern war es genau anders herum: Sie schlugen den Ball schlechter, wenn sie nur drei Sekunden Zeit für ihren Put hatten.

In Unternehmen basiert jede zweite Entscheidung auf dem Bauchgefühl

Einer der einflussreichsten Fürsprecher der Intuition (und Kritiker von Kahnemans Theorie) ist Gerd Gigerenzer, deutscher Psychologe und Risikoforscher am Max-Planck-Institut. Sein Buch «Bauchentscheidungen» wurde in der Schweiz zum Wissenschaftsbuch des Jahres gewählt.

In seinen Studien, unter anderem mit Führungskräften in DAX-Konzernen zeigte sich: Sehr erfahrene Personen trafen häufig Entscheidungen aus dem Bauch heraus. Auch wenn – anders als im Privaten – Intuition im beruflichen Umfeld offiziell keinen guten Leumund hat. Dabei bedienten sie sich Heuristiken, also «mentaler Strategien, Faustregeln oder Abkürzungen». Gleichzeitig ignorierten sie die meisten Informationen, die ihnen vorlagen. Statt diese rational zu gewichten und zu analysieren, hörten die Managerinnen und Manager auf ihre innere Stimme.

Gigerenzer konnte nachweisen: In Unternehmen ist im Schnitt jede zweite Entscheidung eine Bauchentscheidung. Allerdings versuchen die Entscheidungsträgerinnen und -träger diesen intuitiven Anteil zu verschleiern, eben weil sich das Bauchgefühl nicht begründen lässt. Im Fall eines Misserfolgs steht man dann als Führungskraft schlecht da.

Intuition: Wann du sie öfter einsetzen solltest

Unfehlbar ist das Bauchgefühl nicht. Doch es lohnt sich, nicht den drei großen Irrtümern über die innere Stimme aufzusitzen. Intuitions-Forscher Gigerenzer benennt die Irrtümer so:

  • Intuition ist immer zweitklassig, bewusstes Nachdenken ist immer besser. Falsch
  • Komplexe Probleme brauchen immer komplexe Lösungen. Falsch
  • Mehr Informationen und mehr Zeit sind immer besser. Falsch (siehe das Golfspieler-Beispiel)

Wann aber solltest du auf Heuristiken setzen – also auf die Prinzipien, nach denen Intuition funktioniert? Und wann sind Statistik und Logik besser, wo man rechnet und abwägt, bevor man etwas wagt? Gigerenzers Rat: «Intuition ist die Kunst, sich auf das Richtige, auf das Wesentliche zu fokussieren und den Rest zu ignorieren.» Das funktioniert umso besser, je mehr Erfahrung man auf einem Gebiet mitbringt.

Dieser Mut zur Einfachheit, so der Experte weiter, sei in Unternehmen nicht immer gern gesehen. Doch oft würden dort viele Entscheidungen – zu denen ein Einzelner womöglich schon eine gute Intuition hat – verdrängt und vertagt. Solche defensiven Entscheidungen würden aber nicht immer die bessere Lösung ergeben. Statt Defensiv-Taktik lieber Mut zur Fehlerkultur, rät Gigerenzer. Am Ende geht es um beide Seiten der Medaille. Es braucht gute Intuition und es braucht gute Methodik, die sie überprüft.

Du willst lernen, mehr auf dein Bauchgefühl zu setzen, um es als Entscheidungsratgeber zu nutzen? Dann solltest du mutig sein, dir auch Fehler eingestehen können.

Titelbild: shutterstock

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Mareike Steger
Autorin von customize mediahouse

Ich hätte auch Lehrerin werden können, doch weil ich lieber lerne als lehre, bringe ich mir mit jedem neuem Artikel eben selbst etwas bei. Besonders gern aus den Themengebieten Gesundheit und Psychologie.


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