«Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves»: Roll for Initiative, baby!
Filmkritik

«Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves»: Roll for Initiative, baby!

Luca Fontana
29.3.2023

Wer hätte das gedacht? «Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves» ist tatsächlich ein irres Abenteuer mit exquisitem Humor geworden, das keinerlei Vorkenntnisse zum Spiel braucht, um gemocht zu werden. Chapeau!

Eines vorweg: In diesem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.


Es mag noch viel zu früh dafür sein. Ich tu’s trotzdem. Mit breiter, mutiger Brust. Ladies and Gentlemen, ich deklariere «Dungeons and Dragons: Honor Among Thieves» offiziell und feierlich zur Überraschung des Jahres – und das im März!

Darauf gewettet hätte ich niemals. Nicht, nachdem ich die ersten Trailer zum Film gesehen hatte. Ich meine: Diese unsägliche Rockmusik, die flachen Witze, die scheinbare Überdosis an mittelprächtigen Computereffekten – wie soll aus dieser Respektlosigkeit etwas werden, dass der Mutter aller Rollenspiele auch nur im Ansatz gerecht wird? Wir reden hier schliesslich von «Dungeons and Dragons», Herrgott!

Und doch bin ich jetzt hier, tippe diese Zeilen und kriege das breite Grinsen kaum aus meinem Gesicht heraus. Wieso? Lies weiter.

Darum geht’s

Manchmal ist es Edgins (Chris Pine) viel zu ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit, der ihn auf diebische Abwege und in die grössten Schwierigkeiten bringt. Sein vergangener Raubzug etwa – die Motive bleiben hier aus Spoilergründen unerwähnt – haben ihn und seine barbarische Kumpanin Holga (Michelle Rodriguez) in ein Hochsicherheits-Gefängnis gebracht. Irgendwo im Nirgendwo, wo’s immer Winter ist und ewiges Eis die Insassen vom Königreich fernhält, hausen die beiden, während sie ihre Flucht planen.

Kaum ist diese geglückt, trommeln Edgin und Holga die «alte Gang» wieder zusammen. Das nächste Ziel: ein magisches Relikt, das seit Jahrhunderten als verschollen gilt. Das ist aber nicht der eigentliche Coup. Das Relikt dient nur dazu, die magisch verriegelten Tore zu einem Tresor zu öffnen, das einen noch viel grösseren Schatz birgt. Nur gehört der niemand Geringerem als dem bösen Forge (Hugh Grant), dem Fürsten von Nevermore, der Hauptstadt des Reichs.

Dungeons and Dragons – die Mutter aller Rollenspiele

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, in einem Reich namens Mittlerer Westen der Vereinigten Staaten – genauer gesagt in den Bundesstaaten Minnesota und Wisconsin – als eine Gruppe von Freunden zusammenkam, um die Geschichte des Spiels für immer zu verändern.
«Dungeons & Dragons», Player’s Handbook, Preface

Als Gary Gygax und seine Freunde im Jahr 1960 das Pen-and-Paper-Spiel erfanden, hatten sie noch keine Ahnung, dass sie gerade dabei waren, ein globales Phänomen zu erschaffen. Stattdessen waren sie es einfach nur leid, bloss Geschichten über Welten mit Magie, Monstern und Abenteuern zu lesen, statt sie selbst zu erleben.

«Dungeons & Dragons», das Spiel, ist nämlich kein Ort wie Mittelerde. Es hat keine fixen Städte und Dörfer oder bekannte Charaktere wie Frodo und Gandalf. «Dungeons & Dragons» ist vielmehr eine schier unendlich grosse Sammlung an Regeln, Spielmechaniken und Kampfsystemen. Ein Gerüst sozusagen, das es einem Spielleiter – dem Dungeon Master – erlaubt, eigene Welten zu erschaffen. Darin lädt er dann Spielende ein, um eigene Charaktere zu erstellen und Abenteuer zu erleben: die vom Dungeon Master erdachten Kampagnen. Deren Ausgang hängt von jeder einzelnen Begegnung ab. Von den Entscheidungen der Spielerinnen und Spieler. Und vom Würfelglück. So kann niemand das Ende der Geschichte voraussagen. Nicht mal der Dungeon Master selbst.

Voilà: die Geburt des ersten Rollenspiels.

Typisch Pen-and-Paper: liebevoll bemalte Spielfiguren auf einer schlichten, karierten Karte, die von den fantasievollen Ausführungen des Dungeon Masters zum Leben erweckt wird.
Typisch Pen-and-Paper: liebevoll bemalte Spielfiguren auf einer schlichten, karierten Karte, die von den fantasievollen Ausführungen des Dungeon Masters zum Leben erweckt wird.
Quelle: Luca Fontana

Dass Gygax und seine Freunde damit die Spielewelt revolutionierten und eine gesamte Industrie erschufen, ahnten sie damals nicht. Dabei waren sie es, die auf heute so selbstverständliche Rollenspiel-Elemente kamen wie Völker mit ihren Volksfähigkeiten, Klassen wie Krieger, Schurken und Magier oder Talentbäume. Ja sogar zu investierende Skillpunkte, die Spielende erhalten, wenn sie genügend Erfahrung gesammelt und die nächste Rangstufe erklommen haben. Selbst das Plündern von Monstern, Truhen und Gegnern, um an mächtige Gegenstände und Rüstungsteile zu gelangen, die den eigenen Charakter noch stärker machen, geht auf ihr Konto.

Egal, welches Rollenspiel du heute spielst: Ein bisschen «DnD» steckt überall drin. Entsprechend ist das Erbe der Mutter aller Rollenspiele wahrlich respekteinflössend. Zu respekteinflössend in meinem Fall, als ich die ersten Trailer sah. Bis ich mich eines Besseren besann.

Seien wir ehrlich: «Dungeons & Dragons» ist einfach nur absurd – im guten Sinne!

Ich bin kein Experte, wenn’s um «Dungeons & Dragons» geht. Eher ein Azubi: Erst seit knapp einem Jahr spiele ich in einer Kampagne mit – als Paladin. Immer schon als Paladin. Seit meinen «Dark Age of Camelot»- und «World of Warcraft»-Zeiten spiele ich in jedem Rollenspiel einen Paladin. Lange Geschichte. Tatsache ist: Noch bin ich kein «DnD»-Profi. Ich kann noch nicht sagen, was genau «Dungeons & Dragons» im Geiste ist oder zu sein hat. Ich kann nur von meiner eigenen Erfahrung mit dem Spiel reden. Und die sind gelinde gesagt … schräg. Irrwitzig. Und saukomisch. Genau wie der Film.

Plötzlich wird mir alles klar.

Beinahe hätte ich ihn begangen, den riesengrossen Fehler, das Erbe von «Dungeons and Dragons» viel zu ernst zu nehmen. Nichts hätte Gygax und seinen Freunden ferner gelegen, auch wenn das Marketing «DnD» oft als bierernstes High-Fantasy-Abenteuer verkauft. Gygax’ Ziel war es nämlich, Freunde zusammenzubringen. Spass zu haben. Unvergessliche Erinnerungen zu schaffen. Genau das passiert auch mir und meiner Truppe während unserer Kampagne. Wir lachen. Wir scherzen. Unser Dungeon Master stellt uns vor Rätsel. Wir denken uns die absurdesten und viel zu komplizierten Lösungen aus. Lachen wieder. Der Dungeon Master schüttelt den Kopf, kann sich das Grinsen aber nicht verkneifen. Stunden vergehen wie Minuten. Insider entstehen. Anekdoten für später werden geboren. Und am Ende des Tages habe ich Muskelkater vom vielen Lachen.

Denke ich an vergangene Versuche, das Pen-and-Paper-Spiel für die grosse Leinwand zu adaptieren, wird mir klar, woran die meisten gescheitert sind: Sie nahmen sich zu ernst. Viel zu ernst. Etwa die 2000er-Version von «Dungeons & Dragons» mit Schauspieler-Ikone Jeremy Irons. «Krull» aus dem Jahr 1983 mit Liam Neeson. Oder ein Jahr zuvor «Mazes and Monsters» mit Tom Hanks. Sie alle versuchten, die epischste Geschichte zu sein, die je erzählt worden ist. Letzteres sogar ein Horror-Spin-off. Sie alle haben vergessen, dass die typische Samstagnachmittag-DnD-Session oftmals mindestens genauso spannend wie albern ist.

Ein Crowdpleaser, der tatsächlich «pleased»

Spass macht «Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves» ohne Zweifel. Und dabei nicht nur zaghaft: Immer wieder muss ich herzhaft lachen – von wegen unlustiger Blödel-Humor.

Schuld daran ist die perfekte Besetzung. Da wäre zum Beispiel Chris Pine als redegewandter Harfner, dessen Spezialität es ist, Pläne zu schmieden, die schiefgehen, aber der es trotzdem immer wieder schafft, seine Truppe aufs Neue zu motivieren. Oder Michelle Rodriguez’ Barbarin Holga, ultra-wortkarg und kaum zu zähmen, und doch dringt ihre herzhafte Menschlichkeit immer wieder durch. Auch superb: Hugh Grant als fieser Fürst mit seinem schleimigen, britischen Akzent. Selten hat es so viel Spass gemacht, ein widerliches Stück Arschloch (pardon für die Aussprache) gleichzeitig zu hassen und zu lieben.

Einer stiehlt aber allen die Show: «Bridgerton»-Schönling Regé-Jean Page als Paladin Xenk Yendar. Heiliger als der Papst, aufrichtiger als Jesus. Ständig ist er von einer imaginären, undurchdringlichen Aura der Rechtschaffenheit umgeben, die ich im Kinosaal beinahe mit eigenen Händen zu fassen meine – so übertrieben ist der Paladin. Und jedes Wort spricht er mit einer so unglaublichen Gravitas aus, dass manch einer meinen könnte, dass ihm gerade die ganze Welt an den Lippen hinge.

Edgin (Chris Pine) und Xenk (Regé-Jean Page) auf der Suche nach einem wertvollen Relikt.
Edgin (Chris Pine) und Xenk (Regé-Jean Page) auf der Suche nach einem wertvollen Relikt.
Quelle: Paramount Pictures

Dass die Macher – John Francis Daley und Jonathan Goldstein haben nicht nur das Drehbuch geschrieben, sondern den Film auch selbst inszeniert – sich mit der Materie auskennen, ist in jeder Sekunde spürbar. Immer wieder streuen sie kleine Hommagen ein. Etwa Relikte, auf die sich die Akteure einstimmen müssen, ehe sie ihre verborgenen Kräfte nutzen können. Im Fachjargon «attunen» genannt. Oder Schmuckstücke mit Spell Slots, also gespeicherten Zaubern – frag nicht.

Das grösste Kunststück vollbringen Daley und Goldstein aber dann, wenn sie die typischen, aberwitzigen Situationen, die «DnD»-Spielerinnen und -Spieler selbst schon dutzendfach erlebt haben, auf Film übersetzen.

Zum Beispiel kam ich kaum aus dem Kichern heraus, als Chris Pines Edgin anfangs des Films seine ganze hochdramatische Hintergrundgeschichte erzählte und wie einen Weihnachtsbaum ausschmückte – jep, wir alle haben uns bei der Charaktererstellung sowas ausgedacht. Oder als Paladin Xenk ein Rätsel erklärt, hochkompliziert, und der Hexenmeister der Truppe den tödlichen Mechanismus bei der ersten dummen Gelegenheit auslöst. Been there. Done that. Falsche Schritte, die Treibsand auslösen. Verdächtige Pfützen, in die man reinspringt, obwohl man’s doch besser weiss – zack, schon wird ein Countdown ausgelöst. Ich könnte ewig so weitermachen.

Hätten Holga (Michelle Rodriguez) und Edgin (Chris Pine) doch nur höher auf Perception gerollt, dann wäre das womöglich nicht passiert.
Hätten Holga (Michelle Rodriguez) und Edgin (Chris Pine) doch nur höher auf Perception gerollt, dann wäre das womöglich nicht passiert.
Quelle: Paramount Pictures

Und dann die Welt: «Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves» sieht nicht nur verdammt schön aus, sondern ist auch abwechslungsreich. Von grossen mittelalterlichen Städten über saftig grünen Wäldern und ländlichen Bauernhöfen bis hin zu düsteren, höllenartigen Dungeons ist alles dabei. Dazu das liebevolle Creature Design, das in die vielen Masken, Prothesen und Kostüme geflossen ist. Du wirst überrascht sein, wie viele Drachengeborene, Aarakocra und Tabaxi im Film zu sehen sind – und kein einziges dieser Wesen wurde am Computer erschaffen und billig in den Film eingefügt.

Am besten gefiel mir aber das Friedhof-Setting in der Mitte des Films: einst Schauplatz einer epischen Schlacht, jetzt Massengrab. Unsere Heldinnen und Helden müssen die Toten dort nach Informationen befragen. Die Macher haben diese Szene mit einem derart morbiden Humor geschrieben, dass ich mich sofort an Sam Raimis «The Evil Dead» oder «Army of Darkness» erinnert fühle. «Dungeons & Dragons» at its finest.

Fazit: Lustig, herzlich, herrlich – so muss «DnD» sein!

Kaum zu fassen: «Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves» könnte tatsächlich eine der besten (Pen-and-Paper-)Spieladaptionen sein, die es gibt, auch wenn sie nicht halb so bahnbrechend und cineastisch ist wie etwa «Lord of the Rings». Dennoch: Dass Fantasy auch dann funktioniert, wenn’s nicht gerade so ernst und pathetisch wie in «Game of Thrones» oder «Chronicles of Narnia» zu- und hergeht, ist ein Beweis, der bis dato noch fällig war.

Dazu schafft «Dungeons & Dragons: Honor Among Thieves» einen schwierigen Spagat: Du brauchst kein Hardcore-Fan des Spiels zu sein, um den Film zu mögen. Dafür sorgt vor allem eine Schauspiel-Riege – angeführt von Chris Pine –, die am Set wohl den Spass ihres Lebens gehabt haben muss. Das kann nur anstecken. Den Rest erledigen die wunderschön gestalteten Schauplätze, Kostüme und Kreaturen, die etwas mehr als zwei Stunden wie im Fluge vergehen lassen.

In diesem Sinne: Roll for Initiative, meine lieben Spielerinnen und Spieler, und taucht ein in eine Welt voller Verliese und Drachen!


«Dungeons and Dragons: Honor Among Thieves» läuft ab dem 30. März 2023 im Kino. Laufzeit: 134 Minuten. Freigegeben ab 12 Jahren. Im digitec Podcast haben wir den Film ebenfalls schon besprochen: Klick!

Titelfoto: Paramount Pictures

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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