
Hintergrund
Der Reissverschluss, ein genialer Frustfaktor
von Michael Restin
Es gibt Innovationen, die im ersten Moment lächerlich wirken. Dazu gehört der automatische Reissverschluss, den Weltmarktführer YKK kürzlich vorgestellt hat. Ein sinnloses Gadget ist der motorisierte Zipper trotzdem nicht.
Vor wenigen Tagen hat YKK den Prototyp eines «selbstangetriebenen Reissverschlusses» vorgestellt. Auf Knopfdruck bewegt er sich wie die kleine Raupe Nimmersatt voran und fügt mit seinem rotierenden Köpfchen zusammen, was zusammen gehört.
Wenn du dir jetzt ratlos am Kragen nestelst, kann ich dich beruhigen: Der selbstfahrende Zipper ist in erster Linie für den industriellen Gebrauch gedacht. Für grosse Zelte und Planen zum Beispiel, die bislang auch an schwierig erreichbaren Stellen von Hand zusammengefügt werden mussten. Im Experiment von YKK waren vier Meter lange Strecken innert etwa 50 Sekunden miteinander verbunden.
Ein Erfolg auf der ganzen (vier Meter langen) Linie. Man werde weiterhin auf die Meinungen aller hören und spannende Produkte entwickeln, schreibt YKK in der Pressemitteilung fast ein wenig trotzig. Denn wie gross die Vielfalt ist, bekommt kaum jemand mit. Und wie gross YKK ist, erst recht nicht.
Die japanische Yoshida Kogyo Kabushikikaisha existiert seit 1934 und beschäftigt inzwischen über 45 000 Menschen. Einen davon, einen freundlichen Niederländer mit unendlichem Zipper-Wissen, habe ich vor drei Jahren an einem Messestand getroffen. Das hat meinen Blick auf die Dinger verändert.
Hingeführt hatte mich mein Ärger über einen klemmenden Reissverschluss, ich war mehr als einmal in meiner Jacke gefangen. Denn wann denkst du über Zipper nach? Wahrscheinlich wie ich immer nur dann, wenn es mal wieder hakt. Das ist das Schicksal vieler Gebrauchsgegenstände.
Seither weiss ich, wie komplex die Reissverschlusswelt ist und dass bei ungefähr zehn Milliarden (!) von YKK produzierten Zippern pro Jahr, die aneinandergereiht achtzig Mal die Erde umspannen würden, halt ab und zu was in die Hose geht. Wobei häufig nicht mal der Reissverschluss schuld ist. Oft ist er falsch ausgewählt, schlecht eingenäht – oder es liegt ein klassischer Bedienungsfehler vor.
Inzwischen gibt es Quickburst-Zipper, die du dir einfach vom Leib reissen kannst. Es gibt TouchLink-Zipper, die über NFC-Tags als «digital ID» Informationen zum Produkt oder als «Lifekey» Gesundheitsinformationen für Rettungskräfte bereithalten. Und nun gibt es eben auch einen motorisierten Reissverschluss.
Ich bin sicher, dass auch das noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Die Evolution geht weiter. Mein Innovationstipp an YKK: Jeder Kühlschrank piepst nach 30 Sekunden, wenn die Tür offen steht. Das sollte doch am Hosenstall auch möglich sein.
Einfacher Schreiber, zweifacher Papi. Ist gerne in Bewegung, hangelt sich durch den Familienalltag, jongliert mit mehreren Bällen und lässt ab und zu etwas fallen. Einen Ball. Oder eine Bemerkung. Oder beides.