Die Freiheit des Alters: Meine Würde bekommt ihr nicht
Meinung

Die Freiheit des Alters: Meine Würde bekommt ihr nicht

Es ist ein schmaler Grat zwischen Selbstliebe, Selbstoptimierung und Selbstverleugnung. Denn auch jenseits der 40 wird der Wert einer Frau viel zu oft über ihr Aussehen definiert. Wie kommen wir da raus?

Jetzt ist es also passiert. Und zwar auf einem Konzert von «Seeed». An meiner Seite: Eine gleichaltrige Freundin, ihre Tochter und deren Freund, beide um die 25. Ich gehöre zu den Menschen, die wirklich wild tanzen, wenn die Musik gefällt – ohne Rücksicht auf Make-Up, Outfit und Lässigkeit. Irgendwann bemerkte ich eine Hand auf meinem durchgeschwitzten Genick – der Freund der Tochter wollte mit mir bei voller Lautstärke kommunizieren. Und da war er der Satz, in meinem Ohr: «Wenn ich mal so alt bin wie du, möchte ich auch so cool sein.»

So alt wie du. Alt. A L T. Das hat gesessen. War sicher als Kompliment gemeint und deshalb auch sehr süß von dem jungen Mann, aber doch mit bitterem Nachgeschmack. «Cool»? Passt ja. Aber es gibt kein Zurück mehr, wenn man «mal so alt ist». Bedeutet alt sein, dass man nun nicht mehr attraktiv ist? Warum beklagen sich viele Frauen darüber, dass sie ab einem gewissen Alter quasi unsichtbar und von der Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen werden? Und: Auf was kann ich mich jetzt noch verlassen?

Ich hatte immer ein ansprechendes Gesicht – jedenfalls wurde mir das oft gesagt – und schon früh eine «mütterliche» Figur, obwohl ich niemals Mutter wurde und werden wollte. Also habe ich mich vollkommen darauf verlassen, was die Gene meiner Eltern in meinem Antlitz hinterließen: Eine gute Haut, große Augen und volle Lippen. Bis 45 alterte ich kaum, nur die unliebsame Zornesfalte auf der Stirn ließ ich recht früh, aber immer schön dezent mit einer jährlichen Botox-Spritze glätten. Wer hat schon Lust darauf, dauernd angepisst auszusehen, wenn die Laune doch gut ist. Daraus habe ich nie einen Hehl gemacht – die Reaktionen fielen und fallen immer noch sehr gespalten aus. Also unter den Frauen, Männer bemerken so etwas nicht.

Was tun, wenn das Gesicht nicht mehr strahlt wie früher?

Manche Damen fragten mich begeistert nach der Adresse meiner Haut-Ärztin, andere fragten mich, warum ich mich der Diktatur der Schönheit so willenlos unterwerfe. Das sei würdelos. Anbiedernd. Schwach. Die eine Fraktion schwört auf Natur pur und lehnt Helferlein wie Botox, Filler oder Haarfärbemittel rigide ab. Der Körper soll kein Konsumgut sein, meinen sie, und wir, wenn möglich, frei von Gefallsucht. Die anderen hängen sich Extensions in die Haare, pimpen Busen, Lippen und Stirn und plagen sich von Diät zu Diät. Und wenn ich Magazine aufblättere, finde ich entweder superschlanke Stars in sauteuren Bikinis oder die ganze Palette des Diversity-Schönheitsideals – von krummnasig über hairy bis curvy. Nur in einem Punkt gleichen sich die Bilder: Alle Frauen strahlen.

Jetzt bin ich 47 und ich strahle nicht, jedenfalls nicht mehr so wie früher. Da helfen keine drei Liter Wasser, da helfen keine acht Stunden Schlaf, kein regelmäßiger Sport und auch die ganzen teuren Cremen sind nur von oberflächlichem Nutzen.

Also buche ich einen Termin in einem neu eröffneten Beautycenter in Wien. Unter dem Vergrößerungsspiegel der berückend attraktiven Inhaberin kann nicht geschummelt werden, jede Falte, jede geplatzte Ader, jeder Pickel wird sichtbar. Ein «HydraFacial» sollte es dann werden, die geheime «Better-Aging»-Wunderwaffe der Hollywoodstars. Dazu eine andere Gönnung, die ich von Instagram kenne: die Damen-Rasur. «Dermaplaning» ist ein Peeling mit einer scharfen Klinge mit der nicht nur feine Gesichtshaare entfernt werden, sondern auch abgestorbene Hautzellen. Dadurch wirkt der Teint frischer und strahlender. Und man kann nachher seine Barthaare bestaunen. Ist das schon würdelos? Bin ich nun eine der viele Über-Vierzigjährigen beim verzweifelten Versuch «fuckable», also möglichst lange sexuell attraktiv, zu bleiben?

Liebe Gesellschaft, korrigiere deine Altersklischees

Der sich stets selbst überholenden Madonna attestiert man diesen Wesenszug regelmäßig. Warum kann sie sich nicht «ihrem Alter entsprechend» verhalten, fragt man. Auf junge Lover, schrille Outfits und Beauty-OPs verzichten? Gegenfrage: Was würde denn ihrem Alter (Madonna ist 64) entsprechen? Ihren Rosengarten pflegen? Beige Buntfaltenhosen tragen? Kuchen backen? Oder warum nicht gleich einfach aus der Öffentlichkeit verschwinden?

Wer hat diese Regeln aufgestellt? Wer bestimmt sie? Ich denke: Die Revolution gegen die Fremdbestimmung, die festlegt, was man darf und was nicht, muss zuallererst in den Köpfen der Frauen stattfinden. Wenn sie sich selbst die Freiheit nehmen, gut gelaunt und ganz individuell alt zu werden, korrigiert der Rest der Gesellschaft seine Altersklischees mit der Zeit ebenfalls. Aber dazu braucht es jede Menge Mut. Es braucht den Mut, graue Mähnen ebenso gelten zu lassen wie gefärbte. Gemütliche Outfits ebenso wie knappe Röcke. MILFs ebenso wie Omas. Runzeln und Botox. Faulheit und Fitness.

Mögen wir also auch von den Männern lernen, oder zumindest von ihren Freiheiten, denn diese sind selbstgemacht. Klar, auch Männer altern. Sie werden dick, faltig, kahlköpfig, schlapp. Aber da sich ihr Wert – und damit ihre Würde – nicht allein über ihr Aussehen definiert, haben sie es um einiges leichter. Frauen kritisieren sich erbarmungslos. Bei Männern ist die Sache oft mit einem Witz und einem Schulterklopfen gegessen. Einfach, weil uns seit Jahrhunderten systematisch beigebracht wird, dass unser Lebensglück zum Großteil von Äußeren abhängt. Auch Männer achten mittlerweile sehr auf ihr Aussehen und setzen dabei auf die ganze Palette des Anti-Aging-Angebots. Doch für sie ist das inzwischen eine normale Option unter vielen. Frauen drohen dagegen viel eher Konsequenzen: Bodyshaming, Kommentare, fiese Wechseljahre-Witze, schlechtere Chancen im Beruf. Das muss aufhören. Älter werden, ohne älter auszusehen: Das wird früher oder später unmöglich für Frauen.

Der junge Mann, von dem ich eingangs erzählte – wenn er Glück hat, wird er alt. Älter, als ich es heute bin. Und dicker und kahler. Seine makellose Freundin? Wird eines Tages tiefe Falten haben, nicht nur um die Augen herum, und ihr Busen wird wahrscheinlich hängen. Ich wünsche ihnen ein volles Leben, das Spuren hinterlässt, denn jedes Jahr auf diesem Planeten ist wertvoll. Ich glaube daran, dass man mit Leichtigkeit und Stolz altern kann. Älter zu werden, ist ein Privileg, das wir feiern sollten.

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Janina Lebiszczak
Autorin von customize mediahouse

Lebe lieber ungewöhnlich: Ob Gesundheit, Sexualität, Sport oder Nachhaltigkeit, jedes Thema will entspannt, aber aufmerksam entdeckt werden. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie und niemals ohne Augenzwinkern.


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