Immer früher heisst es: Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum
Meinung

Immer früher heisst es: Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum

Martin Rupf
9.12.2022

Ab wann stellst du deinen Weihnachtsbaum auf? Und ab wann wird er geschmückt? Weshalb es mich stresst, wenn in meinem Umfeld Weihnachtsbäume bereits Ende November Einzug in die Stube halten.

Früher als dieses Jahr kann der erste Advent nicht zu liegen kommen – nämlich am 27. November. Dieser Umstand hat meine Kinder ganz gehörig ins Grübeln gebracht: «Weshalb feiern wir den 1. Advent, wenn doch nicht einmal Dezember ist?» Etwas unnützes Wissen an dieser Stelle: Fällt der Weihnachtsabend auf einen Dienstag, ist die Konstellation gerade für Kinder am logischsten. Denn dann dürfen sie das erste Adventstürchen genau am 1. Advent öffnen.

Doch nicht nur der erste Advent fand dieses Jahr ungewöhnlich früh statt. Mir scheint, dass Weihnachtsbäume ringsum immer früher angeschafft werden. Ich kann ja nachvollziehen, dass man sich möglichst schnell ein schönes Exemplar in genau der gewünschten Grösse sichern will. Doch die Bäume werden nicht etwa draussen, eingestellt in Wasser zwischengelagert, sondern häufig schon in der Stube aufgestellt und geschmückt.

Weshalb wir unseren Baum bis anhin immer relativ spät aufgestellt haben

Mich persönlich stresst das, wenn die Christbäume schon Anfang Dezember gekauft und geschmückt werden. Eigentlich sollen es mit dem Weihnachtsbaum alle so halten, wie es ihnen beliebt. Und doch gerate ich unter Druck, wenn meine Kinder mich Anfang Dezember zum baldigen Kauf eines Weihnachtsbaums drängen. «Papi, die Familie von Madlaina hat schon einen Weihnachtsbaum gekauft. Darf ich heute zu ihr den Baum schmücken gehen?», fragte mich meine Tochter schon Ende November.

Wir selber pflegten in den letzten Jahren den Weihnachtsbaum immer erst wenige Tage vor Weihnachten zu kaufen. Das mag auch unserem nicht allzu grossen Wohnzimmer geschuldet sein. Vor allem aber sind wir der Auffassung, dass der Zauber, der von einem geschmückten Weihnachtsbaum ausgeht, verblasst, wenn dieser während mehrerer Wochen sein Dasein fristet.

Schweiz und Deutschland folgen dem Trend aus den USA

Dass mein Eindruck nicht subjektiv gefärbt ist, bestätigt mir Philipp Gut. Er produziert selber Christbäume und ist Geschäftsführer der IG Suisse Christbaum. «Ja, wir stellen tatsächlich fest, dass Christbäume immer früher gekauft werden.» Vor allem während der Pandemie seien Weihnachtsbäume deutlich früher gekauft worden. «Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die Bäume heutzutage gut und gerne drei Wochen halten, und man etwas vom Baum haben will», mutmasst Gut. Und auch ein Blick über die Landesgrenze bestätigt diesen Trend. So hat eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergeben, dass nur noch etwa jeder achte Weihnachtsbaumkäufer in Deutschland seinen Baum erst an Heiligabend, schmückt. Die meisten Deutschen würden den Baum schon Wochen vor Weihnachten aufstellen. Die Christbaum-Käufer passen sich mit ihrem Verhalten quasi demjenigen in den USA an, wo der Baum nicht selten schon kurz nach Thanksgiving Ende November aufgestellt wird.

Wenn wir schon dabei sind: Wie viele Christbäume werden denn in der Schweiz schätzungsweise verkauft? «Das ist gar nicht so einfach zu schätzen», betont Philipp Gut. Denn wenn alleine alle 200 000 Waldbesitzer einen oder zwei Bäume fällen und verschenken würden, ergebe das schon 400 000 Bäume. «Hinzu kommt die Schwierigkeit, dass der Import nicht in Bäumen, sondern Tonnen gemessen wird. «Alles in allem schätzen wir aber, dass über 1,5 Millionen Bäume in der Schweiz verkauft werden», so Gut. Dabei würden etwa die Hälfte in der Schweiz produziert. «Und die Nordmann-Tanne ist mit einem Anteil von zirka zwei Dritteln der meistverkaufte Christbaum.»

Ein Plastikbaum wäre eine mögliche Alternative

Zum Stress gesellen sich auch Fragen. Sind wir schlechte Eltern, weil wir unseren Kindern den Weihnachtsbaum nur wenige Tage gönnen? Sorgen wir für genügend Adventszauber und Vorweihnachtsfreude? Und überhaupt: Weshalb kaufen die Menschen ihre Weihnachtsbäume immer früher?

Wahrscheinlich gibt es verschiedene Erklärungen. Erstens, in Zeiten des steigenden Umweltbewusstseins denken sich wohl viele Menschen: «Wenn schon ein Bäumchen für Weihnachten den Kopf hinhalten muss, dann sollte es sich doch wenigstens lohnen.» Ok, doch dann sollte man sich vielleicht am ehesten gleich für einen Plastik-Tannenbaum entscheiden, so muss nämlich erst gar kein Tannenbaum gefällt werden.

Ein weiterer Grund für das verfrühte Christbaum-Kaufen könnte der Aufruf sein, Strom und Energie zu sparen. Deshalb verzichtet dieses Jahr wohl so mancher auf die traditionelle Weihnachtsbeleuchtung inklusive blinkendem Samichlaus auf seinem Rentier. Dann bleibt einem in der Tat nicht mehr viel anderes als Kerzen und ein schön dekorierter Weihnachtsbaum, um sich auf das Weihnachtsfest einzustimmen. Ich selber habe es mir aber auch dieses Jahr nicht nehmen lassen, unseren leuchtenden Schneemann aufzustellen, den ich vor Jahren von meinem Schwiegervater geschenkt bekommen habe.

Begleitet uns seit Jahren durch die Vorweihnachtszeit: Unser leuchtender Schneemann.
Begleitet uns seit Jahren durch die Vorweihnachtszeit: Unser leuchtender Schneemann.
Quelle: Martin Rupf

Bevor du jetzt entsetzt aufschreist und mich des unsolidarischen Nicht-Stromsparens bezichtigst, kann ich dich beruhigen. Natürlich habe ich eine Schaltuhr angebracht. Damit leuchtet er nur abends gerade zwei, drei Stunden in dezentem Licht. Wenn du trotz drohendem Strommangel nicht ganz auf Weihnachtsbeleuchtung verzichten willst, dann kaufe dir am besten eine Beleuchtung mit LED-Lampen.

Und dann wäre da noch die Frage, wie lange man den Christbaum stehen lässt

Dieses Jahr werde ich mich wohl dem Diktat meiner Kinder beugen und bald schon einen Weihnachtsbaum kaufen. Nicht beantwortet ist noch die Frage, wie lange der Christbaum bei uns stehen bleibt. Es gibt solche, die den Baum gleich Anfang Januar entsorgen. Bei anderen wiederum steht er so lange in der Stube, bis sich mehr Nadeln auf dem Fussboden als auf dem Baum befinden. In diesem Sinne wünsche ich dir eine schöne Adventszeit – mit oder ohne Weihnachtsbaum – und ein besinnliches Weihnachtsfest im Kreise deiner Liebsten.

Titelfoto: Shutterstock

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Zweifachpapi, nein drittes Kind in der Familie, Pilzsammler und Fischer, Hardcore-Public-Viewer und Halb-Däne. Was mich interessiert: Das Leben - und zwar das reale, nicht das "Heile-Welt"-Hochglanz-Leben.


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