Schlecht gealtert: Die MiniDisc wird 30
Hintergrund

Schlecht gealtert: Die MiniDisc wird 30

David Lee
24.11.2022

Ich gratuliere der MiniDisc nicht zum Geburtstag, denn sie ist tot. Ein Rückblick, warum es so kommen musste.

Im November 1992 stellte Sony mit dem MZ-1 den weltweit ersten MiniDisc-Player vor. Er war gleichzeitig auch ein Recorder. Im Jahr 2000 kaufte ich meinen ersten und einzigen MiniDisc-Recorder: Einen Sharp MD-SR50. Allerdings benutzte ich ihn wenig und nach zwei, drei Jahren gar nicht mehr. Damit erging es mir wie den meisten. Was sich im ersten Moment wie ein praktisches, modernes Medium anfühlte, war letztlich ein Flop.

 Der allererste MiniDisc-Rekorder.
Der allererste MiniDisc-Rekorder.
Quelle: Wikimedia, Nixdorf, CC BY-SA 3.0

Die CD war schon da

Als reines Abspielmedium hatte es die MiniDisc von Anfang an schwer. Es gab ja CDs. Die waren unkompliziert und boten selbst bei schlechter Behandlung eine gute Soundqualität. Wie alle anderen hatte ich mir um die Jahrtausendwende bereits eine umfangreiche CD-Sammlung angelegt. Es gab keinen Grund, diese Sammlung auf ein neues Medium umzuschichten. Und in den Läden wurden weiterhin nur CDs verkauft. Der Marktanteil der MiniDisc war selbst zu ihren besten Zeiten so gering, dass er in Grafiken gar nicht sichtbar ist. Sony war das einzige grosse Label, das überhaupt vorbespielte MiniDiscs veröffentlichte.

Umsatzzahlen der Musikindustrie in der Schweiz.
Umsatzzahlen der Musikindustrie in der Schweiz.
Quelle: IFPI

Die Überlegung von Sony war: Die CD hatte als reines Abspielmedium die Schallplatte ersetzt, folglich musste dasselbe bei den aufnahmefähigen Medien geschehen. In diesem Bereich hätte die MiniDisc die Musikkassette ersetzen sollen. Doch die CD war inzwischen mehr als nur ein Ersatz für die Schallplatte. Sie war portabel und verdrängte zunehmend den Walkman. Ausserdem war es schon bald möglich, CDs selbst zu brennen.

Eigene Aufnahmen

Das einzige, was ich mit einer CD nicht konnte, war live aufzuzeichnen. In dieser Nische hatte die MiniDisc ihre Berechtigung. Ich nahm den MiniDisc-Recorder einige Male in den Bandraum mit. Dies brachte vor allem die Erkenntnis, dass sich unsere Bandproben im Nachhinein schrecklich anhörten – unabhängig davon, ob sie digital oder analog aufgezeichnet wurden. Allein zu Hause, ohne Alkohol- und THC-Einfluss mochte ich mir das nicht antun.

Dem MiniDisc-Recorder fehlte zudem der Geschwindigkeitsregler meines portablen Kassettengeräts. Damit konnte die Tonlage mit einer bereits bestehenden Aufnahme in Einklang gebracht werden.

Unter dem Strich war für mich die MiniDisc bloss eine weitere Möglichkeit für eigene Aufnahmen. Sie änderte nichts Entscheidendes gegenüber der Kassette.

Plötzlich ging alles sehr schnell

Bereits ein Jahr später, 2001, besass ich einen Laptop, mit dem es möglich war, direkt im Bandraum aufzunehmen. Das war eine viel grössere Änderung. Die Aufnahme war nun eine Datei, die sich schnell kopieren, als MP3 exportieren und übers Internet versenden liess. Viel praktischer als das Gefummel mit MiniDiscs, deren Daten zwar digital waren, aber nicht am Computer verwendet werden konnten. Sogar CDs waren mittlerweile praktischer, da sie sich am Computer in wenigen Minuten kopieren liessen.

MP3 und Internet hatten auch ausserhalb der kleinen Welt von Hobbymusikern gewaltige Auswirkungen. File Sharing brachte sogar die gigantisch erfolgreiche CD in Schwierigkeiten. Spätestens als es MP3-Recorder mit SSD gab, verlor die MiniDisc jede Daseinsberechtigung.

An der MiniDisc an sich war nichts falsch. Aber es brauchte sie einfach nicht. Eingeklemmt zwischen CD und Kassette, gedieh das zarte Pflänzchen nur langsam – und wurde dann ganz schnell von der digitalen Revolution weggekärchert.

Taugt die MiniDisc zum Nostalgie-Objekt?

Bleibt noch die Frage, ob die MiniDisc heute als Liebhaberobjekt eine Renaissance erleben könnte. Meine Einschätzung dazu lautet: ganz klar nein.

Weil die Zeit der MiniDisc kurz und ihre Stellung randständig war, hat sie nur geringe Spuren im kollektiven Gedächtnis hinterlassen. Du hast wahrscheinlich gute Erinnerungen daran, sonst hättest du diesen Beitrag nicht angeklickt. Aber damit gehörst du zu einer Minderheit. Heftige Sehnsucht vermag die MiniDisc – im Unterschied zu Platten und Kassetten – bei den meisten nicht auszulösen.

Der Sony MZ-R30 lässt bei mir keine Nostalgie aufkommen.
Der Sony MZ-R30 lässt bei mir keine Nostalgie aufkommen.
Quelle: David Lee

Ich habe meinen Recorder schon lange nicht mehr. Für diesen Beitrag habe ich mir deshalb einen gekauft, um zu sehen, wie ich darauf emotional reagiere. Es war ernüchternd. Zwar kamen alte Erinnerungen wieder hoch, aber eher negative, die ich verdrängt hatte. Etwa, dass ich die Stücke von Hand unterteilen muss. Dass ich die Stücke zwar benennen könnte, mir das aber viel zu mühsam ist. Dass das Gerät nicht lautlos ist, sondern vor sich hin rödelt. Dass die Batterien nicht lange halten. Dass der LCD des Geräts einen sehr schwachen Kontrast hat.

Anders als bei Schallplatte oder Tonband siehst du nicht, wie sich die Musik beim Abspielen bewegt. Sie ist noch weniger sinnlich als die CD, die wenigstens nicht in einer grauen, scheppernden Plastikbox eingeschlossen ist.

Praktisch ist die MiniDisc aus heutiger Sicht auch nicht. Heute kannst du mit jedem Smartphone kabellos aufzeichnen und abspielen. Bei der MiniDisc hast du drei Kabel an einem winzigen Gerät, wenn gerade mal wieder die Batterien leer sind und du Netzstrom brauchst. Ein Album aufzunehmen dauert so lange wie das Album halt dauert, also lange. Immerhin: Die Soundqualität ist auch nach heutigen Standards noch okay.

Ich habe eine Schwäche für Vintage Audio. Für alte Verstärker, für Kassetten und Spulentonband, auch für Schallplatten und sogar CDs kann ich etwas abgewinnen. Aber der MiniDisc weine ich keine Träne nach.

Braucht jemand zufällig einen MiniDisc-Recorder?

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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