«American Arcadia» im Test: ein fulminantes Abenteuer, das dich in Atem hält
Spielkritik

«American Arcadia» im Test: ein fulminantes Abenteuer, das dich in Atem hält

Philipp Rüegg
15.11.2023

«American Arcadia» ist die berühmteste Reality Show der Welt. Nur wissen das die Teilnehmenden nicht. Trevor ist einer von ihnen. In einem cineastischen Abenteuer helfe ich ihm bei der Flucht.

Trevor Hills ist die langweiligste Person in «American Arcadia». Die Reality-Show ist wie «Die Truman Show», nur ein vielfaches grösser. Und mit dem Unterschied, dass nicht eine, sondern alle Menschen unfreiwilliges Unterhaltungsprogramm für Millionen von Fernsehzuschauerinnen sind. Bei Trevor schaltet nur eine Person ein und das wird ihm zum Verhängnis. Wer in «American Arcadia» keine Quoten generiert, wird terminiert. Das will seine einzige Zuschauerin – Angela Solano – verhindern und hilft ihm bei der Flucht.

Trevor wird zum Marathon-Läufer.
Trevor wird zum Marathon-Läufer.
Quelle: Out of the blue

Mal rennen, mal hacken

In «American Arcadia» spiele ich abwechselnd Trevor oder Angela. Trevors Passagen sind in 2,5D gehalten und spielen sich wie typische Puzzle-Plattformer, in denen ich von links nach rechts renne. Bei Angela wechselt das Spiel in die Ego-Perspektive und statt Geschicklichkeit sind meine grauen Zellen gefragt.

Trevors «American Arcadia» ist eine retro-futuristische 70er-Jahre Metropole, die sich unter einer gigantischen Kuppel befindet. Schlaghosen und knallige Farben mischen sich mit fliegenden Drohnen und sprechenden Putzrobotern. Die echte Welt, in der Angela lebt, zählt das Jahr 2023.

Trevor lebt sein idyllisches und ereignisloses Leben, bis ihm Angela die Wahrheit über «American Arcadia» erzählt. Damit beginnt eine turbulente Flucht, die mich bis zum Schluss des Spiels in Atem hält. Anfangs geht es darum, die Verfolger abzuschütteln, die Trevor auf eine vermeintliche Kreuzfahrt begleiten wollen. Angela nennt sie «Beastie Boys», weil sie wie das Hip-Hop-Trio in ihrem Musikvideo «Sabotage» aussehen. Natürlich kann Trevor mit dieser popkulturellen 90er-Jahre-Referenz wenig anfangen. Er ist sowieso zu sehr mit Rennen beschäftigt.

Vivienne Walton ist die Chefin von Walton Media und das Gesicht von American Arcadia.
Vivienne Walton ist die Chefin von Walton Media und das Gesicht von American Arcadia.
Quelle: Out of the blue

Die Flucht führt den schlaksigen Büroangestellten hinter die Kulissen der Big-Brother-Sendung. Wenn Rennen und Klettern nicht mehr weiterhelfen, kommt Angela ins Spiel. Per Knopfdruck wechsle ich in ihre Ansicht, in der ich Trevor von ihrem Monitor aus beobachte. Angela arbeitet als Bühnentechnikerin bei Walton Media, dem Unternehmen hinter «American Arcadia». Dadurch hat sie Trevor immer auf dem Schirm. Angela ist eine gewiefte Hackerin. Sie hilft Trevor, indem sie Türen aufsperrt und Lichter ausknippst, damit er unbemerkt an Sicherheitsangestellten vorbeischleichen kann. Zwischendurch steuert sie auch mal einen Kran, um Trevor einen Fluchtweg über ein Hausdach zu bahnen.

Angelas Passagen spiele ich aus der Egoperspektive.
Angelas Passagen spiele ich aus der Egoperspektive.
Quelle: Out of the blue

Wenn Angela Trevor nicht direkt unter die Arme greift, muss sie sich Zugang zu abgesperrten Bereichen bei Walton Media verschaffen. Anfangs muss ich ein paar Kameras mit einem Video-Loop versehen, damit ich mir im Serverraum unbemerkt Admin-Rechte geben kann. Später sind die Rätsel kniffliger und ich muss Schaltkreise umprogrammieren oder mich in bester «Mission Impossible»-Manier durch Laserbarrieren schlängeln. Anders als beim Scientology-Aushängeschild Tom Cruise sind die Laser aber unsichtbar und ich muss mir vorher das Muster merken.

Multitasking

Oft ist nicht nur Teamwork, sondern auch Multitasking gefragt. Es dauert nicht lange und Angela zieht ebenfalls den Blick von Walton Media auf sich. Unangemeldet taucht der Sicherheitschef in ihrem Büro auf. Genau in dem Moment, in dem ich mit Trevor kurz davor bin, in einen rettenden Touristenbus zu schleichen. Menschen ausserhalb Arcadias können die Reality-Show nämlich besuchen – und wichtiger: auch wieder abreisen.

Angela kann Türen, Kameras oder Aufzüge fernsteuern.
Angela kann Türen, Kameras oder Aufzüge fernsteuern.
Quelle: Out of the blue

Die Kamera wechselt zurück zu Angela. Auf ihrem Monitor sehe und steuere ich weiterhin Trevor und versuche, ihn an Wachen vorbeizuschleusen. Ich muss rennen, wenn die Wasserfontänen auf dem Busbahnhof nach oben spritzen und mich kurzzeitig verdecken. Als Angela beantworte ich gleichzeitig die löchernden Fragen des Sicherheitschefs. Solche Momente stechen im Spiel des spanischen Studios «Out of the Blue» besonders heraus.

Die verschiedenen Schauplätze sorgen für Abwechslung.
Die verschiedenen Schauplätze sorgen für Abwechslung.
Quelle: Out of the Blue

Sowohl Trevors als auch Angelas Passagen haben einen tollen Fluss und nerven nur gelegentlich durch unnötiges Trial and Error. Eine halbe Stunde war ich etwa als Angela damit beschäftigt, immer und immer wieder belastende Post-it-Notes zu entfernen. Nur um mich jedes Mal von der schnüffelnden Chefin erwischen zu lassen. Bis ich irgendwann darauf kam, einfach die Vorhänge zu zuziehen. Als Trevor wurde ich des Öfteren von Drohnen mit Schlafpfeilen getroffen, weil mich irgendwo jemand gesehen hat. Sobald klar ist, was verlangt wird, geht es aber schnurstracks weiter. Langeweile kommt nie auf.

Charmante Hauptfiguren und cineastische Präsentation

Die beiden Protagonisten sind gute Unterhalter. Da sie meist in Funkkontakt zueinander stehen, tauschen sie mehr als nur lebensnotwendige Informationen miteinander aus. Besonders Trevor ist wissbegierig, was hinter der Fassade von Arcadia steckt. Je weiter das Spiel fortschreitet, umso mehr wird er vom unscheinbaren Arbeiter im Hamsterrad zum schlagfertigen Draufgänger. Angela ist von Anfang an nicht auf den Mund gefallen und steht im ständigen Schlagabtausch mit ihrer linientreuen Chefin.

Die Charaktere wie Trevor sind mir sofort ans Herz gewachsen.
Die Charaktere wie Trevor sind mir sofort ans Herz gewachsen.
Quelle: Out of the blue

Für Stimmung sorgen auch die Zwischensequenzen. Regelmässig wird das Spiel von Interviews, aufgezeichneten Fernsehsendungen oder Arcadia-Werbekampagnen unterbrochen. Darin erfahre ich mehr über die Entstehung des goldenen Käfigs, Waltons Machenschaften und wie die Welt über American Arcadia denkt. Hier geizt das Spiel nicht mit Gesellschaftskritik und zeigt, wie unverfroren, voyeuristisch und sensationsgeil wir sind.

Arcadia besteht aus abwechslungsreichen und beeindruckenden Schauplätzen. Visuell ist das Spiel wunderschön und cineastisch inszeniert – trotz schlicht gehaltenem Grafikstil. Die Gesichter sind selbst ohne Nasen ausdrucksstärker als die Schaufensterpuppen in «Starfield». Einen grossen Teil zur Stimmung tragen auch die englischsprachigen Sprecherinnen und Sprecher bei. Allen voran Yuri Lowenthal als Trevor und Krizia Bajos als Angela.

Der Grafik-Stil ist simpel, erzeugt aber stimmungsvolle Szenen.
Der Grafik-Stil ist simpel, erzeugt aber stimmungsvolle Szenen.
Quelle: Out of the blue

Fazit: temporeich bis zum Schluss

«American Arcadia» ist erfrischend anders. Die Mischung aus 2,5D-Plattformer und Knobel-Passagen in der Ego-Perspektive sorgen für viel Abwechslung. Langweilig wird es nie, dafür ist Trevor zu sehr mit spektakulären Fluchtmanövern beschäftigt. Angela hackt sich derweil durch etwas gar lasche Sicherheitssysteme und deckt geheime Machenschaften des Walton-Fernseh-Imperiums auf.

Mit rund sieben Stunden ist das Spiel verhältnismässig kurz. Dadurch wird die Kadenz mit neuen Schauplätzen, Rätseln und Enthüllungen bis zum Schluss hochgehalten. Ich konnte das Spiel kaum weglegen.

Die George-Orwell-angehauchte Welt, der skrupellose Medien-Konzern und die Zuschauenden, die um jeden Preis unterhalten werden wollen, bieten eine spannende Kulisse. Sie ist auch eine der grössten Spieleüberraschungen des Jahres.

«American Arcadia» ist erhältlich für PC. Das Spiel wurde mir von Raw Fury zur Verfügung gestellt.

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Als Game- und Gadget-Verrückter fühl ich mich bei digitec und Galaxus wie im Schlaraffenland – leider ist nichts umsonst. Wenn ich nicht gerade à la Tim Taylor an meinem PC rumschraube, oder in meinem privaten Podcast über Games quatsche, schwinge ichmich gerne auf meinen vollgefederten Drahtesel und such mir ein paar schöne Trails. Mein kulturelles Bedürfnis stille ich mit Gerstensaft und tiefsinnigen Unterhaltungen beim Besuch der meist frustrierenden Spiele des FC Winterthur. 


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