Raus damit: So säubern die Abfalltaucher Schweizer Seen
Hintergrund

Raus damit: So säubern die Abfalltaucher Schweizer Seen

Die Abfalltaucher haben sich zum Ziel gesetzt, mit Seereinigungen, so genannten Cleanups, Müll aus Schweizer Gewässern zu entfernen. Am Wochenende war ich dabei.

Sonntagmorgen, neun Uhr. Eine Gruppe Menschen trifft, schwer beladen mit Luftflaschen, Neopren- oder Trockenanzügen und Taucherflossen, in Steckborn am Bodenseeufer ein. Dem kurzen, herzlichen «Hallo, schön, bist du da» folgt konzentrierte Stille. Es gilt, die Ausrüstung vorzubereiten. Denn schliesslich haben die Menschen hier eine Mission: Sie sind Abfalltaucher. Sie wollen den Seeabschnitt von Müll befreien, den Wassersportler, Spaziergänger und vermutlich auch Fahrraddiebe achtlos ins Wasser geworfen haben. Oder den sie verloren haben, denn das gibt es auch.

Matthias Ardizzon ist seit 2018 Präsident der Abfalltaucher Schweiz, einem Verein, der 2010 gegründet wurde. Seine persönliche Motivation erklärt Matthias – Mättu – kurz und bündig: «Wir haben nur einen Planeten und den müssen wir so gut es geht erhalten.» Deshalb organisiert er das ganze Jahr über Cleanups an Schweizer Seen, verhandelt mit Behörden über Genehmigungen, sucht Sponsoren und schaut, dass die 130 Mitglieder und Freiwilligen bei den Aufräumaktionen Müll aus den Gewässern fischen können und so zum Schutz der Umwelt beitragen.

Abtauchen und Abfall suchen

Abfalltaucher Präsident Matthias Ardizzon (links im Bild) mit Vereinsmitgliedern.
Abfalltaucher Präsident Matthias Ardizzon (links im Bild) mit Vereinsmitgliedern.
Quelle: Stefan Munsch

Ich bin seit rund eineinhalb Jahren Mitglied bei den Abfalltauchern und war schon öfter bei den Aufräumaktionen unter Wasser dabei. Dieses Mal bin ich beim Cleanup in Steckborn wieder als Taucherin im Einsatz. Nachdem ich meine Ausrüstung parat gemacht und den Sicherheitshinweisen gelauscht habe, geht es mit Thomas, einem anderen Vereinsmitglied, im Zweierteam ins Wasser. Nach dem Sicherheitscheck tauchen wir ab: Leider ist die Sicht schlecht und das Wasser voller Schwebeteilchen, die durch den windbedingten Wellengang aufgewirbelt wurden. Das Suchen nach Abfall würde nicht ganz einfach werden.

In voller Ausrüstung gehe ich in den Bodensee, um unter Wasser nach Abfall zu suchen.
In voller Ausrüstung gehe ich in den Bodensee, um unter Wasser nach Abfall zu suchen.
Quelle: Stefan Munsch

Da sich der meiste Müll in Ufernähe befindet, tauchen wir beim ersten Tauchgang nur bis rund sechs Meter Tiefe. Schnell finden wir die ersten Zigarettenstummel und Snusbeutel, die wir im mitgebrachten roten Abfallnetz verschwinden lassen. Gerade Zigarettenstummel im Wasser sind problematisch. Ein Stummel kann bis zu 1000 Liter Wasser verschmutzen (das entspricht ungefähr sechs bis sieben vollen Badewannen). Dann finden wir zwei leere Bierflaschen und eine zerquetschte Getränkedose. Dann noch etwas, das aussieht, wie ein Allergie-Pen. Der ist bestimmt nicht absichtlich im Wasser gelandet.

Teamwork ist gefragt

Während wir unter Wasser nach Abfall suchen, sind am Strand und auf dem Tauchboot weitere Helfende aktiv. Jedes Taucherteam wird von einem Team an Land begleitet, das die Position der Taucher und Taucherinnen anhand der aufsteigenden Luftblasen im Auge behält und zur Stelle ist, wenn das Tauchteam Unterstützung benötigt. Gleichzeitig sammeln sie an Land auch Müll ein und haben schon bald einen Wagen voller PET-Flaschen zusammen, die dann recycelt werden.

Abfall – vor allem Plastikmüll in Schweizer Seen – ist ein echtes Problem. Eine gerade im Fachmagazin «Nature» erschienene Studie eines internationalen Forscherteams um Veronica Nava von der Universität Mailand-Bicocca (Italien) zeigt, dass Seen weltweit massiv mit Plastik verschmutzt sind. In der Schweiz erlangt der Luganersee einen traurigen Rekord. In ihm fanden die Forscher, die 38 Seen in 23 Ländern untersuchten, mehr Plastikverschmutzung als in den subtropischen Plastikwirbeln in den Ozeanen. Gemäss einer Mitteilung des Bundesrats gelangen jährlich 14'000 Tonnen Plastik in Schweizer Böden und Gewässer.
Helfer an Land behalten die Luftbläschen der Tauchteams im Auge und säubern das Ufer.
Helfer an Land behalten die Luftbläschen der Tauchteams im Auge und säubern das Ufer.
Quelle: Stefan Munsch

Unter Wasser sind wir unterdessen voll gefordert. Mein Tauchpartner Thomas hat einen alten Autoreifen entdeckt, den wir an unserer Tauchboje befestigen und in Ufernähe bringen. Die Landhelfer ziehen den Reifen dann mit einem Seil aus dem Wasser. Das ist echte Teamarbeit. Wir tauchen wieder ab und finden noch zwei Brillen mit Sehstärke und zwei Sonnenbrillen, die wahrscheinlich Wassersportler verloren haben.

Insgesamt finden wir weniger Müll als bei anderen Cleanups. Auch wenn prall gefüllte Säcke mit Unrat einem das Gefühl geben, etwas richtig Gutes getan zu haben, ist weniger Müll ein gutes Zeichen. Es zeigt: Die Menschen hier achten auf ihre Umwelt und benutzen den See nicht als Mülleimer. Selbst wenn in Steckborn – wie fast bei jedem anderen Cleanup auch – ein Fahrrad aus dem Wasser geholt wurde.

Auch ein Fahrrad fanden die Abfalltaucher im See.
Auch ein Fahrrad fanden die Abfalltaucher im See.
Quelle: Stefan Munsch

Nils (21) und Lou (19) sind das erste Mal als Helfer bei den Abfalltauchern dabei. Bisher haben die beiden Tauchbegeisterten aus Zürich ihre Unterwassererfahrung hauptsächlich im Mittelmeer und im indischen Ozean gesammelt. Die Idee, ihr Hobby mit etwas Sinnvollem zu verbinden, hat sie schon länger beschäftigt, so dass sie gezielt nach Cleanups in der Schweiz suchten und auf die Abfalltaucher gestossen sind.

Für Nils war es der erste Tauchgang in einem Schweizer See. «Sehr gut» hat ihm sein erster Einsatz bei den Abfalltauchern gefallen. Die beiden jungen Taucher haben auf rund zehn Metern Tiefe einen Abfalleimer und einen Anker gefunden, den sie mit Hilfe der Boje an Land brachten. «Den Anker und den Eimer aus der Tiefe hochzuziehen, war schon echt cool», findet Nils. Konkrete Pläne haben sie noch nicht, aber sie können sich gut vorstellen, mal wieder bei einem Cleanup dabei zu sein.

Helfer sind willkommen

Fast jeder, der möchte, kann bei den Abfalltauchern mitmachen. An Land sind Helfer auch ohne Tauchausbildung willkommen. Ausgebildete, brevetierte Taucher und Taucherinnen können unter Wasser an den Cleanups teilnehmen. Allerdings müssen sich alle Teilnehmenden vorher anmelden, so dass jeder weiss, wo er oder sie gebraucht wird. Je nach Erfahrung und Tauchlevel ist ein Check-Tauchgang nötig, denn Sicherheit ist beim Tauchen die oberste Priorität.

Immer wieder bieten die Abfalltaucher auch Workshops zur Weiterbildung an, wie zuletzt im Frühjahr zum Umgang mit Hebesäcken. Das ist nützlich, wenn man schwere, unhandliche Gegenstände wie Fässer oder Einkaufswagen an die Oberfläche bringen möchte.

Ein Autoreifen, der im Bodensee entsorgt und jetzt herausgefischt wurde.
Ein Autoreifen, der im Bodensee entsorgt und jetzt herausgefischt wurde.
Quelle: Stefan Munsch

Nach rund einer Stunde Tauchzeit versammeln sich die Taucher wieder auf der Wiese vor dem Ruderclub in Steckborn. Fast jeder hat neben dem Abfall noch eine Story mit an die Oberfläche gebracht – zum Beispiel die Sichtung eines Baby Hechtes oder eines Krebses. Denn auch wenn die Beseitigung von Müll bei den Einsätzen im Vordergrund steht, geht es auch um ein gemeinsames Naturerlebnis und den Spass am Tauchen.

Mit einer Flasche, einer Getränkedose und Zigarettenstummeln im Sack tauche ich auf.
Mit einer Flasche, einer Getränkedose und Zigarettenstummeln im Sack tauche ich auf.
Quelle: Stefan Munsch

Nach der Oberflächenpause gehen einige Tauchteams noch einmal für einen zweiten Tauchgang ins Wasser. Mein Partner und ich tauchen dieses Mal etwas tiefer, aber auch dort finden wir erfreulicherweise nur wenig Abfall.

Anker, Mülleimer, Fahrrad – die Ausbeute des Cleanups in Steckborn.
Anker, Mülleimer, Fahrrad – die Ausbeute des Cleanups in Steckborn.
Quelle: Stefan Munsch

Während für uns der Tag nach dem Auftauchen und dem Versorgen unserer Ausrüstung zu Ende geht, gibt es für das Organisationsteam um den Vereinspräsidenten Mättu noch einiges zu tun. Sie laden den Abfall ein, damit er ordnungsgemäss entsorgt und, wenn immer möglich, recycelt werden kann. Idealerweise können die Gegenstände aus dem See sogar noch weiter verwendet oder die Besitzer gefunden werden. Das war in der Vergangenheit schon öfters der Fall, bei diesem Cleanup aber nicht.

Titelfoto: Stefan Munsch/Video: Siri Schubert

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Forschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.


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