Auf den Milchzahn gefühlt: Zahnärztin beantwortet die wichtigsten Fragen
Ratgeber

Auf den Milchzahn gefühlt: Zahnärztin beantwortet die wichtigsten Fragen

Katja Fischer
13.11.2021

Löst der berühmte Türklinken-Trick das Wackelzahn-Problem? Warum müssen die Milchzähne gepflegt werden, wenn sie sowieso ausfallen? Eine Zahnärztin nimmt Stellung und räumt mit Mythen auf.

Sie kommen spätestens mit dem ersten Zahnen: Nicht nur die Zähnchen selbst, sondern auch unzählige Fragezeichen und Unsicherheiten rund ums Thema Kinderzähne. Zahnärztin Dr. Jacqueline Schmelzer hat eine eigene Praxis in Winterthur und wird täglich mit Elternfragen konfrontiert. Sie beantwortet die zehn meistgestellten.

1. Soll ich den Wackelzahn wackeln lassen oder besser nachhelfen?

Der alte Trick mit der Türklinke dürfte allen bekannt sein: Um den Wackelzahn eine Schnur legen, das andere Ende an der Türklinke befestigen – und die Tür mit voller Wucht schliessen. Von dieser abenteuerlichen Ziehmethode rät Zahnärztin Dr. Jacqueline Schmelzer ab. Vom grundsätzlichen Nachhelfen aber keineswegs: «Es ist nicht schlecht, den losen Zahn regelmässig hin- und herzubewegen und so das Herausfallen zu beschleunigen», sagt sie. «Ein stark wackelnder Zahn ist unangenehm und gerade beim Essen und Zähneputzen mühsam fürs Kind.»

2. Ab wie vielen Jahren sollen wir dem Kind die Zähne putzen?

«Zähnli putze nöd vergässe, jede Tag nach jedem Ässe» gilt schon ab dem Durchbruch des ersten Zähnchens. «Auch wenn man da noch nicht von richtigem Zähneputzen sprechen kann», sagt Schmelzer. Doch schon das Herumkauen auf der weichen Babybürste ist sinnvoll: Es massiert das Zahnfleisch, regt dessen Durchblutung an und fördert so das Durchbrechen der Milchzähne. Am besten zweimal täglich «putzen», damit es früh zur Routine wird.

3. Wann soll der Nachwuchs zum ersten Mal zum Zahnarzt?

«So früh wie möglich», rät die Zahnärztin. Das heisst? «Mit etwa zwei, drei Jahren.» Oder zumindest nicht erst dann, wenn das Kind schon ein Zahnproblem hat. «Schmerzen, Spritzen, Leute im weissen Kittel – das alles kann für ein Kind höchst traumatisch wirken.» Mit ein Grund, warum sie und ihre Angestellten in pinkfarbenen Arbeitskleidung tätig seien. Schmelzer rät Eltern, das Kind unkompliziert an den ersten Zahnarztbesuch heranzuführen und es zum Beispiel zum eigenen Kontrolltermin mitzunehmen.

Zahnärztin Jacqueline Schmelzer trägt Pink während ihrer Arbeit – weil Kinder vor weissen Arztkitteln oft zurückschrecken.
Zahnärztin Jacqueline Schmelzer trägt Pink während ihrer Arbeit – weil Kinder vor weissen Arztkitteln oft zurückschrecken.

4. Warum ist die Pflege der Milchzähne wichtig, wenn sie früher oder später sowieso ausfallen?

Weil die Milchzähne Platzhalter für die bleibenden Zähne sind. «Gehen sie zu früh verloren, wachsen die zweiten Zähne verschoben», weiss die Zahnärztin. Hegen und pflegen spart also Termine beim Kieferorthopäden – und schont am Ende das Portemonnaie. Ausserdem bleiben kaputte Zähne oft nicht alleine, sondern greifen bald ihre Nachbarn im Mund an.

5. Ist eine elektrische Zahnbürste für Kinder sinnvoll oder sollen wir besser bei der klassischen Handbürste bleiben?

Mit Lieblings-Comicfigur, mehr als 60 0000 Bürstenkopfbewegungen pro Minute und Zweiminuten-Timer: Die Produktpalette an elektrischen Zahnputzmaschinen für Kids ist so breit wie bunt. Dabei wäre es sinnvoll und logisch, dass die Kleinen erst einmal die richtige Zahnputztechnik mit Handzahnbürste lernen, oder? Nicht ganz.

«Es gilt: Solange das Kind nicht richtig schreiben kann, also bis es etwa sechs- bis achtjährig ist, sollen die Eltern sowieso mindestens einmal nachputzen», sagt die Expertin. Insofern darf auch ruhig eine elektrische Zahnbürste ins Badezimmer. Laut Schmelzer haben sie sogar zwei grosse Vorteile: «Sie putzen gründlicher, weil sie sich um ein Vielfaches mehr bewegen, und sind für Kinder wie ein Spielzeug, also erst noch motivierender.»

6. Ab wann beeinträchtigt ein Nuggi die Zahnstellung?

Ein Nuggi kann Schuld an einem sogenannten «offenen Biss» sein: Wenn die Schneidezähne und die unteren Zähne beim Zusammenbeissen nicht schliessen. «Aus zahnärztlicher Sicht sollte der Nuggi deshalb spätestens ab dem zweiten Lebensjahr weg», rät die Expertin. Denn ab dann verformt sich der Oberkiefer. Ab drei Jahren hat der Nuggi dann zusätzlich einen Einfluss auf den Unterkiefer.

7. Braucht mein Kind schon eine Zahnversicherung?

Ja, ratsam ist es, so die Zahnärztin. Auch hinsichtlich späteren kostspieligen kieferorthopädischen Eingriffen. «Aber eine Zahnzusatzversicherung ab der Geburt kann man sich schenken.»

Das Problem: Hat das Kleinkind erstmal Karies, ist es oft schon zu spät, um dann noch eine abzuschliessen. Laut Schmelzer macht ein entsprechender Zusatz ab zwei Jahren Sinn. «Zu diesem Zeitpunkt muss erstens noch kein Röntgenbild eingereicht werden und zweitens ist Karies eher unwahrscheinlich.»

8. Mein Kind verlangt einen Milchschoppen in der Nacht – ist das okay?

Ein klarer Fall: Nein! Milchzucker verursacht Karies. Laut Schmelzer darf nachts nur Wasser oder ungesüsster Tee an die Zähne. «Ausser die Eltern putzen direkt nach dem Milchschoppen nochmals nach.»

9. Der Milchzahn ist noch da, der zweite drückt aber in der zweiten Reihe schon nach. Was soll ich tun?

Gar nichts, die Natur wird es von selbst richten. «Durch Zungendruck und Wachstum wird sich der hintere bleibende Zahn früher oder später nach vorne schieben», weiss Schmelzer.

Kein seltenes Phänomen: Der zweite Zahn ist da, noch bevor der Wackelzahn ausgefallen ist.
Kein seltenes Phänomen: Der zweite Zahn ist da, noch bevor der Wackelzahn ausgefallen ist.
Quelle: Shutterstock

10. Ist zusätzliches Fluorid, zum Beispiel in Form von Kügeli, sinnvoll?

Was früher gang und gäbe war, wird Kindern heute nur noch selten verabreicht: Fluoridpräparate. Dies, weil wir Fluorid bereits mit Wasser, Salz oder in Zahnpasta aufnehmen – und zu viel davon schädlich ist. Man müsste aber schon einige Zahnpastatuben essen, um einen bedenklichen Grenzwert zu überschreiten. «Fluorid ist zu Unrecht in Verruf geraten», sagt Schmelzer. Zumal hochkonzentriertes Fluoridgel, das bei älteren Kindern oft zum Einsatz kommt, nur noch lokal behandle. «Im Gegensatz zu Kügelchen, die man schluckt und den Kiefer so direkt beeinflussen.»

Titelbild: Shutterstock

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Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.


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