Der Nippes-König: Meine fatale Liebe zu kleinen Objekten
Meinung

Der Nippes-König: Meine fatale Liebe zu kleinen Objekten

Thomas Meyer
18.8.2020

Immer mehr Leute wenden sich dem «Minimalism» zu, einer Lebensweise mit möglichst wenig Besitz. Mir gelingt das nicht mal ansatzweise – ich bin hemmungsloser Nostalgiker und liebe sogar alte Wäscheklammern.

Immer wieder lese ich von Menschen, die sich von nahezu allem getrennt haben, was sie besassen, und noch 50 Gegenstände haben. Sie berichten von einem erfüllteren, in jeder Hinsicht leichteren Leben; manche sind sogar in ein «Tiny House» gezogen. Auf mich wirkt der «Minimalism» – vor allem, nachdem ich die gleichnamige Netflix-Doku gesehen habe – überzeugend und inspirierend. Ich wäre auch gern so. Bin ich aber nicht. Ich habe etwa 5000 Gegenstände. Vielleicht sind es auch 50 000. Ich weiss es nicht so genau. Aber eines weiss ich: Ich liebe sie alle.

Da gibt es unter anderem eine kleine Drahtskulptur eines Tel Aviver Künstlers, einen Stapel mit Würfeln aus den Elementen Eisen, Kohle und Kupfer, eine Bügelperlenfigur, «Groot» aus «Guardians of the Galaxy», «Kaneda» aus «Akira», einen Lego-Millenium-Falcon sowie eine Miniaturnachbildung des «Burning Man», der Holzskulptur, die jährlich am gleichnamigen Festival in der Wüste Nevadas verbrannt wird (natürlich jedesmal eine neue). Ich war 2014 da. Ein lustiger alter Mann namens Ira, der stets einen Zylinder trug und sonst nichts, hatte mir die selbstgemachte Figur geschenkt. Weil ich Ira sehr mochte und viele positive Erinnerungen mit dem Festival verbinde, steht die Figur bis heute bei mir im Badezimmer. Auch andere Räume haben eine museale Funktion. Eigentlich alle.

Einer von vielen Ausstellungsräumen im Hause Meyer.
Einer von vielen Ausstellungsräumen im Hause Meyer.

Das mit den positiven Erinnerungen ist ein echtes Problem. Sie beziehen sich nämlich auch auf Dinge, die objektiv als Abfall bezeichnet werden müssen und die ich auch nirgends aufstelle. Wie diese uralte Wäscheklammer aus Plastik, die in einer von mehreren Schachteln voller Andenken auf meinem Dachboden liegt. Weil ich als Kind immer damit spielte, während meine Mutter Wäsche aufhing, und mir das lebhaft in den Sinn kommt, wenn ich die Klammer sehe, habe ich sie bis heute.

Ich schmeiss doch nicht einen Teil meiner Kindheit weg! Irgendwie so geht meine Logik.
Ich schmeiss doch nicht einen Teil meiner Kindheit weg! Irgendwie so geht meine Logik.

Meine Partnerin hat überhaupt kein Verständnis für solche Gefühlsduseleien. Ansonsten sind wir uns sehr ähnlich, doch in diesem Punkt könnten wir nicht verschiedener sein, was eine gemeinsame Wohnung im Grundsatz ausgeschlossen hat. Sie liebe mich, sagte meine Freundin, und würde mich auch gern jeden Tag sehen, aber was meine furchterregende Armee aus Figürchen, Bergkristallen und anderem Krimskrams betreffe, fühle sie leider genau gegenteilig.

Mehr oder weniger subtil bot sie mir ihre Hilfe beim Aufräumen meines Dachbodens an (ich glaube, sie benutzte das Wort «Muldenkipper»). Da ich ihr in der Sache durchaus rechtgebe und mich wirklich gern von Ballast befreien möchte, nahm ich an, und wir stiegen die steile Treppe hinauf. Ich warf neidische Blicke in die Abteile meiner Nachbarn. Eines ist ganz leer. In einem anderen liegt ein Sturmgewehr neben drei Kartonschachteln. Meines ist voller Bücher, alter Spielsachen und vielem mehr.

Meine Freundin stöhnte entsetzt auf: CDs – die habe doch heute keiner mehr! Weg damit! Niemals, sagte ich, da seien zahlreiche Raritäten aus den 1990ern dabei. Und die Duplo, rief sie, mein Sohn sei doch viel zu alt für die! Schon, meinte ich, aber wenn er mal Kinder habe? Ich hätte meine schliesslich auch für ihn aufbewahrt.

Ich bekam die Aufgabe, wenigstens mal grob zu sortieren. Das tat ich dann auch. Wobei mir diverse tolle Dinge aus meiner Kindheit in die Hände fielen, unter anderem mein selbstgebastelter Ausweis von 1986, als der Komet Halley an der Erde vorbeisauste, begleitet von der Sonde «Giotto», deren einsames Verschwinden im Weltraum mich zutiefst betrübte. Sowas kann man doch nicht fortschmeissen!

Gestatten, Dipl. Ing. Meyer.
Gestatten, Dipl. Ing. Meyer.

Wie weit ich gekommen sei, wollte meine Partnerin vor ein paar Tagen wissen. Ich begann, vom baldigen Abendessen zu reden. Wie weit ich gekommen sei, wiederholte sie und schaute mich an, als wäre ich ein sechsjähriges Kind, das zwei Plüschtiere umplatziert und dann behauptet, es hätte sein Zimmer aufgeräumt. Ich schaute zurück wie ein sechsjähriges Kind, das zwei Plüschtiere umplatziert und nicht verstehen kann, wieso man diese Leistung nicht als Aufräumen des Zimmers würdigt.

Thomas Meyer ist neuer Autor im Magazin von Galaxus. Er schreibt ab sofort regelmässig. Hier gibt es die Medienmitteilung zu seinem Start.

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Thomas Meyer
freier Autor

Der Schriftsteller Thomas Meyer wurde 1974 in Zürich geboren. Er arbeitete als Werbetexter, bis 2012 sein erster Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» erschien. Er ist Vater eines Sohnes und hat dadurch immer eine prima Ausrede, um Lego zu kaufen. Mehr von ihm: www.thomasmeyer.ch. 


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