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Mein iPhone und ich sind einander sehr nah.
Meinung

Zeit zurückholen: Bekenntnisse eines Cyber-Junkies

Thomas Meyer
9.12.2020

Ich bin onlinesüchtig. Seit 1997. Unmengen an Arbeits- und Lebenszeit habe ich dadurch vergeudet. Zum Glück gibt es heute wirksame Therapiemethoden. Ich stelle sie dir hier vor.

Ein wesentlicher Aspekt des Erwachsenwerdens ist die schonungslose Ehrlichkeit gegenüber sich selbst: Was tut mir gut? Was nicht? Was kann ich? Was nicht? Und ein noch viel wesentlicherer Aspekt ist die entsprechende Konsequenz: Alles unterlassen, was einem nicht guttut bzw. was man nicht kann.

Richtig schlimm wurde es, als ich 2009 mein erstes iPhone kaufte. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass ich es nur aus der Hand legte, um zu duschen oder zu schlafen. Dieses Gerät zog mich komplett in seinen Bann. Nun konnte ich permanent und überall surfen, mailen, spielen, fotografieren und Nachrichten schreiben. Der Teufel persönlich hatte diese Maschine gebaut, und zwar exakt für Menschen wie mich. Zur Krönung erfand er noch die sozialen Medien.

Ich fiel nicht weiter auf, weil ich bei jeder Arbeitsstelle von zahllosen anderen Online-Süchtigen umgeben war, aber erstens war mein Verhalten nicht korrekt und zweitens echt anstrengend. Ich fühlte mich ständig gezwungen zu reagieren: auf jede Nachricht, auf jeden Facebook-Kommentar.

Lösung, Teil eins: «Freedom»

Irgendwann stiess ich auf das Programm Freedom. Es funktioniert ganz simpel: Man definiert Zeitfenster, in denen man offline sein möchte. Während dieser Perioden ist der Computer vom Netz getrennt, woran man nichts ändern kann, auch nicht durch einen Neustart. Das war für mich die ideale Lösung und die Rückkehr in ein normales Arbeitsleben, ja überhaupt ins Leben.

Mein iMac ist nur von 7.00 bis 7.30, von 11.30 bis 12.00 und von 16.00 bis 17.00 online. Konkret der Browser und das Mailprogramm, meine übelsten Zeitvernichter. Andere Programme wie zum Beispiel die FTP-App sind immer mit dem Internet verbunden, stellen aber infolge ihrer dürftigen Attraktivität auch kein Risiko dar.

Ich würde diese Lösung als kontrollierten Konsum bezeichnen. Mir stehen jeden Tag drei kurze Zeitfenster zur Verfügung, in denen ich mich hemmungslos online austoben kann. Verpasse ich eines, ist das nicht weiter schlimm, weil das nächste schon bald naht. Ansonsten nutze ich den Computer nur, wofür er auch da ist: zum Arbeiten. Zum Verfassen von Texten wie diesem und zum Musikhören.

Für das iPhone, diesen kleinen Satan, taugte Freedom leider nicht, weil man es umgehen kann. Auch die vielen anderen Detox-Apps nützten mir nichts. Sie waren nichts anderes als hübsch gestaltete Timer. Ein Hardcore-User wie ich konnte darüber nur lachen. Zum Glück baute Apple irgendwann eine schlaue Funktion in das iOS ein. Eine schlaue und schockierende.

Lösung, Teil zwei: «Bildschirmzeit»

Ich begann, mir «Bildschirmzeit»-Limits zu setzen. Safari: 10 Minuten. Mail: auch 10. Schach: 20. Digitec und Galaxus: 15. Aber kaum waren die Grenzen erreicht, konnte ich einfach den Bildschirmzeitcode eingeben und mir eine Viertelstunde, eine Stunde oder den ganzen restlichen Tag weiterer Beschäftigung gönnen. Ein weiterer Tiefpunkt. Ich wusste jetzt einfach auf die Minute genau, wie schwach ich war.

Lösung, Teil drei: «Der fremde Code»

Hinsichtlich der Bildschirmzeit bestand die Überlistung darin, meine Partnerin einen Bildschirmzeitcode für mein iPhone festlegen zu lassen. Und nun, indem ich endlich richtig eingeschränkt bin, bin ich ironischerweise endlich richtig frei. Frei zum Schreiben. Frei zum Lesen. Frei zum Denken. Ich habe endlich Zeit. Oder besser: Ich habe meine Zeit zurückgeholt.

Ich finde das Internet grossartig. Es animiert und inspiriert mich. Ich finde auch Smartphones wunderbar, vor allem mein schönes gelbes iPhone 11. Ich liebe es wirklich. Aber es ist viel zu vereinnahmend für mich. Ich kann es nur mit klaren Einschränkungen besitzen. Es tut mir sonst nicht gut. Und die Frage, was einem guttut und was nicht, ist absolut zentral.

Bist du auch ein Cyber-Junkie? Wie gehst du damit um? Was hilft dir? Schreib es in die Kommentare!

Titelbild: Mein iPhone und ich sind einander sehr nah.

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Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch. 


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Hier liest du eine subjektive Meinung der Redaktion. Sie entspricht nicht zwingend der Haltung des Unternehmens.

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