And cut! Godzilla hat einen eigenen Kampfstil erfunden und einen schwarzen Gürtel in Judo
Hintergrund

And cut! Godzilla hat einen eigenen Kampfstil erfunden und einen schwarzen Gürtel in Judo

Wenn Godzilla in seinen ersten zwölf Filmauftritten Tokyo zerstört und andere gigantische Monster verprügelt, dann steckt Haruo Nakajima im Kostüm. Haruo Nakajima hat Filmgeschichte geschrieben, indem er das Monster als Monster erfunden hat und härter im Nehmen war, als jeder andere Filmdarsteller.

Mit einem Urschrei stürzt sich die gigantische radioaktive Echse Godzilla auf seinen Gegner. Den Menschen geht der ikonische Schrei durch Mark und Bein, doch dem dreiköpfigen Drachen King Ghidorah ist das egal. Denn King Ghidorah hat ganz andere Sorgen. Godzilla hat ihn am Hals gepackt, dreht sich ein, bricht sein Gleichgewicht mit der Hüfte, packt einen Hals über die Schulter, beendet die Drehung und Ghidorah liegt auf dem Rücken auf dem Boden.

Jeder, der etwas von Judo versteht, weiss: Das war ein Osotogari (大外刈), einer der 40 klassischen Würfe des Judo.

Der Grund, warum ein radioaktiver Dinosauriermutant mit einem dreiköpfigen Drachen einen perfekten Judo-Wurf hinkriegt, ist ein Name: Haruo Nakajima.

Haruo Nakajima: Badass

Als Haruo Nakajima das Set des Filmes, der damals nur als «Project G» bekannt war, betritt, weiss er nicht, dass er Filmgeschichte schreiben würde. Der 25jährige Stuntman weiss nicht, was ihn erwartet, nur, dass er unter Umständen eine wichtige Rolle in einem noch geheimen Film des Regisseurs Ishirō Honda spielen wird. Am Set, wo die Dreharbeiten erst noch beginnen werden, wird ihm mitgeteilt, dass er hier ist, um ein Kostüm anzuprobieren.

Haruo Nakajima neben dem Kopf, den er in einem Dutzend Filmen getragen hat.
Haruo Nakajima neben dem Kopf, den er in einem Dutzend Filmen getragen hat.
Quelle: greatbigstory.com

Es wiegt 100 Kilo und ist beinahe Luftdicht verschlossen. Der Schauspieler im Kostüm trägt das ganze Gewicht des Kostüms, bewegt sich darin und soll dann auch noch schauspielern. Die gigantische Riesenechse vor Nakajima hat einen Namen: Gojira (ゴジラ), im Westen später als Godzilla bekannt.

Nakajima und sein Kollege Katsumi Tezuka steigen in das Monster aus Holz, Metall, Schaumstoff und einer frühen Version des Latex. Es ist heiss und stickig im Kostüm. Tezuka stampft los. Nach drei Metern gibt er auf. Zu heiss, zu stickig, zu anspruchsvoll. Doch Regisseur Honda hätte das okay gefunden, denn auch er weiss, dass der Job des Monsters in seinem Film ein harter sein wird. Special Effects Supervisor Eiji Tsuburaya hat zwar sein Möglichstes getan, den Anzug beweglich, leicht und angenehm zu machen, aber er hat die Waffen bei «100 Kilo und beinahe luftdicht» gestreckt.

Nakajima gibt sich unbeeindruckt. Er vertraut seinen Regisseuren und seinen Produktionsmännern. In einem Interview wird er Jahre später sagen: «Ich wusste, dass sie mir nichts aufbürden würden, das ich nicht schaffen könnte.»

Nakajima geht zehn Meter weit und bekommt den Job.

Er ist Godzilla.

Haruo Nakajima in seinem Kostüm
Haruo Nakajima in seinem Kostüm
Quelle: weirdmovies.fr

Nakajima ist aber nicht einfach nur Stuntman und Schauspieler, sondern ein Mann, der die Dinge gerne auf die Spitze treibt. Honda sagt «Spiel eine gigantische Echse, die alles verwüstet und radioaktive Flammen speit»? Nakajima geht in den Zoo und studiert die Bewegungen von grossen Tieren. Monatelang. Der Mann kann zwar kaum im Kostüm gehen, aber er wird darin schauspielern und eine glaubwürdige Performance abliefern, selbst wenn ihn das umbringen wird.

Und es wird ihn im Laufe seiner zwölf Filme im Kostüm fast umbringen. Mehrfach.

Die Gefahren des Jobs

Godzilla ist eine gefährliche Rolle. Nakajima erfährt das immer wieder. Länger als zehn Minuten hält er es nie im Kostüm aus, egal, wie gut die Kostümdesigner die Belüftung hinkriegen. Denn jedes Mal, wenn die Designer ihm etwas vereinfachen, verbessert Nakajima seine Performance. Der Anzug wird leichter? Nakajima bewegt sich schneller. Lüftung eingebaut? Nakajima beginnt, Dinge am Set hochzuheben und gegen seine Kontrahenten zu werfen.

Dazu steht er im Scheinwerferlicht. Die Filmkameras in den 1950er-Jahren sind nicht besonders gut in schlechten Lichtverhältnissen. Die Sets werden daher mit allen verfügbaren Scheinwerfern ausgeleuchtet. Eines Tages nimmt der Mann im Kostüm ein Thermometer an seinen Arbeitsplatz mit. Es zeigt 60 Grad Celsius an. Egal, wie heiss es im Kostüm wird, Nakajima beschwert sich Zeit seines Lebens nie.

Kurze Pause zur Rehydrierung
Kurze Pause zur Rehydrierung
Quelle: hollywoodreporter.com

Generell beschwert sich Nakajima nie. Er wird auch nicht krank und von Verletzungspausen will er gar nichts wissen. Während 24 Jahren.

Kurz nachdem ich die Rolle angeboten bekommen hatte, wurde mir klar, dass es möglich war, alle Arbeiter am Film und Schauspieler zu ersetzen. Aber es war nicht möglich, mich zu ersetzen. Mir wurde auch klar, dass keiner am Set seine Arbeit machen konnte, wenn ich krank bin. Das hat mich mit grossem Stolz erfüllt.
Haruo Nakajima, Kaiju Conversations, 1995

Im Laufe der Jahre wird Nakajima mehrfach fast ertränkt. Da er in der japanischen Marine gedient hat, ist er ein guter Taucher. Die Probleme zeigen sich schnell: Das Kostüm besteht teilweise aus Schaumstoff. Schaumstoff saugt Wasser auf und macht das Kostüm schwerer. Das Kostüm ist nicht wasserdicht und wird auf einem Schlitten durch einen Pool gezogen. Der Wasserstrom reisst Nakajima fast seinen Atemapparat aus dem Mund. Er hat keine Möglichkeit zur Kommunikation mit der Aussenwelt. Wenn er seine kleine Sauerstoffflasche verliert, dann ist er tot. Nakajima aber ignoriert all das und macht alle Stunts im Wasser selbst.

Dann wird er angezündet. Manchmal absichtlich, manchmal aus versehen. Einmal, als er ausnahmsweise nicht Godzilla sondern Varan spielt, explodiert ein Modelllastwagen unter ihm und verbrennt ihm am Bauch und in der Schrittgegend. Nakajima beschwert sich nicht. Die Verletzung ist nie richtig verheilt. Auch als eine Modellrakete in Godzillas Gesichtsgegend in einer Szene von «Godzilla vs. Mothra» (1964) explodiert, beschwert sich Nakajima nie.

Er geht bei 60 Grad schwitzend und im Kostüm brennend zum Gegenangriff über.

Judo plus Schwanz

Wer einstecken kann, kann auch austeilen. Wer in einem 100-Kilo-Kostüm bei 60 Grad mit brennendem Anzug noch schauspielert, teilt aus wie kein zweiter. Denn auch wenn Nakajima mit den Armen über dem Kopf – sonst wären die Proportionen der radioaktiven Riesenechse nicht korrekt gewesen, versteht sich – ohne kaum etwas zu sehen durch Modellstädte fuchtelt, kämpft er und achtet auf die Form.

Ich wollte, dass der Regisseur glaubt, ich sei unsterblich!

Nakajima hat sein Leben lang Judo trainiert und trägt stolz den schwarzen Gürtel. Darum kämpft Godzilla während der Ära Nakajima wie ein Judoka. Godzilla geht nahe an den Gegner heran, packt zu und wirft. Dazu aber ein paar Faustschläge, manchmal ein Schlag mit dem Schwanz und dazu der radioaktive Flammenatem.

Das ist kein Zufall. Nicht nur ist Haruo Nakajima Judoka und der einzige, der sich im Godzilla-Kostüm bewegen kann, sondern er darf ab dem zweiten Film, «Godzilla Raids Again», die Kampfszenen selbst choreographieren. Honda und Tsubaraya schreiben im Script oft einfach nur «Kampf» und überlassen den Rest dem Mann im Anzug und seinen Gegnern. Denn keiner weiss besser, welche Bewegungen wie gut in welcher Geschwindigkeit gehen als er.

Aber einfach nur rumwurschteln und so halb-überzeugend Judo vorzuführen reicht Haruo Nakajima nicht. Er hat Judo studiert, er hat grosse Tiere studiert, er führt Godzilla. Bald schon kombiniert er die Bewegungen, die er gelernt hat, mit den im Zoo gesehenen und den vom Kostüm vorgegebenen. Im Laufe seiner 24 Jahre im Kostüm schafft Nakajima einen Kampfstil, für den er bis heute von den Männern im Godzilla-Kostüm bewundert wird.

Denn egal, wie beknackt der Plot des Films ist, eines ist sicher: Godzilla wütet. Godzilla ist der König der Monster.

Und in seiner Haut hat Haruo Nakajima, ein schmächtiger Japaner mit eisernem Willen, Filmgeschichte geschrieben.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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