Wann ist der perfekte Zeitpunkt, das schlafende Kind abzulegen?
Endlich ist das Kind eingenickt und du legst es in sein Bettchen. Kurze Zeit später ist es wieder wach und die Party startet von vorne. Was es mit dem Phänomen auf sich hat und welche Rolle ein Gitterbett dabei spielt.
Da trägst und wiegst du dein Kind mindestens tausend Schritte lang durchs Kinderzimmer, bis es endlich eingeschlafen ist. Aber kaum ins Bettchen gelegt, öffnet es seine Augen schon wieder. Also hebst du es auf, führst deinen Marsch fort und wartest diesmal länger, um ganz sicher zu sein, dass es tief und entspannt schläft. Aber nix da, bald schreckt es erneut auf und ruft nach dir.
Wann ist denn verflixt noch mal der beste Zeitpunkt, das schlafende Kind abzulegen?
Es gibt keinen, das ist die schlechte Nachricht. Die gute: Das «Spielchen» ist weder aussergewöhnlich noch besorgniserregend. Es gehört in vielen Familien zum Alltag.
Damit zeige das Kind ein «ganz natürliches und kompetentes Bindungsverhalten», betont Kinderschlafcoachin Tilja Tanner. Wahrscheinlich mache es nur immer wieder die Erfahrung, ausgerechnet dann, wenn es sich entspannt, loslässt und einnickt, plötzlich alleine in seinem Bettchen zu liegen. «Wenn ein Kind schlafend abgelegt wird, ist das etwa so, wie wenn du auf dem Sofa einschläfst und dann in deinem Bett aufwachst. Das verunsichert dich und du fragst dich, was genau passiert ist.»
Hinlegen, solange das Kind noch wach ist
Schlafen bedeutet auch immer eine Trennung vom eigenen Bewusstsein – und von den Bezugspersonen. Evolutionsbiologisch gesehen war es seit jeher nun einmal am sichersten, im Schutz der Gemeinschaft zu schlafen. In der Urzeit wären Kinder, die irgendwo abgelegt wurden und dann friedlich schliefen, bald wilden Tieren zum Opfer gefallen. «Nur wissen kleine Kinder nicht, dass wir uns heute nicht mehr fürchten müssen, im Schlaf von einem Säbelzahntiger überrascht zu werden», erklärt Tanner.
Hinzu komme, dass Kinder erst mit etwa neun Monaten – mit der sogenannten Objektpermanenz – wissen, dass Mama und Papa auch noch da sind, wenn sie diese nicht über ihre Sinne wahrnehmen können.
Vor diesem Hintergrund ist klar, wann ein Kind am besten hingelegt werden sollte: nicht schlafend, sondern solange es noch wach ist. Damit es mitbekommt, wo es einschläft. Und auch dort wieder aufwacht.
In kleinen Schritten an die grosse Aufgabe
Das Kind soll also lernen, dort einzuschlafen, wo es später auch weiterschlafen soll. Und zwar liegend. Eltern wissen: eine Mammutaufgabe. Für die meisten Babys und Kleinkinder ist es am sichersten, in den Armen ihrer Eltern einzuschlummern, zumindest in ihrer Nähe – und sicher nicht wach hingelegt werden. Schon gar nicht alleine im Gitterbettchen im eigenen Zimmer, wo Körperkontakt kaum möglich ist.
Wie kommt ihr als Eltern also dahin? «Schrittweise», erklärt Tilja Tanner. Wobei es hier verschiedene Möglichkeiten und kein Patentrezept gebe. Wie so oft sei die Analyse des Schlafrhythmus’ ein erster Schritt. Wenn ein Kind etwas Neues lernen solle, sei es wichtig, seinen passenden Einschlafzeitpunkt zu kennen. Und dann: Vertrauen schaffen. «Ich empfehle, die Schlafsituation erst mal in der Bindung zum Kind gemeinsam zu stabilisieren und dann in Richtung mehr Selbstständigkeit zu verändern.» Ab ungefähr sechs Monaten sei das möglich.
Schlafen sei eine Regulationssituation – die Frage sei also, wie man das Kind begleiten könne, Schritt für Schritt und altersentsprechend seinen Schlaf selbst zu steuern. «Zum Beispiel, indem die Eltern erst einmal einen Schlafplatz gestalten, wo sie gemeinsam mit dem Kind liegend einschlafen können.» Dann soll die Unterstützung reduziert werden, bis das Einschlafen auch neben den Eltern liegend gelingt. «Selbstständig im eigenen Bettchen einzuschlafen ist für viele Kinder erst möglich, wenn sie bereits Erfahrungen im Einschlafen ohne direkten Körperkontakt sammeln konnten.»
Dazu braucht es positive Erfahrungen, um zu verstehen, dass Schlafen ein sicherer Zustand ist. «Deshalb macht es absolut Sinn, ein Baby viel zu tragen, mit ihm gemeinsam zu schlafen und ihm mit der Bindung die Erfahrung zu ermöglichen, dass Schlafen sicher ist und Einschlafen ganz leicht geht», sagt die Expertin. «Selbstständigkeit basiert auf Vertrauen. Und Vertrauen entsteht aus vielen positiven Erfahrungen.»
Gitterbett ja, aber…
Zumindest im ersten Jahr und auch darüber hinaus schlafen viele Kinder in Anwesenheit ihrer Eltern besser. Ob das im Bodenbett, im Familienbett, im Beistellbett oder im eigenen Bettchen im Zimmer der Eltern ist: «Da gibt es kein Richtig oder Falsch. Wichtig ist, dass sich alle mit der Situation wohlfühlen.» Selbst ein Gitterbett könne durchaus Sinn machen, sagt Tilja Tanner. Etwa, wenn man eine Gitterseite entfernen könne. «So besteht die Möglichkeit, es in einem ersten Schritt als grosses Beistellbett ans Elternbett zu stellen. Und gleichzeitig kann das Kind erste Erfahrungen mit seinem Gitterbett sammeln.»
Bis wann sollten die Kinder dann aber allmählich ganz ohne elterliche Unterstützung einschlafen? Auch hier: Den perfekten Zeitpunkt gibt es laut Tilja Tanner nicht. Am Ende müsse es für jede Familie individuell passen. «Meine Jungs schlafen mit zweieinhalb und fünfeinhalb Jahren jeden Abend selbstständig in ihrem Bett ein – mit unserer Anwesenheit», sagt sie. «Wir alle geniessen das so!»
Dieser Beitrag erscheint innerhalb einer mehrteiligen Serie mit Tilja Tanner zum Thema Kinderschlaf. Du hast Anmerkungen oder Fragen, die du in den kommenden Artikeln klären willst? Lass es uns in den Kommentaren wissen oder schreib mir eine E-Mail.
Bereits erschienen sind folgende Beiträge:
Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.