Das Einmaleins des Krafttrainings
Hintergrund

Das Einmaleins des Krafttrainings

Ohne Muskeln kein Leben: Klingt merkwürdig, ist jedoch so. Aber warum? Hier kommt das kleine wissenschaftliche Einmaleins des Krafttrainings.

Bei normal gewichtigen Menschen ist die Muskulatur das am häufigsten vorkommende Gewebe des Körpers. Mechanisch gesehen besteht die Funktion der Muskulatur darin, chemische in mechanische Energie umzuwandeln. Diese wird benötigt zur Krafterzeugung und ermöglicht uns Fortbewegung. Aus der Perspektive des Stoffwechsels ist die Muskulatur ein Speicher für Proteine, Kohlenhydrate, Fette, Mineralien und anorganische Salze. Diese Energiequelle versorgt die Muskelfasern bei körperlicher Aktivität und garantiert die Aufrechterhaltung des Stoffwechsels. Also ist die Muskulatur, neben der Funktion der Krafterzeugung, auch ein Energiespeicher und trägt somit wesentlich zum Überleben bei.

Der Muskel

Glücklicher- oder dummerweise, je nach Betrachtungsweise, altern wir. Altern ist durch eine Abnahme der funktionellen Kapazität des Körpers gekennzeichnet. Das Tempo, mit dem wir altern ist sehr individuell und abhängig von Unterschieden in der Lebensweise, der Aktivität, den Genen und anderen Faktoren. Auch die Muskulatur ist von diesem Prozess betroffen. Bis zum 80. Lebensjahr hat ein gesunder Mensch altersbedingt 30 Prozent seiner maximalen Muskelmasse verloren. Da die Muskulatur bis zu 40 Prozent der Gesamtkörpermasse eines Menschen ausmacht, hat dieser altersbedingte Verlust, der als Sarkopenie bezeichnet wird, substantielle Auswirkungen auf die Gesundheit und die Lebensqualität

Weil zwischen Muskelmasse und Knochendichte ein Zusammenhang besteht, führt das Abnehmen der Muskelmasse auch zu einem Knochenmasseverlust. Der Verlust an Knochendichte wird auch Osteopenie genannt und stellt unser Gesundheitssystem, zusammen mit der Sarkopenie, vor grosse Herausforderungen. Eine Beeinträchtigung unseres Bewegungsapparats führt etwa zu Gleichgewichtsstörungen und erhöht somit das Sturzrisiko. Weniger dichte Knochen brechen bei Stürzen leichter, was zu vielen Hospitalisationen bei älteren Menschen führt. Dies treibt die Gesundheitskosten enorm in die Höhe. Im Jahr 2016 waren in der Schweiz ein Viertel aller Hochbetagten von Sarkopenie betroffen.

Glücklicherweise ist der Muskel ein sehr anpassungsfähiges Gewebe. Er passt sich ständig an unterschiedliche physiologische Bedingungen an, wie mechanische Belastung oder Energiestress, Inaktivität, Hypoxie oder Inaktivität (Nichtgebrauch, Krankheit, Verletzung) findet darum eine Anpassung statt, wobei diese Anpassungsfähigkeit ein Leben lang erhalten bleibt.

Körperliche Aktivität

Unter körperlicher Aktivität verstehen wir die Bewegung des menschlichen Körpers durch die Muskulatur, die Energie freisetzt. Diese war ein evolutionärer Vorteil, da sie das Reisen und die Entdeckung neuer Lebensräume ermöglichte. Die Evolution der Bewegung fällt mit der Evolution des Jagens und Sammelns zusammen, indem die Nahrungssuche die körperliche Aktivität deutlich erhöhte.

Training

Die freiwillige körperliche Aktivität, die geplant, strukturiert und wiederholt durchgeführt wird, um Gesundheit und Fitness zu erhalten oder zu verbessern, wird als Training bezeichnet. Bewegung fordert das metabolische Gleichgewicht des Körpers heraus und bewirkt eine orchestrierte systemweite Reaktion, die es ermöglicht, die Stoffwechselanforderungen der kontrahierenden Muskeln auszugleichen. Die daraus resultierenden metabolischen und strukturellen Anpassungen sind in hohem Masse trainingsabhängig. Die Kombinationsmöglichkeiten von Intensität und Dauer ermöglichen eine Fülle von Trainingsarten. Zwei der am intensivsten untersuchten Trainingsarten sind Ausdauer- und Krafttraining.

Ausdauertraining

Ausdauertraining ist in der Regel durch kontinuierliche Aktivität mit geringerer Intensität gekennzeichnet, die es dem Trainierenden ermöglichen, die Belastung über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Typische Ausdauertrainingsformen sind zum Beispiel Gehen, Laufen, Radfahren und Schwimmen. Eine längere muskuläre Aktivität bei geringerer Intensität stellt eine Herausforderung für das Stoffwechselsystem dar. Diese Stoffwechselstörungen setzen physiologische Prozesse in Gang: Neue Mitochondrien, die oft als Kraftwerke der Zellen bezeichnet werden, entstehen. Ausserdem regulieren diese Prozesse die Kapillarität und die Energienutzung. Das Ziel von Ausdauertrainings ist darum oft, die aerobe Leistungsfähigkeit zu steigern. Als aerob wird die Leistung bezeichnet, bei der die eingeatmete Sauerstoffmenge ausreicht, um die benötigte Energie im Arbeitsmuskel zu decken. Anaerobe Leistung ist jene Leistung, bei der der Körper seine Energiegewinnung nicht mehr aus dem Sauerstofftransport durch das Blut decken kann.

Krafttraining

Im Gegensatz zum Ausdauertraining geht es beim Krafttraining um Kontraktionen von kurzer Dauer und hoher bis maximaler Intensität. Krafttraining fordert die mechanische Integrität und das metabolische Gleichgewicht der Muskeln heraus. Die systematische, mechanische und metabolische Belastung des Körpers führt zu strukturellen und neuronalen Anpassungen. Zu diesen Anpassungen gehören zum Beispiel Veränderungen der Muskelfasergrösse und -architektur sowie der Vermehrung von Mitochondrien, der Sehnensteifigkeit und -dicke, der Feuerungsfrequenz (die neuronale Ansteuerung der Muskeln) und vielem mehr.

Da Krafttraining die Muskelmasse bei Männern und Frauen jeden Alters erhöht, ist es die einzige nicht-pharmakologische Gegenmassnahme zur Bekämpfung der Sarkopenie. Das ist eine gute Nachricht, da wir eine Interventionsmöglichkeit haben, um den Verlust an Muskelmasse abzufangen.

Krafttraining besteht aus modifizierbaren Faktoren wie Trainingsart, Ernährung, Trainingserfahrung und nicht-modifizierbaren Faktoren wie Alter, Geschlecht, Genotyp. Beide Faktorenarten werden in unserem Körper prozessiert und beeinflussen die daraus resultierenden Adaptionen. Der wichtigste modifizierbare Faktor, die Grundlage jeder trainingsabhängigen Anpassung, ist jedoch das Krafttraining selbst.

Beim Krafttraining sind mehrere modifizierbare Faktoren bekannt. Diese wurden als mechano-biologische Deskriptoren bezeichnet und sehen wie folgt aus:

x1Belastung oder Intensität
x2Anzahl der Wiederholungen
x3Anzahl der Sätze
x4Pause zwischen den Sätzen
x5Trainingsfrequenz
x6Trainingsdauer
x7Muskelaktion
x8Spannungsdauer
x9Muskuläres Versagen
x10Bewegungsausmass
Tabelle: Mechano-biologische Deskriptoren des Widerstandstrainings. Adaptiert von Toigo und Boutellier, 2006

In den kommenden Wochen werden wir systematisch die einzelnen mechano-biologischen Deskriptoren des Krafttrainings beleuchten und ein Verständnis für effizientes und effektives Krafttraining entwickeln.

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Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.


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