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Kritik

«Herdling» im Test: Eine zauberhafte Reise, der es an Höhepunkten fehlt

Im Schweizer Game «Herdling» treibst du eine Herde büffelähnlicher Wesen durch eine malerische Welt. Die Reise hat etwas Meditatives, driftet aber gelegentlich ins Monotone ab.

Eine Figur, die nicht spricht, eine Herde flauschiger Huftiere und eine menschenleere Welt, die es zu durchqueren gilt. Das sind die zentralen Elemente von «Herdling». Das Spiel des Schweizer Studios Okomotive verzichtet auf komplexe Gameplay-Mechaniken und nimmt dich stattdessen auf eine traumhafte Reise mit. Wenn dich das an das kultige Indie-Game «Journey» erinnert, liegst du gar nicht mal so falsch. Einen ganz so erinnerungsträchtigen Trip bietet «Herdling» zwar nicht, dennoch lohnt es sich, den Hirtenstock in die Hand zu nehmen.

Folge dem Herdentrieb

Das Spiel beginnt mit einer kurzen Kamerafahrt über eine Stadt und endet in einer Unterführung bei einer schlafenden Person. Wo ich bin, wer ich bin oder was ich tun soll, wird mir nicht erklärt. Also steuere ich die in einen dicken Kapuzenpulli gehüllte Person durch eine verlassene Stadt. Menschen sehe ich nirgends. Stattdessen treffe ich in der Nähe eines Spielplatzes, umgeben von Hochhäusern, auf ein merkwürdiges Wesen. Es sieht ein bisschen so aus, als hätte sich jemand als Büffel verkleidet. Das Tier hat grosse Hörner und geht mutmasslich auf zwei Beinen. Mutmasslich, weil das Fell bis zum Boden reicht.

Nicht zum Naturkostüm gehört der Metalleimer, der dem merkwürdigen Büffel auf dem Kopf steckt. Tierfreundlich, wie ich bin, befreie ich das Wesen mithilfe eines Stocks – und unterwerfe es gleich wieder. Fühlt sich merkwürdig an, aber dem Tier scheint es nichts auszumachen. Beim Zähmen erfahre ich auch, dass es sich um ein Calicorn handelt. Bevor es weitergeht, muss ich ihm einen Namen geben – oder einen generieren lassen. Ich wähle Letzteres und freue mich über die passende Bezeichnung: Apa. «Avatar: The Last Airbender»-Fans wissen Bescheid.

Nach dem Zähmen kann ich den Tieren einen Namen geben.
Nach dem Zähmen kann ich den Tieren einen Namen geben.
Quelle: Philipp Rüegg

Mit Apa ziehe ich weiter durch die merkwürdige urbane Umgebung, die mich stark an City 17 aus «Half-Life 2» erinnert. Einfach ohne Aliens und Kampfroboter, die auf mich schiessen. Es dauert nicht lange und ich begegne weiteren Calicorns. Mal befreie ich sie aus abgesperrten Gehegen, mal überzeuge ich sie mit gepflückten Früchten von meinem guten Wesen.

Zahme Tiere, störrische Steuerung

Die Steuerung meiner wachsenden Herde ist besonders anfangs gewöhnungsbedürftig. Wir sind durch eine unsichtbare Linie miteinander verbunden. Bin ich nahe genug, wird diese sichtbar. Bewege ich mich nach rechts, dreht sich die Linie nach links und auch die Herde läuft nach links. So navigiere ich die Tiere durch die engen Häuserschluchten, bis wir nach kurzer Zeit die Stadt hinter uns lassen und ein offenes Feld betreten. Hier beginnt das eigentliche Spiel.

Anfangs ist meine Herde noch überschaubar.
Anfangs ist meine Herde noch überschaubar.
Quelle: Philipp Rüegg

«Herdling» ist ein lineares Game. Die Welt wirkt auf den ersten Blick offen, aber meist geht es nur in eine Richtung. Ich entscheide höchstens, ob ich links oder rechts um einen kleinen Hügel gehe. Nur einmal laufe ich mehrmals im Kreis, weil mir visuelle Indikatoren fehlen und ich weder weiss, wo ich hinmuss, noch was ich tun soll.

Um meine Herde anzutreiben, habe ich verschiedene Kommandos. Neben dem normalen Antreiben kann ich sie langsam laufen lassen und komplett stoppen, wenn ich mal was ohne sie auskundschaften möchte. Gelegentlich kann ich sie rennen lassen. Bei gewissen Feldern und Sträuchern ist das sogar nötig, um voranzukommen.

So treibe ich meine flauschigen Freunde durch eine malerische Steppenlandschaft, die mich an Dokus über die Mongolei erinnert. Meine Aufgabe ist es, die Tiere sicher an ein Ziel zu bringen. Welches das ist, weiss ich zwar nicht, aber sowohl mein Hirte als auch die Calicorns scheinen sich darauf zu verlassen, dass am Ende der Reise ein schöner Fleck auf sie wartet.

Wir laufen einfach immer der Nase nach.
Wir laufen einfach immer der Nase nach.
Quelle: Philipp Rüegg

Seichtes Gameplay

Gelegentlich aktiviere ich mit meinem Hirtenstock Holzkonstruktionen. Mal sind sie am Wegesrand, mal muss ich dafür ein paar Stufen erklimmen. Ab und zu hilft mir dabei ein kleines Calicorn, indem es seinen Rücken als Kletterhilfe anbietet. Habe ich alle nötigen Holzkonstruktionen aktiviert, kann ich mit einer Steinwand interagieren. Mal handelt es sich dabei um eine Tür, die aufgeht oder eine Brücke, die mir den Weg freigibt.

Immer wieder navigiere ich die Herde durch kurvige Passagen, mit spitzen Metallstücken an den Ecken. Dort muss ich vorsichtig sein, damit sich die Tiere nicht verletzen. Passiert das doch mal, kann ich sie mit Früchten wieder aufpäppeln. Kein Heilmittel gibt es gegen den Sturz in eine Gletscherspalte, als ich eine windige Bergspitze erklimmen will. Ich kann nur noch zusehen, wie eins meiner Wollknäuel in die Tiefe stürzt. RIP Apa.

Auch wenn sie ganz knuffig aussehen, habe ich keine enge Bindung zu den Tieren aufgebaut.
Auch wenn sie ganz knuffig aussehen, habe ich keine enge Bindung zu den Tieren aufgebaut.
Quelle: Okomotive

Was ein emotionaler Moment sein soll, nehme ich mit einem Achselzucken hin. Eine echte Bindung entsteht in der kurzen Spielzeit von rund vier Stunden bei mir nicht. Ich kann die Tiere zwar streicheln, sie mit Ornamenten schmücken, die ich unterwegs finde und mit ihnen Ball spielen. Für mich ist das dennoch zu wenig, um eine Träne zu verdrücken.

Vielleicht hätte es geholfen, wenn ich die Gesichter meiner Herdentiere besser sehen würde. Aber dafür ist die Kamera normalerweise zu weit weg und der Detailgrad zu niedrig. Stattdessen geht lediglich der Gedanke durch meinen Kopf, dass ich nun keinen «perfekten Run» mehr schaffe. Bei minimalen Gameplay-Elementen und ausser ein paar Bildern am Lagerfeuer, keinerlei Story, hätte eine intime Beziehung zu den Tieren das Erlebnis packender gemacht.

Spannung flammt nur selten auf. Etwa dann, wenn riesige Vögel von Felsen auf uns herabblicken. Trample ich durch zu viele ihrer Nester oder was auch immer diese eierförmigen Holzkunstwerke sein sollen, greifen sie uns an. Dann hilft nur noch, die Beine in die Hand nehmen. Während die Vögel mit Sturzflügen meine Herde dezimieren wollen, navigiere ich sie durch ein karges Gebirge ohne Schutzmöglichkeit. Die Musik schwillt bedrohlich an. Mit letzter Kraft erreichen wir eine rettende Höhle und können verschnaufen. Solche Momente lockern das teilweise etwas zu seichte Gameplay auf.

Vor diesen riesigen Ungestümen muss sich die Herde in Acht nehmen.
Vor diesen riesigen Ungestümen muss sich die Herde in Acht nehmen.
Quelle: Okomotive

Während mich die Musik von Anfang an mit ihren stimmigen Klängen, die perfekt zur malerischen Welt passen, begeistert, überzeugt mich die Grafik nicht komplett. Ähnlich wie bei «FAR: Lone Sails», einem weiteren Spiel von Okomotive, ist sie relativ detailarm und verzichtet auf grelle Farben. Das sorgt einerseits für einen natürlichen Look – etwas mehr Farbenspiel hätte dennoch nicht geschadet, um ähnlich einprägsame Schauplätze zu kreieren wie bei «Journey».

Die Calicorns sehen zwar einzigartig aus, aber das Fell wirkt oft so, als hätte es einen Grafikfehler.
Die Calicorns sehen zwar einzigartig aus, aber das Fell wirkt oft so, als hätte es einen Grafikfehler.
Quelle: Okomotive

Auch bei den Calicorns bin ich hin- und hergerissen. Ihr Fell wirkt auf den ersten Blick wie ein Grafikfehler oder wie, wenn jemand zu aggressiv nachgeschärft hätte. Andererseits sieht es auch schön flauschig aus und die Fähigkeit, die Farbe zu wechseln, verleiht den Tieren etwas Fabelhaftes. Einen gewissen Wiedererkennungswert kann ich dem Spiel nicht absprechen.

«Herdling» ist verfügbar ab dem 21. August für PC, PS5, Xbox Series X/S, Game Pass und Switch. Die PC-Version wurde mir von Okomotive zur Verfügung gestellt.

Fazit

Meditativ und monoton liegen nahe beieinander

In «Herdling» steht das Erlebnis und nicht das Gameplay im Vordergrund. Das Navigieren der Herde durch die verwunschene Landschaft besticht durch Bild und Ton statt komplexe Mechaniken. Viel mehr als gelegentlich Hindernissen ausweichen und minimale Schalterrätsel bietet das Spiel nicht.

Der Vergleich mit dem kultigen «Journey» liegt nahe. Während sich mir dort zahlreiche Momente in mein Gedächtnis gebrannt haben, fehlt es «Herdling» an Höhepunkten. Visuell hat es zwar ein ungewöhnliches Design, es hätte aber mehr Wow-Momente bedurft, wie beim Verlassen der Stadt oder dem Gipfelaufstieg.

Der Sound hingegen untermalt die Reise mit den liebenswerten Calicorns perfekt. Schade, schafft es das Spiel nicht, eine stärkere Bindung mit ihnen aufzubauen. Dann hätten einige tragische Szenen sicher einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

«Herdling» hat mich dennoch auf eine stimmungsvolle Reise mitgenommen, die ich trotz gelegentlicher Flaute gerne angetreten bin.

Pro

  • zauberhafte Welt
  • stimmungsvoller Soundtrack
  • gute Länge

Contra

  • fehlt an Höhepunkten
  • teilweise zu wenig Anhaltspunkte, wo es weitergeht

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 

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