LEGO X meine vollen Pampers
Meinung

LEGO X meine vollen Pampers

LEGO mutiert immer mehr zur Lifestyle-Brand und macht sich mit unnötigen Kollaborationen selbst lächerlich. Nintendo, Levi’s und jetzt Adidas sind die neuesten Partner. Angesprochen sind vor allem die zahlungskräftigen Eltern.

Der Geruch von Omas Essen. Einbiegen auf die Strasse, an der du aufgewachsen bist. Der Song, der bei deinem ersten Kuss lief. In ungewissen Zeiten geben dir Erinnerungen an deine Kindheit Halt. Sie sind ein Anker im Sturm deines Erwachsenenlebens. Davon leben wir als Menschen und damit verdienen ganz viele Firmen ihr Geld. Wieso sonst beschwören findige Trendsetter in regelmässigen Abständen irgendein Revival herbei? Mal sind es die 90er, mal Rockabilly. Retro, Vintage oder Cottagecore: Wie auch immer dieser Trend gerade heisst, er soll bei dir eine «Früher war alles besser»-Stimmung erzeugen. Das zieht sich von der rechts-konservativen Sehnsucht nach dem Leben in den Bergen und dem dazugehörigen Soundtrack von Gölä, Andreas Gaballier und Co. bis zur tief-linken Huldigung von Ikonen wie Che Guevara oder Frida Kahlo. Was genau daran besser war, den ganzen Tag auf einer Alp zu schuften, um in Fett ausgebackene Mehlkuchen zu essen oder im feuchten Urwald, von Moskitos zerstochen, den Freiheitskampf zu führen, muss mir erst noch jemand erklären.

Dass früher mitnichten alles besser war, ist längst bewiesen. Die Mär hält sich aber hartnäckig und nimmt immer bizarrere Züge an. Beispiel LEGO.

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Warum ich dank LEGO keine Windeln mehr trage

Zu LEGO hat fast jede Person irgendeine Geschichte auf Lager. Ich habe zum Beispiel bis ins stattliche Alter von vier Jahren in die Windel gemacht. Erst das Versprechen auf eine elektrische LEGO-Eisenbahn hat mich dazu bewogen, meine Notdurft zuverlässig auf dem Porzellanthron zu verrichten. LEGO war mein erstes Investment. Meine erste ersparte Hunderternote floss 1993 ins Piratenschiff. Ich erinnere mich genau an den Schmerz, wenn ich barfuss auf ein Viererriggeli gestanden bin, das im grauen Spannteppich beim Aufräumen vergessen ging. LEGO verbinde ich für immer und ewig mit solchen Kindheitsanekdoten. Es sind persönliche Erlebnisse, gebaut auf einem Fundament aus farbigen Steinen.

Es sind nicht bloss LEGO und meine vollen Windeln. Genauso in Erinnerung ist das Turtles-Game auf dem NES, den wir extra fürs sturmfreie Wochenende beim Kumpel ausgeliehen haben. Das war eine Velofahrt von zwei Kilometern ins nahegelegene Dorf. Sehr wahrscheinlich trug ich für den Roadtrip meine Levi’s Jeansjacke, die ich mit allerlei Aufnähern versehen hatte. Neben «Def Leppard» und «AC / DC» war das auch ein Aufnäher der NASA Mission «STS-61», bei der Claude Nicollier zum Hubble-Teleskop ins All geschossen wurde. Dafür kassierte ich zwar eine Ohrfeige von einem älteren Jungen, weil das nicht cool genug für die Gang war. Ich war aber schon damals Nerd.

Eingebrannt fürs Leben

Nicht nur die Erinnerungen sind geblieben, sondern auch die Marken. LEGO, Nintendo, Levi’s: Sie haben sich eingebrannt in mein Hirn, um für immer dort zu bleiben. Auf Englisch heisst das sinnbildlich «branding». Die Bezeichnung «Brand» kommt von den Brandmarken, die dem Vieh zur Kennzeichnung der Besitzverhältnisse eingebrannt wurden. Diese Erinnerungen reichen den Marken heute offenbar längst nicht mehr. Sie müssen immer mehr Waren an ihre Kunden verkaufen und wollen noch penetranter in unseren Köpfen hängen bleiben. Die Lösung heisst «Crossmarketing». H&M und bekannte Modeschöpfer*innen arbeiten zusammen. Ikea macht mit bekannten Designbüros gemeinsame Sache. Oder etwas abstruser: Die Zusammenarbeit zwischen der Luxusmarke Burberry und der in Asien beliebten Chat-App Line. Modebewusste Line-User*innen können dadurch in Burberry gehüllte Avatare verschicken. Meist wird die Zusammenarbeit mit einem X zwischen den Markennamen hervorgehoben. H&M X Lagerfeld, Ikea X Off-White, Line X Burberry. So weit, so «geht mir am Arsch vorbei». Seit einiger Zeit überspannt LEGO allerdings den Cross-Branding-Bogen gewaltig.

Mama das Portemonnaie auf Papa!

Was mit sinnvollen Partnerschaften wie «Batman» oder «Star Wars» begonnen hat, wird fast monatlich durch neue, immer unnötigere Marketingaktionen übertrumpft. LEGO und «Super Mario» zu vereinen, war naheliegend. Warum aber gleich einen unnützen Staubfänger in Form eines LEGO NES auf den Markt schmeissen? Jetzt folgte in kurzen Abständen zunächst die «Levi’s X LEGO» Jeans-Linie für Kinder und zuletzt schliesslich der «LEGO X Adidas» Schuh. Das gebrandmarkte, goldene Kalb wird ausgeschlachtet.

Die Zielgruppe sind schon längst nicht mehr die Kinder, sondern die zahlungskräftigen Eltern. Das war schon damals so, als ich mir durch Zusammenpressen des Hinterns den LEGO-Zug erpresst habe. «LEGO X Pampers» als erstes Crossbranding quasi. Heute bin ich im Alter meiner Eltern. LEGO weiss das und zielt bewusst auf meine Schwachstelle. Zum Glück habe ich keine Kinder. Hätte ich welche, mein Kind müsste die kultige Jeansjacke von «LEGO X Levi’s» natürlich haben, auch wenn Jeansjacken aus der Mode sind und mein Kind LEGO gar nicht mag. Ich erschaffe mir mein wandelndes Mannequin der Erinnerungen, das mir in schwierigen Zeiten ein Halt ist. Papi kauft sich den kultigen LEGO NES, für Mami gibt es die «LEGO X Adidas» Sneakers. Steht irgendwo LEGO drauf, ist es im Nu ausverkauft. Vor allem wenn – Voll Retro! – Nintendo, Levi’s oder Adidas dabei sind. Dass wir so verschissen aussehen, wie meine Windeln als ich vier war, vergessen wir ob all der Nostalgie.

Nein, früher war nicht alles besser. LEGO, Levi’s Jacke und Adidas-Sneaker hatten damals wenigstens noch Charme.

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Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell. 


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