Winterschwimmen: Ein cooles Vergnügen mit Risiken
Ratgeber

Winterschwimmen: Ein cooles Vergnügen mit Risiken

Siri Schubert
27.10.2023

Die Temperaturen der Schweizer Seen fallen. Für viele ist die Badesaison damit zu Ende. Doch für Winterschwimmerinnen und -schwimmer ist das kälter werdende Wasser ein Grund zur Freude. Worauf du bei diesem Outdoor-Wintervergnügen achten solltest, erfährst du hier.

Wer in den letzten Jahren im Winter einen Spaziergang entlang der Schweizer Seeufer gemacht hat, hat sie wahrscheinlich gesehen: Die Winterschwimmerinnen und -schwimmer, die sich – bibbernd, fluchend oder quietschvergnügt – in eiskaltes Wasser wagen.

Weil das Schwimmen oder Baden im kalten Nass nicht ganz alltäglich ist, löst der Hype ganz unterschiedliche Reaktionen aus. Die einen schwören auf unzählige gesundheitsfördernde Effekte, die anderen halten es schlichtweg für bescheuert. Dabei liegt die Wahrheit, wie so oft, irgendwo dazwischen. Weder ist das Winterschwimmen ein Allheilmittel für allerlei Beschwerden, noch ist es ein mit Sicherheit böse endendes Hobby von Selfie-besessenen Influencern.

Wenn du vorhast, in diesem Winter mit dem Kältetraining anzufangen, ist jetzt die beste Zeit. Noch sind die Temperaturen in Schweizer Seen erträglich und du kannst Körper und Geist allmählich an extremere Bedingungen gewöhnen. Versuche einfach, bei Wassertemperaturen zwischen zehn und 15 Grad einige Minuten im Wasser zu verweilen und ruhig zu atmen. Wenn du das regelmässig ein- bis zweimal in der Woche machst, kannst du deinen Körper und Geist auf Temperaturen unter zehn Grad vorbereiten. Im Januar und Februar ist das Wasser dann oft nur zwei bis vier Grad kalt und es kann sich scharfkantiges Eis an der Oberfläche bilden. Natürlich kannst du auch dann noch mit dem Winterschwimmen anfangen, aber es ist ungleich härter. Egal, wann du anfängst, hier sind zehn Tipps und Dinge, auf die du achten solltest.

1. Kaltwasserschwimmen macht Spass, ist aber riskant

Bei allem Vergnügen, das ein Eintauchen ins kalte Wasser bieten kann, vorab ein paar Sätze zu den Risiken. Unterkühlung ist eine echte Gefahr und kann zu Herzrhythmusstörungen, Bewusstlosigkeit und zum Ertrinken führen. Achte deshalb immer darauf, dass du nicht zu lange im Wasser bleibst und geh nicht allein. Leider gibt es keine Faustregel, wie lange man im Wasser bleiben sollte, deshalb ist es umso wichtiger, das Winterschwimmen besonnen anzugehen. Weder die Uhr noch das eigene Gefühl sind dabei (leider) verlässliche Ratgeber. Denn bei der Zeit, die du relativ sicher im Wasser bleiben kannst, spielen deine Tagesverfassung, deine Körperzusammensetzung, wie viel du gegessen und getrunken hast und andere Faktoren eine Rolle. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es sich im kalten Wasser auf einmal sehr wohlig anfühlen kann, gerade, wenn man in die Gefahrenzone gelangt. Deshalb: Lieber früher als zu spät aus dem Wasser gehen. Nach 30 Minuten steigt das Risiko deutlich. Und wer auf die gesundheitsfördernden Effekte des Kältetrainings, wie weniger Anspannung und bessere Laune setzt, erhält die meisten Vorteile ohnehin in den ersten Minuten.

2. Gewöhnung reduziert den Luftschnapp-Reflex

Das kennen alle, die sich schon einmal ins kalte Wasser gewagt haben: Die Atmung macht sich selbständig und steigert sich bis hin zur Hyperventilation. Dabei steigt das Risiko, dass du Wasser einatmest und ertrinkst. Du kannst dich aber durch kalte Duschen und Baden in kühlem – nicht kaltem – Wasser an den Kältereiz gewöhnen. Dadurch kannst du die Schnappatmung schneller und besser kontrollieren. Auf jeden Fall hilft es, sich gerade in den ersten 90 Sekunden ganz bewusst auf die Atmung zu konzentrieren.

3. Langsam ins Wasser gehen

Wenn wir ins kalte Wasser eintauchen, ziehen sich die Blutgefässe an Armen und Beinen, die sogenannten peripheren Blutgefässe, zusammen, um die Wärme im Körperkern zu konzentrieren. Dadurch steigt der Blutdruck schnell und massiv an. Das kann zu Schwindel und Schwächegefühl führen. Da Schwindel und Bewusstlosigkeit im tiefen Wasser gefährlich sind, ist langsames Hineinwaten ins Wasser absolut wichtig. Hineinspringen kann aus dem gleichen Grund fatale Folgen haben. Da die ersten 90 Sekunden wegen des plötzlich steigenden Blutdrucks und des Luftschnapp-Reflexes im kalten Wasser als die riskantesten gelten, ist es ratsam, sie stehend mit anderen Menschen in relativ flachem Wasser zu verbringen.

Behutsam ins Wasser gehen und auf die Atmung achten, erhöht die Sicherheit.
Behutsam ins Wasser gehen und auf die Atmung achten, erhöht die Sicherheit.
Quelle: Stefan Munsch

4. Welche Kleidung eignet sich?

In Sachen Badekleidung im Kalten gibt es zwei Lager: Die einen schwören auf Neopren, die anderen kleiden sich minimalistisch in Badehose oder Bikini. Das ist tatsächlich eine Sache der Vorliebe und orientiert sich daran, wie lange man im Wasser bleiben möchte. Mit Neoprenanzug ist längeres Schwimmen möglich, er gibt zudem etwas Auftrieb, schützt aber nicht vor dem Kalt-Wasser-Schock beim ersten Eintauchen.

Badehose oder Bikini sorgen für ein intensiveres und direkteres Kälte-Erlebnis. Ich bevorzuge den Bikini noch aus einem anderen Grund: Mit kalten, steif gefrorenen Fingern finde ich es fast unmöglich, den Neoprenanzug auszuziehen. Da schnelles Umziehen und trockene Kleidung wichtig sind, um wieder warm zu werden, setze ich auf schnell wechselbare Badekleidung wie einen Bikini. Ich ziehe gern noch eine Mütze aus Neopren auf, auch wenn es ein Mythos ist, dass wir 80 Prozent unserer Körperwärme über den Kopf verlieren. Wenn du dir sicher bist, dass dein Kopf trocken bleibt, kannst du auch eine warme Wollmütze anziehen. Oder ein kuscheliges Fleece-Beanie.

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5. Geniessen und keine Rekorde brechen

Es gibt sie, die Eisschwimmerinnen und -schwimmer, die auf die Eismeile oder die Weltmeisterschaften im Eisschwimmen trainieren (ein Interview mit einer Medaillengewinnerin folgt). Doch wer gerade mit dem Eisbaden oder Schwimmen anfängt, sollte es langsam angehen lassen und geniessen. Das Hochgefühl, das sich schon einstellt, nachdem du zwei Minuten im Wasser warst, wird nicht besser, wenn du es verkrampft und zitternd länger ausgehalten hast. Im Gegenteil.

6. Baden oder Schwimmen?

Viele geniessen das kalte Wasser im Stehen, konzentrieren sich auf die Atmung und ihre Gedanken und Gefühle. Andere lieben es, ein paar Meter im Wasser zurückzulegen.

Mit der Schwimmboje bleibe ich beim Schwimmen sichtbar und kann mich, falls nötig, festhalten.
Mit der Schwimmboje bleibe ich beim Schwimmen sichtbar und kann mich, falls nötig, festhalten.
Quelle: Siri Schubert

Das Schwimmen im kalten Wasser birgt eine Reihe von Risiken, die über jene vom Kaltwasserbaden, das auch «Dipping» genannt wird, hinausgehen. Während sich beim Stehen im kühlen Nass eine dünne Schicht Wasser um deinen Körper herum aufwärmt, strömt beim Schwimmen ständig frisches, kaltes Wasser an dir vorbei. Da der Blutfluss zu den Muskeln in Armen und Beinen verringert wird, nimmt deine Kraft und Koordination ab. Im schlimmsten Fall kannst du nicht mehr schwimmen. Bleib deshalb in Ufernähe und such dir einen einfachen Ausstiegsort, denn selbst das Heraufklimmen auf einen Steg, das sonst kein Problem darstellt, kann bei Kälte unmöglich werden – das habe ich selbst schon erlebt.

Wenn ich auch nur wenige Meter vom Ufer entfernt schwimme, habe ich eine Schwimmboje dabei. Sie hilft mir, wenn ich beispielsweise einen Krampf bekomme oder etwas Wasser schlucke und Husten muss. Da kaltes Wasser im Ohr den Gleichgewichtssinn beeinträchtigen kann, setze ich auf spezielle Schwimm-Ohrstöpsel. Um meine Augen vor der Kälte zu schützen, trage ich zudem eine Schwimmbrille.

7. Vorsicht vor dem Nachkühleffekt

Eine weitere Gefahr des Winterschwimmens ist der sogenannte Afterdrop, also das Nachkühlen des Körpers, wenn du schon wieder aus dem Wasser herausgestiegen bist. Früher glaubte man, er würde durch das Zurückfliessen des kalten Bluts aus Armen und Beinen zum Herzen hin verursacht. Inzwischen weiss man aber, dank der Forschung von Professor Mike Tipton an der University of Portsmouth, dass – vereinfacht gesagt – die äusseren, kühleren Körperschichten bis zu einer halben Stunde lang noch Kälte an das Körperinnere abgeben. Wenn der Körperkern zu kalt wird, kann das zu Herzrhythmusstörungen und Bewusstseinsstörung führen und schlimmstenfalls tödlich enden. Geh deshalb beim Kaltwasserschwimmen nicht an deine Grenzen, denn wenn du das Wasser verlassen hast, wird es erstmal noch kälter.

8. Schnell umziehen, langsam aufwärmen

Ziehe dir so schnell wie möglich warme, trockenen und windabweisende Kleidung an, wenn du aus dem Wasser kommst. Mit Betonung auf «wie möglich». Denn mit zunehmender Auskühlung sinkt auch die Koordination und das Anziehen wird zur akrobatischen Herausforderung.

Schnell in einen wärmenden Overall nach dem Bad im kalten Wasser schlüpfen.
Schnell in einen wärmenden Overall nach dem Bad im kalten Wasser schlüpfen.
Quelle: Siri Schubert

Zum Umziehen nehme ich gerne einen windabweisenden Poncho, der innen mit kuscheligem Frottee beschichtet ist. Für schnelles Umziehen ohne grosses Gefriemel mit Reissverschlüssen und Ähnlichem trage ich einen wärmenden Overall. Denn mit eiskalten, gefühllosen Händen ist es mitunter schwierig, Knöpfe zu schliessen. Auch Schuhe an gefühllose Füsse zu bekommen, stellt eine echte Herausforderung dar. Deshalb nehme ich gerne gefütterte, weite Boots, in die ich nur noch reinschlüpfen muss.

Eine heisse Dusche oder ein heisses Bad nach dem Kaltwasserschwimmen ist dagegen keine gute Idee. Durch den Temperaturunterschied können sich die Blutgefässe sehr schnell weiten und dir kann schwindelig werden. Ein warmes Getränk (ich nehme gern Ingwertee in einer Thermoskanne mit) kann dagegen gut tun.

9. Warmzittern kann helfen

Zittern, das sind kleine Muskelkontraktionen, die Wärme erzeugen. Sie sind unangenehm, helfen dir aber, wieder warm zu werden. Meine Kollegin Anna Sandner hat das Phänomen Zittern eingehend beleuchtet. Wenn du stark zitterst, sind deine Kohlenhydratspeicher in den Muskeln schnell leer. Ein zuckerhaltiger Snack kann hier helfen. In vielen Winterschwimmgruppen hat der Kuchen danach schon Tradition. Sogar das Magazin Outdoor Swimmer fragte bereits, ob Kuchen die perfekte Nahrung für Freiwasserschwimmer sei. Zittern an sich ist aber harmlos. Wenn jemand dagegen stark ausgekühlt ist, aber nicht mehr zittert, kann das ein ernstes Warnsignal sein, das unbedingt medizinische Aufmerksamkeit verlangt.

10. Cool bleiben

Winterschwimmen ist auf jeden Fall ein Trend und wenn du es ausprobieren möchtest, ist der Herbst, wenn das Wasser noch über 10 Grad warm ist, eine gute Zeit, um anzufangen und sich langsam an die fallenden Temperaturen zu gewöhnen. Fehl am Platz ist jedoch falscher Ehrgeiz. Wenn du das Winterschwimmen zum Wettkampf verkommen lässt, wird es schnell gefährlich. Behutsam anfangen und nichts erzwingen ist die Devise. Und: Es gibt tatsächlich keine Notwendigkeit, sich im Winter in kaltes Wasser zu begeben, ausser, wenn du wirklich Lust darauf hast und spürst, dass es dir gut tut. Wenn nicht: Ein zügiger Spaziergang am Seeufer bei kühlen Temperaturen ist wahrscheinlich genauso gesundheitsfördernd und deutlich weniger riskant.

Titelfoto: Siri Schubert

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Forschungstaucherin, Outdoor-Guide und SUP-Instruktorin – Seen, Flüsse und Meere sind meine Spielplätze. Gern wechsel ich auch mal die Perspektive und schaue mir beim Trailrunning und Drohnenfliegen die Welt von oben an.


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