Angespielt: «Sea of Stars» ist die beinahe perfekte Hommage an 16-Bit-RPGs
Spielkritik

Angespielt: «Sea of Stars» ist die beinahe perfekte Hommage an 16-Bit-RPGs

Kevin Hofer
29.8.2023

«Sea of Stars» von Sabotage Studio ist nicht nur ein weiteres Throwback-RPG. Ich habe den Titel zwölf Stunden lang gespielt und habe Bock, noch mehr Zeit in der von Genre-Grössen wie «Chrono Trigger»-inspirierten Welt zu verbringen.

Da ist sie, die Schläferin. Die legendäre Schlange, die sich um einen Berg gerollt hat und dort bereits seit Menschengedenken schläft. Der Erzählung nach schläft sie, weil der Wind, der durch die Löcher im Berg bläst, eine Melodie spielt, die sie schlummern lässt.

Die Schläferin auf der Weltkarte.
Die Schläferin auf der Weltkarte.
Quelle: Sabotage Studio

Das alles erfahre ich scheinbar beiläufig zu Beginn des Spiels – und sehe das Biest ein paar Stunden später tatsächlich. «Sea of Stars» ist genial darin, eine dichte Welt in Nebensätzen zu erschaffen. Sätze, an die du dich später erinnerst, wenn du die geschilderten Dinge dann tatsächlich siehst. Und all jene, die die subtilen Elemente verpassen oder im Detail erzählt haben möchten, können der wandernden Historikerin am Lagerfeuer zuhören.

Die Historikerin Teaks erzählt dir wichtige Geschehnisse am Lagerfeuer nach.
Die Historikerin Teaks erzählt dir wichtige Geschehnisse am Lagerfeuer nach.
Quelle: Sabotage Studio

Darum geht’s in «Sea of Stars»

Die Geschichte dreht sich um die zwei vom Schicksal erlesenen Charaktere Zale, den Schwerttänzer, und Valere, die stabschwingende Mönchin. Sie wurden in der Winter- und Sommersonnenwende geboren und sind deshalb dazu bestimmt, Gegner eines Generationen alten Konflikts zu bekämpfen. Zale kontrolliert die Macht der Sonne, während Valere jene des Mondes nutzen kann. Selbstverständlich dreht und wendet sich die Geschichte in deren Verlauf immer wieder. Auch hier erinnert «Sea of Stars» an die grossen Tage der 16-Bit-RPGs.

Mein bis jetzt grösster Kritikpunkt: die Hauptcharaktere

So schön das Worldbuilding von «Sea of Stars» ist, so flach bleiben die beiden Hauptcharaktere – bis jetzt zumindest. Zale und Valere sind derart generisch und austauschbar, dass es mir nur aufgrund ihrer Beschriftung und der – zugegebenermassen liebevoll gestalteten – Charakterportraits gelingt, sie auseinanderzuhalten. Hoffentlich ändert sich das noch. Denn die Geschichte wird eigentlich charaktergetrieben und nicht geschichts-getrieben erzählt. Und wenn die Hauptcharaktere keine bis wenige Entwicklungen durchmachen, ist das schädlich fürs Storytelling. Die anderen Partymitglieder erhalten in den ersten zwölf Stunden des Spiels viel mehr Tiefgang und sind mir deshalb sympathischer. Mit ihnen fühle ich mich verbunden.

Die beiden Hauptcharaktere haben in etwa so viel Tiefgang wie ihre Hinterköpfe.
Die beiden Hauptcharaktere haben in etwa so viel Tiefgang wie ihre Hinterköpfe.
Quelle: Sabotage Studio

Sowieso kann «Sea of Stars» etwas nicht: Drama. Das Spiel glänzt bis jetzt vor allem bei den witzigen Teilen. Die lustigen, ausdrucksstarken Animationen oder Witze bringen mich immer wieder zum Lachen. Aber mit den Charakteren bei tragischen Ereignissen mitfühlen? Schwierig. Denn sie reflektieren nicht, respektive sprechen nicht darüber. Es passiert einfach und dann geht es weiter. Ich weiss nicht, was das Geschehen mit den Charakteren macht. Auch hier hoffe ich, dass sich das noch ändert.

Kämpfe machen Spass, dürften aber mehr Variation bieten

Auch beim Kampfsystem orientiert sich «Sea of Stars» an seinen Vorbildern aus der 16-Bit-Ära. Die Kämpfe laufen rundenbasiert ab. Damit du während den Animationen nicht auf der faulen Haut liegst, kannst du durch korrektes Timing kritische Schläge und Heilungen ausführen oder gegnerische Angriffe blocken. Zu Beginn des Spiels ist das noch optional, aber bereits ab zehn Spielstunden ist es wichtig, dass du davon Gebrauch machst. Die Kämpfe haben es teils in sich.

Die Kämpfe nehmen teils episches Ausmass an.
Die Kämpfe nehmen teils episches Ausmass an.
Quelle: Sabotage Studio

Falls dir das Spiel zu schwierig ist, kannst du den Schwierigkeitsgrad mit Relikten anpassen. Die reichen von automatischer Heilung nach jedem Kampf über automatisch kritische Angriffe bis zu doppelten Hit-Points.

Angreifen kannst du mit klassischen physischen Angriffen oder Skills/Magie. Weiter stehen dir Combos nach dem Auffüllen einer entsprechenden Anzeige zur Verfügung. Zu guter Letzt kannst du auch Gegenstände einsetzen, die primär der Heilung dienen. Cool: Statt irgendwelcher Heiltränke kochst du deine Gerichte am Lagerfeuer mit Zutaten, die du unterwegs findest. Entsprechende Rezepte findest du oder kaufst sie in Shops. Dass du maximal zehn Gerichte bei dir tragen kannst, verleiht dem Kampfsystem zusätzliche Tiefe. Du musst planen, welche du für den nächsten Bosskampf kochst.

Das klassische rundenbasierte Kampfsystem wird durch gegnerische Angriffe aufgebrochen, die du durch bestimmte Angriffsmuster unterbinden kannst. Die zeigen dir die Gegner jeweils an. So musst du, wie im folgenden Bild ersichtlich, drei mond- und einen sonnenbasierten Angriff ausführen, damit der Fisch dich nicht mit seiner Spezialattacke angreift. Dies ist bei regulären Kämpfen meist optional, bei Bosskämpfen jedoch sehr wichtig, damit du weniger Schaden nimmst.

Gegnerische Angriffe kannst du durch bestimmte Angriffsmuster unterbinden.
Gegnerische Angriffe kannst du durch bestimmte Angriffsmuster unterbinden.
Quelle: Sabotage Studio

Kämpfen kannst du aus dem Weg gehen, da du deine Antagonisten siehst. Zufällige Kämpfe gibt es nicht. Genauso wenig musst du grinden. Besiegst du alle Gegner, denen du begegnest, reicht das, um weiterzukommen.

Beim Levelaufstieg kannst du jeweils noch zusätzliche Status-Punkte verteilen.
Beim Levelaufstieg kannst du jeweils noch zusätzliche Status-Punkte verteilen.
Quelle: Sabotage Studio

Insgesamt macht das rundenbasierte Kampfsystem Laune. Ich wünsche mir jedoch etwas mehr Techniken respektive Magie. Nach zwölf Stunden Spielzeit ist das Repertoire immer noch überschaubar – und die noch verfügbaren Slots lassen nicht mehr viel Neues erwarten.

Die Präsentation ist eine Wucht

Unterstützt wird das starke Worldbuilding von einer wunderschönen Optik. Die Welt von «Sea of Stars» ist in Inseln unterteilt. Diese bereist du in der Oberwelt ohne Kämpfe. Diese verbindet unterschiedliche Zonen, die du erkunden kannst.

Wie es sich für ein 90er-RPG gehört, erkundest du die Welt auch mit einem Schiff.
Wie es sich für ein 90er-RPG gehört, erkundest du die Welt auch mit einem Schiff.
Quelle: Sabotage Studio

Diese Zonen sind mit Rätseln und Kämpfen angereichert. Sie laden auch zum späteren Entdecken ein, da du gewisse Gebiete erst dank neuen Skills erreichst. Das ist – bis zu meinem Spielstand – aber optional. Backtracking ist also nur nötig, wenn du alles sehen möchtest.

Die Inseln bieten viel Variation. Von polynesischem Flair über modrige Friedhöfe bis hin zu verschneiten Wäldern entdeckst du immer wieder Neues. Dies alles in einem wunderschönen 16-Bit-Retro-Grafikstil.

An gewissen Szenen kann ich mich gar nicht satt sehen.
An gewissen Szenen kann ich mich gar nicht satt sehen.
Quelle: Sabotage Studio

Untermalt werden die Schauplätze und Kämpfe von Musik aus den Federn von Yasunori Mitsuda und Rainbowdragoneyes. Ersterer hat unter anderem Musik für «Chrono Trigger» und «Xenogears» komponiert. Alle Stücke haben ihren eigenen Stil, passen zum jeweiligen Setting. Du fühlst dich nicht nur visuell, sondern auch auditiv in die 90er zurückversetzt. Das Wichtigste: Bislang ging mir kein Stück auf die Nerven, alle haben etwas für sich.

Auch die Gegner sind abwechslungsreich. Ich habe nicht das Gefühl wie in «Final Fantasy 16» immer wieder dieselben Gegner in neuem Anstrich zu verkloppen. Das ist auch für das Kampfsystem mit Blocken wichtig, da ich so bei jedem neuen Feind lernen muss, wann ich drücken muss.

Die Rätsel beschränken sich meist auf Schalter umlegen oder Kisten verschieben. Das ist auf Dauer etwas repetitiv. Aber die unterschiedlichen Settings lassen es weniger müssig erscheinen.

In Städten passiert sehr viel auf dem Bildschirm. Da verliere ich auch mal den Überblick.
In Städten passiert sehr viel auf dem Bildschirm. Da verliere ich auch mal den Überblick.
Quelle: Sabotage Studio

Nebst den Rätseln ist mein einziger Kritikpunkt an der Präsentation das teils verwirrende Leveldesign. Es spielt sich manchmal gar viel auf dem Bildschirm ab – vor allem in Städten. Da weiss ich nicht so recht, wohin es gehen soll und renne eine halbe Stunde ziellos durch die Gegend. Aber das ist auch Teil des Charmes dieser Throwback-RPGs. In den 90ern-RPGs ging es mir häufig gleich.

Zwischenfazit: Geniales Throwback-RPG, das bei der Geschichte noch Luft nach oben hat

«Sea of Stars» bietet eine wundervolle Welt mit viel Tiefgang. Präsentation und Musik transportieren mich zurück in die 90er, in die glorreiche Zeit der 16-Bit-RPGs. Dabei verleiht Sabotage Studio dem Spiel einen modernen Twist. Kampfsystem sowie Interaktion in der Welt des Spiels sind deutlich aktiver als in den alten Spielen.

Hat das Worldbuilding Tiefgang, fehlt dieser den beiden Hauptcharakteren bislang. Ich hoffe, dass sich das noch ändert, denn ich bin noch nicht mit dem Spiel durch. Die Nebencharaktere stehlen Zale und Valere bislang die Show. Ich weiss noch nicht so recht, was ich mit den beiden anfangen soll.

Stehst du auf 90er-Jahre RPGs im Stil von «Chrono Trigger», kann ich dir «Sea of Stars» empfehlen.

«Sea of Stars» erscheint am 29. August für Nintendo Switch, PlayStation 5, PlayStation 4, Xbox One, Xbox Series und PC. Der Code fürs Review wurde mir von Sabotage Studio zur Verfügung gestellt

Titelbild: Sabotage Studio

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


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