Waren die «Gilmore Girls» schon damals unausstehlich?
Meinung

Waren die «Gilmore Girls» schon damals unausstehlich?

Angeheizt durch das Gerücht um eine neunte Staffel flimmern die «Gilmore Girls» nach langer Zeit erneut über meinen Fernsehbildschirm. Dabei scheine ich all die Jahre ein wichtiges Detail übersehen zu haben: Sie nerven.

Das sind sie also, die Heldinnen meiner Jugend. Durch die Augen einer 28-Jährigen schillern die «Gilmore Girls» längst nicht mehr so farbenfroh, wie ich sie aus meinen Teeniezeiten in Erinnerung habe. Anlässlich des jüngsten Gerüchts um eine zweite Fortsetzung, habe ich mir alle 157 Folgen nochmals reingezogen – inklusive der Netflix-Fortsetzung aus dem Jahr 2016. Fazit:

Das beliebte Mutter-Tochter-Duo ist unausstehlich.

Die 2000-er Serie erzählt die Geschichte der 32-jährigen, durchgeknallten Lorelai Gilmore (Lauren Graham) und ihrer von allen geliebten, 16-jährigen Tochter Rory (Alexis Bledel) auf dem Weg zur Elite-Uni. Parallel dazu wird die kaputte Beziehung zwischen der Alleinerziehenden Lorelai und ihren reichen, konservativen Eltern thematisiert. Diese kommen für die Ausbildung ihrer Enkeltochter Rory auf, verlangen im Gegenzug jedoch, dass Lorelai mit ihrer Tochter regelmässig auf Besuch kommt, damit sie eine Beziehung zu ihr aufbauen können. Während Rory die Verantwortungsbewusste der beiden ist und die Waage zwischen Klassenbester und Cool Kid hält, prägen rastlose, unüberlegte Handlungen Lorelais Charakter. Dabei ist sie ihrer Tochter mehr eine Freundin als eine Mutter. Es ist diese einzigartige Beziehung, die mich in jungen Jahren faszinierte. Ich wollte Rory sein. Und später, später da wollte ich mal Lorelai werden.

Lorelai (links) und Rory (rechts) sind anfangs unzertrennlich.
Lorelai (links) und Rory (rechts) sind anfangs unzertrennlich.

Von der Erwachsenen zurück zum Kleinkind

Während ich Lorelais Liebes-Hin-und-Her früher mit Spannung mitverfolgte und heute mit einem Augenrollen als Selbstsabotage abtun kann, bereitet mir meine einstige Idolisierung Rorys Mühe. In den ersten paar Staffeln sammelt die pflichtbewusste Schülerin mit ihrer Bodenständigkeit viele Sympathiepunkte, nur um sie dann ab Staffel fünf mit der Risikobereitschaft eines Investmentbankers zu verzocken. Damit ruft sie bei mir chronisches Kopfschütteln hervor, war es vor Jahren noch ein zustimmendes Nicken.

Meins

So startet sie ihr erstes Semester an der Yale-Universität mit einer Affäre mit ihrem unterdessen verheirateten Ex-Freund Dean (Jared Padalecki). Lorelai erwischt die beiden und versucht ihrer Tochter zu erklären, dass sie damit nicht nur sich selbst keinen Gefallen tut, sondern auch Deans junge Ehe gefährdet. Eine der wenigen Momente, in denen Lorelai aus der Rolle der Freundin schlüpft.

Rory trotzt und zieht die Affäre weiter. Mit wirren Sätzen wie «Er ist kein verheirateter Mann. Er ist Dean. Mein Dean», «Ich bin kein Kind. Ich bin 19» und «Er war zuerst mein Freund» versucht sie, ihr Handeln zu rechtfertigen und schiebt dabei die Schuld auf Deans Ehefrau. Dean wird zum Spielzeug, mit dem keine andere spielen darf. Der Streit entzweit Mutter und Tochter vorübergehend. Dean, der seine Jugendliebe Rory seit der Trennung von ihr nie vergessen konnte, lässt sich scheiden und startet mit ihr hoffnungsvoll in eine zweite Beziehungsrunde, nur um ein paar Folgen später zu merken, dass es Rory nicht ganz so ernst meint wie er.

Sie ist «etwas Besonderes». Ist sie?

Es dauert nicht lange und die hübsche Rory, der bis dato alles gelang, angelt sich an der Uni einen Ersatz: den stinkreichen Logan Huntzberger (Matt Czuchry). Sein Vater – zufällig ein Medienmogul – organisiert der angehenden Journalistin ein Praktikum. In einem Feedbackgespräch äussert er seine Bedenken betreffend ihrer Berufswahl: Er glaubt nicht daran, dass sie das Zeug zur Journalistin hat. Um ihrem Ärger Luft zu machen, entwendet sie noch am selben Tag mit Logan eine Jacht – was man als bodenständiges Mädchen halt so tut – und landet im Gefängnis. Zwischen Rory und ihrer Mutter, die die Beziehung zum verwöhnten Huntzberger nicht gutheisst, entsteht Funkstille. Schon wieder.

Ihre Grosseltern versuchen derweil, Rory mit Geld und guten Anwälten aus dem Schlamassel zu helfen – vergebens. Rory und ihre Grosseltern sind entrüstet. Schliesslich ist Rory, wie oft und gerne in der Serie erwähnt wird, «etwas Besonderes». Das sieht das Gericht anders und verurteilt sie zu 300 Sozialstunden. Daraufhin hängt Rory ihr Studium an den Nagel – und das nach allem, was ihre Mutter und Grosseltern bereits in ihre Ausbildung investiert haben. Wer so schnell einknickt, dem fehlt vielleicht wirklich die Standhaftigkeit, die der Job des Journalisten voraussetzt.

Auch eine Erwähnung wert: Logans Eltern befinden Rory für nicht gut genug. Ein Problem, das Rory bis anhin nur aus der anderen Perspektive kannte, weil ihre Grosseltern alle ihre Ex-Freunde für unter ihrer Würde befanden. Auf diese Demütigung reagiert sie mit dem folgenden Satz: «Ich bin eine Gilmore. Wissen die das nicht?» Ein schwaches Argument für die sonst so debattierfreudige Rory.

Die Gefühle anderer lassen sie kalt

Die achte und letzte Staffel der Erfolgsserie, die Netflix-Fortsetzung «Gilmore Girls: Ein neues Jahr», lässt selbst für überzeugte Rory-Fans keinen Interpretationsspielraum mehr zu: Sie ist ein undankbares Gör – und das im Alter von 32.

Rory hat eine Affäre mit ihrem damaligen Uni-Freund Logan, der jedoch mit einer anderen verlobt ist. Die Nummer kennen wir bereits. Dass Rory selbst seit zwei Jahren einen Freund hat – Paul, das arme Schwein – vergisst sie immer wieder. Wortwörtlich. In einer Szene sitzen Lorelai und Rory im Café. Paul ist auf der Toilette und wäscht sich gerade die Hände. Lorelai nutzt die Zeit und flüstert ihrer Tochter zu: «Du musst unbedingt mit dem Jungen Schluss machen.» Darauf Rory: «Ja ich weiss, ich möchte es ja andauernd. Aber dann vergesse ich es.» Dann verlassen sie das Café. Paul ist noch auf der Toilette.

Rory und Logan treffen sich heimlich.
Rory und Logan treffen sich heimlich.

Als Rory ihrer Mutter eröffnet, dass sie ein Buch über ihr Familienleben zu zweit schreiben möchte, ist Lorelai, die bereits mit 16 schwanger wurde und von zu Hause abgehauen ist, um Rory fernab von ihren konservativen Eltern grosszuziehen, dagegen. Sie möchte nicht, dass ihre Lebensgeschichte öffentlich gemacht wird. Rory hat kein Verständnis dafür. Es folgen Aussagen wie: «Bitte Mom, ich muss es tun» und «Ich hab mir das sogar ganz genau überlegt. Ich bin kein Kind». Letzteres scheint Rory ja häufiger betonen zu müssen. Vielleicht weil sie weiss, dass sie sich wie eins verhält?

Im Laufe der acht Staffeln kommt Rory in den Genuss zahlreicher Privilegien, die sie nicht allein ihrer Intelligenz zu verdanken hat, sondern ihrem Aussehen und den finanziellen Mitteln sowie Beziehungen ihrer Grosseltern und ihres Ex-Freundes Logan: Privatschule, ein nach ihr benanntes Fakultätsgebäude an der Uni, schöne Ferienhäuser, Limousinenfahrten samt Chauffeur, ein neues Auto und so weiter und so fort. Dennoch versucht sie bei jeder Gelegenheit klar zu stellen, dass sie nicht zu dieser Sorte privilegierter Menschen gehört, von denen sie ihre Mutter einst fernhalten wollte.

Rory vs. Britney

Fassen wir zusammen: Kritik erträgt Rory nicht, geschweige denn einen mütterlichen Rat. Dieser wird in der Serie mehrmals mit einem längeren Kontaktabbruch quittiert. Hat sie Stress mit ihrer Mutter, rennt sie zu den Grosseltern. Sind die Grosseltern das Problem, sucht sie bei Mama Trost. Verantwortung für ihr Handeln übernimmt sie selten. Schliesslich ist immer jemand da, der ihr die Hand oder das nötige Kleingeld reicht.

Weshalb also eiferte mein junges Ich Rory nach?

Rückblickend traf sie den Nerv meiner Teen-Generation. Zwar schmückten Poster der halb nackten Britney und dirty X-Tina mein Zimmer, aber daneben lächelte mir auch Rory unschuldig im Rollkragenpullover entgegen. Sie besetzte eine greifbare Idol-Nische fernab von blonden Popsternchen: Das des Schulmädchens mit Köpfchen, Aussehen und breitem, popkulturellem Wissen, in das sich jeder süsse Junge verliebt und das dem Stempel als Streber immer wieder aufs Neue entkommt. Die verständnisvolle Mutter Freundin, die ihr viele Freiheiten gewährte, rundete dieses einzigartige Gesamtpaket ab. Übernahm Lorelai doch mal die Gastrolle als Mutter, fühlte es sich an, als würde sie ihre Freundschaft verraten.

Im grösseren Kontext war Rory also doch «etwas Besonderes».

Und ich wollte auch etwas Besonderes sein.

Drei Generationen Gilmore.
Drei Generationen Gilmore.

No more Gilmore?

Über Rory in ihrer Vorbildfunktion bin ich offenbar hinausgewachsen. Ihre Ignoranz – für mich damals also noch ein Ausdruck der Rebellion, in dem ich mich wiedererkannte – kommt heute dem nervigen Gebrüll eines Kleinkindes gleich, angeheizt durch eine unscharfe Mutterfigur. Je älter Rory wird, desto lauter brüllt sie.

Halfen mir Rory und Lorelai einst dabei, meinen moralischen Kompass auszurichten, so zeigt dieser heute in eine völlig andere Richtung. Glücklicherweise ging meine Persönlichkeitsentwicklung über das Staffelfinale der Gilmores hinaus. So kann ich eine Serie noch so oft anschauen, ich werde sie stets mit neuen Augen betrachten. Die Story bleibt dieselbe. Ich dagegen nicht.

Bilder: IMDb

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Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich. 


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