
Sechs Besen für eine sinnliche Erfahrung, und mehr
Ist das Kunst oder kann das Dreck? An der Mailänder Designwoche gab’s unter anderem ineffiziente Besen oder angekettete Lampen auf dem Boden zu sehen. Diese sechs «funktionalen Kunstwerke» sind mir vor allem aufgefallen.
Am diesjährigen Salone del Mobile haben manche kreativen Köpfe zwar nicht das Rad neu erfunden, aber um einiges schöner gemacht. Von Heizkörpern bis hin zu Insektenhotels habe ich Bekanntes bestaunt und bin sofort darauf abgefahren. Zwölf Stücke sind mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben. Ich dokumentiere sie in zwei Teilen – heute eine Geschichte und morgen eine – in der Hoffnung, dass ich die Ausstellungen hier kurz zum Leben erwecken kann.
1. Milano Free Standing
Den frei stehenden Elektro-Heizkörper habe ich glatt für eine Skulptur gehalten. Genau das ist das Ziel von Tubes Radiatori. Der italienische Hersteller fertigt verspielte Heizungen aus Stahl an, die überall im Raum als Highlight eingesetzt werden. Ein Beispiel dafür ist das Modell «Milano Free Standing», das in der Galerie «H + O Apartment» während des Salone gezeigt wurde.
2. Object for a body
Auch das Keramikobjekt von Anders Herwald Ruhwald verwechsle ich im ersten Moment mit Kunst. Doch es ist ein Hocker. Der Name deutet an, dass «Object for a body» für den menschlichen Körper gemacht ist. «Die Stücke sind eine Art Skulptur mit offenem Ende (wie alle Stühle), die sich ständig ändern, wenn sich die Menschen und der Kontext um sie herum ändern», schreibt der Designer dazu. Auf dem Hocker sitzen und damit verschmelzen, konnte ich in dieser Ausstellung nicht. Damit ich glauben kann, dass Keramik gar nicht so zerbrechlich ist, hoffe ich nächstes Mal auf einen Test.
3. Paradise
Als ich den Raum betrete, werde ich kurz ins Lampenparadies von Lindsey Adelman katapultiert. Weil die New Yorkerin ihre Werke modularer als die meisten gestaltet, können diese den ganzen Raum einnehmen. Sie hängen mal hoch oben und mal knapp bis über den Boden und lassen mich wieder an Zauberei glauben: Die LEDs sind so dezent integriert, dass ich sie kaum wahrnehme. Stattdessen kann ich die leuchtenden Kugeln und ihre Kettenverbindungen bestaunen. Sie scheinen wie gemacht zu sein für die neuen Ausstellungsräume von Alcova, die sich in einem ehemaligen Militärkrankenhaus befanden.
4. Roll Chair
Das kreative Duo von Mut Design aus Valencia präsentierte ihre Auswahl der Designs aus den letzten Jahren ebenfalls in Alcova im Inganni-Quartier. Darunter den minimalistischen und stapelbaren Stuhl «Roll Chair». Er ist inspiriert von den Beinstreckgeräten aus dem Fitnessstudio: «Durch eine ungewöhnliche Silhouette machen wir aus einem gewöhnlichen Industrieobjekt ein Kunstwerk», so Mut. Und tatsächlich soll es möglich sein, auf dem kühnen Stuhl bequem sitzen zu können. Testen konnte ich das im Rahmen dieser Ausstellung leider nicht, aber vielleicht bei einer anderen Gelegenheit.
5. Leaf
Um die Biodiversität zu erhalten, haben die Studios Arde und Rethink ein Insektenhotel für den norwegischen Hersteller von Stadtmöbeln Vestre entworfen. Darin sollen Bienen und Co. mitten in der Stadt «einchecken» können. Obendrein soll das Design mit einem skulpturalen Charakter Städte verschönern: «Die Silhouette des Hotels basiert auf der eines stilisierten Blattes», so Vestre. Ausserdem tragen die Farben dazu bei, dass es in einem Grossstadtdschungel noch bunter zugeht.
6. Das Tun an sich
Mit gekrümmten Köpfen und Stäben sind die Besen von Agnes Kelm so gestaltet, dass du sie zwar nicht effizient nutzen, aber dafür beim Putzen meditieren kannst. «Der Besen mit einem kreisförmigen Griff ermöglicht eine grosse Bewegung, die der des Sensens gleicht», meint die Designerin. «Dadurch ist der ganze Körper in Bewegung.» Und alles geht etwas langsamer, damit du den Augenblick bewusster wahrnehmen kannst. Mit ihrer Arbeit möchte Agnes in unserer leistungsorientierten Gesellschaft ausnahmsweise den Prozess vor das Ergebnis stellen. Ganz nebenbei macht sie den Besen durch die neue Form zum Schmuckstück.
Morgen kommt der zweite Teil mit Designobjekten, die das Rad auf Hochtouren bringen. Stay tuned.
Es gibt zwei Arten, sein Leben zu leben: entweder so, als wäre nichts ein Wunder, oder so, als wäre alles ein Wunder. Ich glaube an Letzteres.
– Albert Einstein