
Hintergrund
«Hollywood Animal»: Glanz, Dreck und Glamour der Traumfabrik
von Kim Muntinga
Wo Bäume atmen, Schlösser wandeln und Träume fliegen. In Filmen wie «Mein Nachbar Totoro» und «Chihiros Reise ins Zauberland» schafft Studio Ghibli unvergessliche Welten und bepflanzt sie mit schwierigen Themen und einzigartigen Charakteren. Ein Rückblick in Filmen.
Die Geschichte von Studio Ghibli beginnt am 15. Juni 1985. Die zwei Regisseure Hayao Miyazaki und Isao Takahata sowie Produzent Toshio Suzuki legen den Grundstein für eine bewegende Geschichte. Gemeinsam stellen sie nicht nur die Art der japanischen Zeichentrickfilme auf den Kopf, sondern prägen das Kino weltweit.
Dank der starken Persönlichkeit und Vision von Hayao Miyazaki entstehen tiefgründige Geschichten, verpackt in einzigartige Welten und Charaktere, die sich einprägen. Mich begleiten bis heute Szenen, wie die in Schweine verwandelten Eltern aus «Chihiros Reise ins Zauberland». Ein Ergebnis von Miyazakis Lebensweg: Dieser ist von Kriegserfahrungen, familiären Herausforderungen und einer frühen Entscheidung für die Kunst des Zeichentrickfilms geprägt.
Möchtest du mehr über seine Einflüsse und Hintergründe erfahren, kann ich dir eine Dokumentation über ihn von Arte empfehlen. Diese steht noch bis zum 1. Juli 2025 frei zur Verfügung. In meinem Artikel gehe ich auf einzelne Filme aus dem Hause Ghibli und ihre tiefer greifenden Botschaften ein. Gleichzeitig ein bisschen Nostalgie und Augenöffnen sozusagen – und ein Aufruf, (mal wieder) einen der wunderbaren Filme anzuschauen.
Bereits in den frühen Werken des Studios steht die Natur im Mittelpunkt. 1984 erblickt das Werk «Nausicaä - Prinzessin aus dem Tal der Winde» das Licht der Welt. Die Geschichte spielt in einer postapokalyptischen Welt. Diese wird von einem giftigen Wald mit gigantischen Insekten bedroht. Die junge Kriegerin Nausicaä liebt die Natur und möchte ein Gleichgewicht zwischen diesem zerstörerischen Wald und den gegen ihn kämpfenden Menschen herstellen. Sie erkennt, dass der Wald und die Natur eine wichtige Stellung haben. Die Menschheit muss lernen, damit im Einklang zu leben, statt dagegen anzukämpfen. Ganz ähnlich ist auch die Botschaft bei «Prinzessin Mononoke» von 1997. Auch dort sollen die Menschen im Einklang mit der Natur leben.
Etwas kindlicher und magischer ist die Herangehensweise bei «Mein Nachbar Totoro» aus dem Jahr 1988. Hier ziehen die Schwestern Satsuki und Mei mit ihrem Vater zur kranken Mutter aufs Land. Die Kinder finden dort eine magische Welt voller Waldgeister vor – und natürlich den knuffig bärigen Totoro. Zusammen erleben sie zauberhafte Abenteuer in einer wundervollen Natur. Vielleicht ein Aufruf von Miyazaki, nach unserem eigenen Nachbarn Totoro Ausschau zu halten, der uns die Magie der Natur zeigt?
Zwar sind die drei Gründer von Studio Ghibli allesamt Männer, doch in ihren Filmen stehen häufig furchtlose, rebellische Mädchen im Mittelpunkt. Eine schöne Botschaft, wie ich finde. So auch bei «Kikis kleiner Lieferservice» von 1989. Die Hexe Kiki muss bereits mit ihren zarten 13 Jahren das Elternhaus verlassen und in eine fremde Stadt ziehen. Dort gründet sie einen Lieferservice per Besenkurier. Dabei erlebt sie Höhen und Tiefen und verliert zwischenzeitlich sogar ihre magischen Fähigkeiten. Kiki wird in ihrer Herausforderung, erwachsen zu werden, als mutige und eigenständige Persönlichkeit dargestellt. Herzerwärmend!
Meinen Lieblingsfilm von Studio Ghibli habe ich bereits angedeutet: «Chihiros Reise ins Zauberland» (2001). Die kleine Chihiro landet mit ihren Eltern in einer mysteriösen Welt. Diese werden jedoch in Schweine verwandelt und das Mädchen ist völlig auf sich alleine gestellt. Sie ist für eine vorbildliche Protagonistin, die sich in einer fremden Welt behauptet, ihren Weg zur Eigenständigkeit findet und ihre Stärken entdeckt. Als Kind bewunderte ich Chihiro, hatte aber dennoch einen flauen Magen bei der einen oder anderen Szene. Als Erwachsene verstehe ich den Kern des Films um einiges mehr, was die Geschichte noch schöner macht!
Der Zweite Weltkrieg ging nicht spurlos an Hayao Miyazaki vorbei. So beschäftigt er sich in einigen Filmen mit kriegerischen Auseinandersetzungen – aber auch mit anschliessenden Versöhnungen. «Das wandelnde Schloss» von 2004 ist ein sehr gelungenes Beispiel hierfür. Die Hauptfigur Sophie ist Hutmacherin und wird durch einen Fluch in eine alte Frau verwandelt. Fortan lebt sie mit anderen Bewohnern zusammen im vierbeinigen, wandernden Schloss des jungen Zauberers Howl. Doch ein grosser Krieg tobt und die Bewohner des Schlosses müssen sich zusammen mit Sophie gegen eine Kriegsmaschine stellen – nur wie? Und weshalb überhaupt dieser Krieg? Und ist ein Zauberer wirklich Sophies einzige Hoffnung? So viele Fragen, die ich mir auch in der echten Welt stellen könnte…
Noch stärker thematisiert wird der Krieg im biografisch inspirierten Film «Wie der Wind sich hebt» von 2013. Hier geht es um Jirō Horikoshi, ein Ingenieur, der tatsächlich gelebt hat. Er entwarf die berühmten japanischen Zero-Jagdflugzeuge (Mitsubishi A5M) im Zweiten Weltkrieg. Im Film geht es um Jirōs Leidenschaft für das Fliegen, aber auch um das Dilemma, dass seine Ideen für den Krieg missbraucht werden.
Studio Ghibli ist charakteristisch durch das Verpacken realer Themen in fantastische Geschichten voller Magie. Neben «Chihiros Reise ins Zauberland» und dem «wandelnden Schloss» hat das Studio noch weit mehr Filme, die dich in eine Welt der Träume und Fantasien mitnehmen.
Das neueste Werk von Studio Ghibli ist «Der Junge und der Reiher» aus dem Jahr 2023. Auch in diesem Film sind Krieg und Tod allgegenwärtig. Der Protagonist Mahito hat seine Mutter im Krieg verloren und zieht mit seinem Vater und dessen Frau aufs Land. Dort entdeckt er einen verlassenen Turm und ein Reiher lockt ihn in eine magische Parallelwelt. Der Film ist emotional sehr komplex und vermischt die Welt der Fantasie, des Traums und einer oft schmerzhaften Wirklichkeit zu einem eindrucksvollen Gesamtbild.
Die zahlreichen Geschichten, die das Studio Ghibli so liebevoll und von Hand zum Leben erweckt hat, haben einiges gemeinsam. Neben dem unverkennbaren Zeichenstil, den einzigartigen Figuren und Welten, bestechen die Filme durch ihren Tiefgang. Ein Katz-und-Mausspiel von Traum und Wirklichkeit, Krieg und Versöhnung.
In den 40 Jahren seit der Gründung sind wir mit diesen Filmen reichlich beschenkt worden, und nie haben sie an Aktualität verloren – im Gegenteil. Nie war die Rücksicht auf Natur und die Frage nach der Sinnhaftigkeit von Krieg so wichtig. Ganz zu schweigen davon, dass noch viel mehr Kinder und weibliche Charaktere die Hauptrolle spielen dürfen, um die Menschheit vor sich selbst zu retten.
Wie es um die Zukunft von Studio Ghibli steht, mögen die Sterne wissen. Unbestreitbar ist Hayao Miyazaki die treibende Kraft. Mit seinen 84 Jahren ist allerdings ungewiss, wie lange er noch weitermacht. Eine Nachfolge wurde bisher noch nicht gefunden. Was bleibt, ist das Vermächtnis und ein Einfluss auf die weltweite Kinoindustrie, wie sie sich wohl auch Miyazaki, Takahata und Suzuki niemals erträumt hätten. Oder vielleicht doch?
In der Kommentarspalte ist Platz für Nostalgie, liebe Worte und deine Empfehlungen aus der Filmwelt von Studio Ghibli.
Seit ich einen Stift halten kann, kritzel ich die Welt bunt. Dank iPad kommt auch die digitale Kunst nicht zu kurz. Daher teste ich am liebsten Tablets – für die Grafik und normale. Will ich meine Kreativität mit leichtem Gepäck ausleben, schnappe ich mir die neuesten Smartphones und knippse drauf los.