Tell geht in die Luft – Raumfahrtnation Schweiz, Episode 1
Hintergrund

Tell geht in die Luft – Raumfahrtnation Schweiz, Episode 1

Martin Jud
13.3.2020

Als Mitglied der ESA ist die Schweiz längst im Weltraum. Doch sie ist keine eigenständige Raumfahrtnation. Dazu müsste die Schweiz mit eigener Trägerrakete einen eigenen Satelliten in den Weltraum bringen.

Wer denkt, dass die Schweiz noch weit davon entfernt ist, eine Raumfahrtnation zu werden, hat Unrecht. Denn dank der ETH Zürich gibt es die Akademische Raumfahrt Initiative Schweiz (ARIS), welche sich der Entwicklung und dem Bau von Forschungsraketen und anderer Raumfahrt-relevanter Hardware verschrieben hat.

Infolge dieser Initiative respektive eines aus knapp 100 Studenten verschiedener Hochschulen bestehenden Teams, könnte es bereits in zehn Jahren soweit sein. So zumindest der Fahrplan des Raketenprojekts: Bis 2024 soll die selbst entwickelte Rakete imstande sein, eine Höhe von 50 Kilometern zu erreichen und Payload (Nutzlast) auszuwerfen. Das grosse Ziel, Satelliten in einen Orbit zu bringen, soll bereits 2029 folgen.

Gut möglich, dass das hoch gesteckte Ziel 2029 erreicht wird, denn das Projekt ist auf Kurs: Im vergangenen Sommer hat die selbstgebaute Rakete HEIDI beim weltweit grössten Ingenieurwettbewerb für Raketenbau – dem Spaceport America Cup 2019 – in der grössten Wettbewerbskategorie alle Erwartungen übertroffen. Wie genau, verrate ich in der dritten Episode. Doch soviel sei bereits gesagt: Was vergangenes Jahr geschah, ist verdammt erstaunlich, da der Studentenverein für Raumfahrtbegeisterte erst seit Herbst 2017 existiert.

Spaceport America Cup

Der Spaceport America Cup findet seit 2017 in der Wüste von New Mexico statt. Dabei handelt es sich um eine grosse Konferenz und den grössten Wettbewerb für Raketentechnik zwischen Hochschulen und Universitäten. Ein Ingenieurwettbewerb, bei welchem rund 1500 Studenten beziehungsweise 122 Teams in sechs Kategorien teilnehmen.

Am Cup treten Raketen mit solidem, liquidem oder hybridem Treibstoff an. Raketen mit selbst entwickeltem Triebwerk sind genauso vertreten wie solche mit gekauftem. Ausserdem unterscheiden sich die Kategorien in der Zielflughöhe; geflogen wird auf 10 000 Fuss (3048 Meter) oder 30 000 Fuss (9144 Meter).

Um die 122 Teams aus aller Welt treten an.
Um die 122 Teams aus aller Welt treten an.
Quelle: spaceportamericacup.com

Das Schweizer Team ARIS ist bereits zweimal angetreten. Geflogen wurde in der grössten Kategorie mit über 50 Mitbewerbern, bei welcher folgende Ziele angestrebt werden:

  • Vier Kilogramm Nutzlast sollen auf eine Zielhöhe von 10 000 Fuss gebracht werden.
  • Die Rakete soll wiederverwendbar sein und nach dem Flug ganz geborgen werden.
  • Die Nutzlast besteht aus drei Cubesats (10 x 10 x 10 cm), die drei unabhängige Experimente mit hohem wissenschaftlichem Wert enthalten. Diese sollen während dem Flug erfolgreich durchgeführt werden.

Aller Anfang ist schwer: Wenn sich monatelange Arbeit innert Sekunden selbst zerstört

Die erste ARIS-Rakete wurde TELL getauft und trat im Juni 2018 am Spaceport America Cup an. Dank viel Innovation gewann TELL gleich auf Anhieb einen Preis – den Charles Hoult Award für die Modellierung und Simulationen des selbstentwickelten Luftbremsendesign.

Allerdings war der Flug nicht erfolgreich, denn TELL wollte den sinnbildlichen Apfel nicht treffen. Zwar hob die Rakete mit 200 Metern pro Sekunde ab, doch bereits nach 1,4 Sekunden Flugzeit war Sense.

Video zeigt Zeitlupenaufnahme.

Vermutlich hat eine zu lange Wartezeit vor dem Start dafür gesorgt, dass die Wüstentemperaturen das Triebwerk der Rakete trotz weisser Farbe zu sehr erhitzt haben. Oder das gekaufte Triebwerk war ein Montagsmodell. Jedenfalls resultierte ein Überdruck.

Da das Team die Rakete gut designed hat, ist sie nicht in tausend Teile zersprungen – ein Gewinde oberhalb des Triebwerks hat Schlimmeres verhindert. Dennoch wurden die Träume der Studenten und deren monatelange Arbeit in Sekundenbruchteilen zerstört. Wie sehr TELL in Mitleidenschaft gezogen wurde, zeigen die geborgenen Teile.

Dieser Riss stammt vom Aufprall.
Dieser Riss stammt vom Aufprall.
Quelle: Thomas Kunz
Alles verbogen...
Alles verbogen...
Quelle: Thomas Kunz
Die Elektronik sieht mittlerweile nicht mehr so «wild» aus wie bei TELL. Das Ganze passt heute auf ein kleines Board.
Die Elektronik sieht mittlerweile nicht mehr so «wild» aus wie bei TELL. Das Ganze passt heute auf ein kleines Board.
Quelle: Thomas Kunz

Glücklicherweise rafft sich das Team nach dem TELL-Rückschlag wieder auf. Und rückblickend gesehen ist es vielleicht gerade das Scheitern, das den nötigen Schub gibt, um im Herbst 2018 ein zweites Raketenprojekt anzugehen, bei welchem nicht nur die Fehler der Vergangenheit ausgemerzt werden, sondern das auch das Potenzial besitzt, für Höhenflug pur zu sorgen.

Nehmen sich Zeit, die Technologie der ARIS-Raketen zu erklären: Christoph German, Paul Prantl und Felix Dannert (v.l.n.r.). Bei der TELL-Rakete handelt es sich um einen Zwilling. Jedes Projekt wird in doppelter Ausführung umgesetzt.
Nehmen sich Zeit, die Technologie der ARIS-Raketen zu erklären: Christoph German, Paul Prantl und Felix Dannert (v.l.n.r.). Bei der TELL-Rakete handelt es sich um einen Zwilling. Jedes Projekt wird in doppelter Ausführung umgesetzt.
Quelle: Thomas Kunz

Ich habe das Team hinter ARIS besucht, mir die Technologie ihrer Raketen erklären lassen und mit dem Mann gesprochen, der vergangenes Jahr bei über 40°C in der Wüste von New Mexico die Ehre hatte, den Startknopf von HEIDI zu drücken.

Doch bevor es in die Wüste geht, wirst du in der zweiten Episode dieser Story erfahren, wie HEIDI aufgebaut ist und warum Rinderknorpelzellen gemeinsam mit der Rakete an den Start dürfen.

  • Hintergrund

    Das steckt in Heidi – Raumfahrtnation Schweiz, Episode 2

    von Martin Jud

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Der tägliche Kuss der Muse lässt meine Kreativität spriessen. Werde ich mal nicht geküsst, so versuche ich mich mittels Träumen neu zu inspirieren. Denn wer träumt, verschläft nie sein Leben.


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