Kommerzialisieren wir Haustiere zu stark? Das sagt der Tierethiker
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Kommerzialisieren wir Haustiere zu stark? Das sagt der Tierethiker

Schleifen, Pullis und andere Accessoires: Viele Halterinnen und Halter greifen für ihre Haustiere tief ins Portemonnaie. Der Tierethiker Nico Müller erklärt, ab wann Kommerzialisierung und Vermenschlichung kritisch werden. Oder entmenschlichen wir unsere Tiere sogar?

Schaust du dich in unserem Onlineshop oder in Tiergeschäften um, wirst du von Produkten für Vierbeiner beinahe erschlagen. Für fast alles, was du als Mensch kaufen kannst, gibt es mittlerweile ein tierisches Pendant. Ist das moralisch vertretbar? Ich habe den Tierethiker Nico Müller von der Universität Basel gefragt.

Nico Müller beschäftigt sich an der Universität Basel mit Tierethik, Tierforschungsethik und Kantischer Ethik.
Nico Müller beschäftigt sich an der Universität Basel mit Tierethik, Tierforschungsethik und Kantischer Ethik.
Quelle: Roman Seifert

Nico Müller, unter dem Stichwort «Tierbedarf» erscheinen bei uns im Shop 71 991 Produkte. Kommerzialisieren wir unsere Tiere zu stark?
Wichtiger als die Anzahl ist das, was verkauft wird. Auf Galaxus gibt es da schon ein paar Produkte, die ethisch fragwürdig sind. Zum Beispiel ein elektrischer Viehtreiber, der Stromschläge abgibt, ein Viehsaugentwöhner, der Rinder mit Stacheln vom Trinken abhält oder Homöopathie-Bücher, die begünstigen, dass Nutztieren medizinische Hilfe vorenthalten wird.

Welche Haustierprodukte halten Sie für kritisch?
Ich würde dringend von Hamsterkugeln oder -bällen aus Kunststoff abraten, in denen die Tiere durch die Wohnung rollen können. Diese sind unhygienisch und bergen ein grosses Verletzungsrisiko. Wer sie verwendet, verstösst allenfalls sogar gegen Artikel 4, Absatz 2 des Schweizer Tierschutzgesetzes. Aber auch von Accessoires und Kostümen halte ich nichts, wenn sie fürs Tier keine Funktion haben.

Vermenschlichen wir unsere Tiere mit solchen Produkten?
Im Fall der Accessoires und Kostüme, zum Teil ja. Manche Leute schreiben ihren Tieren zum Beispiel einen Modegeschmack zu, den sie in Wahrheit nicht haben. Damit projizieren sie eigene Bedürfnisse und Wünsche aufs Tier. Es selbst rückt dadurch in den Hintergrund.

Wie ist es dazu gekommen?
Die vermeintliche Verhätschelung von Haustieren war schon im Mittelalter Thema. Damals ging es vor allem darum, wie viel Geld man für Haustiere ausgeben oder ob man sie in die Kirche mitnehmen sollte. In den letzten 200 Jahren wurde schliesslich fast alles kommerzialisiert, was kommerzialisierbar ist. Neben kulturellen Praktiken wie dem Weihnachtsfest auch Haustiere. Manchmal geschieht heute aber auch das Gegenteil einer Vermenschlichung: eine Entmenschlichung der Tiere.

Wann ist eine Entmenschlichung der Fall?
Zum Beispiel, wenn Halterinnen und Halter der Meinung sind: Solange mein Tier noch frisst, geht es ihm schon gut. In die Tierarztpraxis muss ich erst, wenn es offensichtlich leidet. Damit vereinfachen sie das Tier und machen es weniger menschenähnlich, als es in Wahrheit ist. So kommt es vermutlich auch, dass rund 93 Prozent der Schweizer Hunde keine Krankenversicherung besitzen.

Wäre das nötig?
Auf jeden Fall. Wenn ein Tier krank wird, schnellen die Kosten für eine Behandlung rasch in die Höhe. Ohne Versicherung ist es Glückssache, ob ein Tier behandelt wird – oder ob es eingeschläfert wird, weil es billiger ist. Allgemein kann man sagen: Je nachdem, was bequemer für Menschen ist, schreiben sie Tieren menschliche Eigenschaften zu oder ab.

Brauchen wir denn überhaupt Tiere?
Wir leben seit etwa 14 000 Jahren mit Hunden zusammen, mit Katzen seit etwa 6 000. Der direkte Kontakt zu Tieren ist ein legitimes Bedürfnis. Das rechtfertigt aber noch lange keine Qualzuchten. Wenn man die vollen Tierheime betrachtet, sollte man sich fragen, ob Haustiere noch gezüchtet werden sollten.

In welche Richtung, denken Sie, wird sich das Verhältnis zu unseren Tieren in Zukunft entwickeln?
Dass mittlerweile sogar der Bundesrat erkannt hat, dass der Fleischkonsum heruntergefahren werden muss, macht mich hoffnungsvoll, dass unser Nutzungsverhältnis von Tieren weniger selbstverständlich wird. Was das für Haustiere bedeuten könnte, ist schwierig zu sagen. Ich würde mir wünschen, dass wir sie weniger verniedlichen und erwachsener mit ihnen umgehen.

Was würde das konkret heissen?
Zum Beispiel dass wir eine Haustierkrankenversicherung abschliessen und diese in Zukunft sogar öffentlich und verpflichtend wird. Auch hielte ich es für sinnvoll, das Hundekursobligatorium wieder schweizweit einzuführen.

Weshalb?
Nicht nur, um die Zahl der Bisse zu reduzieren, sondern vor allem, um über den Umgang mit den Tieren aufzuklären. Aktuell ist es dem Zufall überlassen, wo sich Halterinnen und Halter informieren. So können sich auch tierquälerische Praktiken entwickeln, wie etwa, die Schnauze von nicht stubenreinen Hunden in Exkremente zu drücken. Grundsätzlich wünsche ich mir, dass wir die Bedürfnisse unserer Haustiere so ernst nehmen wie unsere eigenen.

Hätten Sie zum Schluss drei Vorschläge für Produkte, die tierischen Bedürfnissen gerecht werden?
Sogenanntes Intelligenzspielzeug kann sinnvoll sein, etwa für übergewichtige Katzen. Es beschäftigt sie und drosselt das Tempo beim Fressen. Schleckmatten sind praktisch, um ein Tier abzulenken, wenn es kurz stillhalten soll. Das Wichtigste ist aber, dass wir kritisch über unser Verhältnis zu Tieren nachdenken. Darum empfehle ich als Drittes ein anregendes Buch des Soziologen Marcel Sebastian: «Streicheln oder Schlachten?».

Trixie Cat Activity Fun Board (Lern- & Intelligenzspielzeug)
Katzenspielzeug
22,67 EUR

Trixie Cat Activity Fun Board

Lern- & Intelligenzspielzeug

Streicheln oder Schlachten (Marcel Sebastian, Deutsch)
Sachbücher

Streicheln oder Schlachten

Marcel Sebastian, Deutsch

Trixie Cat Activity Fun Board (Lern- & Intelligenzspielzeug)
22,67 EUR

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Lern- & Intelligenzspielzeug

Streicheln oder Schlachten (Marcel Sebastian, Deutsch)

Streicheln oder Schlachten

Marcel Sebastian, Deutsch

Übrigens: Unser Category Management wurde über die kritisierten Viehtreiber, Viehsaugentwöhner und Hamsterbälle in Kenntnis gesetzt. Ein Teil wurde bereits aus dem Sortiment genommen.

Findest du, wir kommerzialisieren und vermenschlichen unsere Tiere zu stark? Verrate es mir in einem Kommentar.

Titelfoto: Shutterstock/BearFotos

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Ich mag alles, was vier Beine und Wurzeln hat. Zwischen Buchseiten blicke ich in menschliche Abgründe – und an Berge äusserst ungern: Die verdecken nur die Aussicht aufs Meer. Frische Luft gibt's auch auf Leuchttürmen.


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