«System Shock» angespielt: Ein stimmungsvolles, aber fast zu originalgetreues Remake
Spielkritik

«System Shock» angespielt: Ein stimmungsvolles, aber fast zu originalgetreues Remake

Ich mag Remakes und ich mag «System Shock». Die Neuauflage modernisiert den 30 Jahre alten Spiele-Klassiker, bleibt dem Original aber zu treu.

«System Shock» aus dem Jahr 1994 gilt als Meilenstein der Spielgeschichte. An Bord einer verlassenen Raumstation legst du dich als Hacker mit einer durchgeknallten Künstlichen Intelligenz an. Als wäre das nicht genug gefährlich, trachten Mutanten und Cyborgs nach deinem Leben. Das komplexe Gameplay und die packende Spielwelt wurden als Genre-Revolution gelobt. Für das Studio LookingGlass, respektive die Entwicklerinnen und Entwickler war es der Startschuss für eine Reihe von bedeutenden «Immersive Sims» wie «Thief», «Deus Ex» und «Bioshock».

Mir ist der Sci-Fi-Klassiker damals leider durch die Lappen gegangen. Den zweiten Teil habe ich verschlungen. Die spielerischen Freiheiten, die ständige Bedrohung durch unheimliche Kreaturen und die furchteinflössende KI Shodan boten etwas nie Dagewesenes. Darum wollte ich das Original schon immer nachspielen. «System Shock» ist allerdings nicht sonderlich gut gealtert. Sowohl spielerisch wie grafisch ist es aus heutiger Sicht nur schwer zugänglich. Das will das Remake von Nightdive Studios ändern.

Wer hat das grössere Werkzeug?
Wer hat das grössere Werkzeug?
Quelle: Nightdive

Hacker vs. KI

Das Spiel beginnt mit mir als Hacker, als ich beim Diebstahl sensitiver Firmendaten erwischt werde. Als Wiedergutmachung soll ich für den Megakonzern TriOptimum die aufmüpfige KI einer Raumstation hacken. Gesagt, getan, als Belohnung erhalte ich ein neuronales Implantat, das mir in der dystopischen Zukunft gute Dienste erweisen soll. Nach der Operation wache ich allein und ohne jegliche Ausrüstung in der besagten Raumstation auf. Mehr Infos gibt es erst mal nicht. Das wird sich auch später nicht wirklich ändern. Ich mache mich auf, die Umgebung zu erkunden.

Schnell merke ich, dass hier ordentlich etwas schiefgelaufen ist. Überall liegen Leichen am Boden und schon hinter der ersten Ecke stürzt sich ein Mutant mit blutunterlaufenen Augen auf mich. Zwei kräftige Hiebe mit einem Stahlrohr, das ich zuvor gefunden habe, retten mich vor Schlimmerem. Audiologs füttern mich mit Informationsfetzen. Offenbar hat mein Eingreifen dazu geführt, dass Shodan, die Künstliche Intelligenz, sich selbständig gemacht hat und sich ein experimenteller Virus auf der Station ausgebreitet hat. Was ich tun oder wohin ich soll, weiss immer noch nicht.

Das Retro-Design sieht schick aus, aber macht es teilweise schwierig, zu erkennen, womit du interagieren kannst.
Das Retro-Design sieht schick aus, aber macht es teilweise schwierig, zu erkennen, womit du interagieren kannst.
Quelle: Nightdive

Dank meines Implantats kann ich Module aktivieren, die mir bei meinem Abenteuer helfen. Anfangs sind es rudimentäre Dinge wie eine Anzeige der Himmelsrichtungen, mein Gesundheitsstatus oder ein Radar, das Objekte in der Umgebung erkennt. Später kommen hoffentlich ein paar nützlichere hinzu, aber so weit bin ich noch nicht im Spiel.

Für das Remake hat Nightdive einen prägnanten, ungefilterten Grafikstil gewählt. Damit entsteht ein typischer Retro-Look, den ich im Kopf habe, wenn ich an alte Spiele zurückdenke. Beim Direktvergleich merke ich dann schnell, wie frappant besser die Neuauflage aussieht – so auch «System Shock». Die hübschen Lichteffekte und die Neonfarben erzeugen ein ungewöhnliches Design, das die Bedrohung der verseuchten und verlassenen Raumstation perfekt widerspiegelt. Es bringt allerdings auch ein Problem mit sich: Weil praktisch alle Maschinen und Apparate um mich herum blinken und leuchten, weiss ich selten auf Anhieb, womit ich interagieren kann.

Kein Händchenhalten

Immerhin habe ich eine Übersichtskarte, die mir anzeigt, wo ich schon gewesen bin und wo es noch verschlossene Türen hat. In den ersten Stunden stolpere ich planlos durch die Gegend. Ich aktiviere auf gut Glück Schalter, die Laserbarrieren aktivieren, oder Terminals, die Energie umleiten. Letztere bieten interessante kleine Rätsel, wo es gilt, Stromkreise richtig zu verbinden. Bei einigen verstehe ich allerdings nicht, was von mir verlangt wird. Das Spiel nimmt mich nicht an der Hand.

Bei einigen Schaltkreis-Rätseln habe ich keinen Schimmer, was ich tun muss.
Bei einigen Schaltkreis-Rätseln habe ich keinen Schimmer, was ich tun muss.
Quelle: Philipp Rüegg

Was ich von all den Dingen, die herumliegen, aufsammeln soll, ist mir auch schleierhaft. Granaten, Munition und Energie-Kapseln erkenne ich relativ schnell. Daneben gibt es aber unzähligen Ramsch wie Stethoskope und Blutbeutel. Einen Teil davon kann ich zu Schrott verarbeiten und diesen an einem Automaten gegen Credits eintauschen. Davon wiederum kann ich mir Kampfverstärker kaufen, die mich kurze Zeit fester draufhauen lassen.

Mittlerweile habe ich auch ein paar Schusswaffen gefunden. Bis dahin war ich nur mit einem riesigen Schraubenschlüssel unterwegs. Die Pulsgewehre und Laser Blaster sind dringend nötig, denn die Mutanten sind nicht die einzige Bedrohung an Bord. Nicht sonderlich clever, aber dennoch gefährlich sind die Cyborgs – leicht erkennbar am grellen, roten Leuchten ihres Laservisiers. Sie sorgen in der schlecht beleuchteten Raumstation für angenehmen Grusel. Noch mehr aufpassen muss ich auf Kampfroboter. Dort werfe ich lieber ein paar Granaten um die Ecke, als mich ihnen direkt zu stellen.

Die Lichteffekte sind besonders hübsch.
Die Lichteffekte sind besonders hübsch.
Quelle: Nightdive

Die anfangs überschaubare Karte wächst nach den ersten Stunden deutlich an. Was es nicht leichter macht, mein Ziel zu finden. Ein Questlog oder dergleichen gibt es nicht. Natürlich wird es irgendwie darum gehen, Shodan auszuschalten. Der zweite Teil von «System Shock» verrät mir zwar, dass ich diese Aufgabe nicht zur vollsten Zufriedenheit lösen kann. Hier ist die Vorlage am deutlichsten zu erkennen. Heutige Spiele bombardieren mich Tutorials, markieren den Weg zur nächsten Aufgabe mit Leuchtspuren oder pflastern Objekte zum Interagieren mit gelber Farbe voll. «System Shock» vertraut darauf, dass ich mein Ziel irgendwann finde.

Tatsächlich bringe ich einen gesperrten Aufzug schliesslich zum Laufen, indem ich vier grün leuchtende Zylinder zerstöre. Sie stellen sich als Prozessoreinheiten heraus. Das passt Shodan gar nicht in den Zwischenspeicher. Mit einer schaurig schön verzerrten Computerstimme macht die KI ihre Meinung über mich niederes fleischiges Wesen deutlich. Ich bin mir längst gewohnt, dass mich Technik hasst und mache mich unbekümmert auf ins nächste Stockwerk.

Shodan gehört zu den besten Bösewichten der Spielgeschichte.
Shodan gehört zu den besten Bösewichten der Spielgeschichte.
Quelle: Nightdive

In einem Nebenraum entdecke ich ein merkwürdig leuchtendes Gerät. Es sieht aus wie ein Bumerang, der rücklings in der Wand steckt. Als ich draufklicke, transportiert mich das Spiel in den Cyberspace. Natürlich, jeder weiss, dass Hacking so funktioniert. Hier drin sieht alles glatt und poliert aus. Ich kann frei in diesem dreidimensionalen Raum herumfliegen. Mal wieder habe ich keine Ahnung, was ich machen soll. Die feindlichen Raumschiffe oder Antiviren-Programme machen mir jedoch klar, dass ich unerwünscht bin. Also ballern wir einander mit bunten Laserprojektilen zu. Ich komme mir vor wie im Raumschiff-Shooter «Descent». Am Ende zerstöre ich eine grell leuchtende Säule und verlasse durch ein grünes Viereck den Cyberspace. Offenbar hat es geholfen, denn nun hat sich eine Barriere deaktiviert und ein neuer Bereich steht mir zum Erkunden offen.

Im Cyberspace herumballern, um das System zu hacken. Wie sonst?
Im Cyberspace herumballern, um das System zu hacken. Wie sonst?
Quelle: Nightdive

Es braucht die richtige Einstellung

In den ersten Stunden mit «System Shock» komme ich mir unbeholfen vor. Ich weiss selten, was ich tun oder wohin ich gehen soll. Das trägt aber zur Stimmung bei. Zusammen mit der verrückten KI Shodan, die über Lautsprecher und verpixelte Displays mit ihrer grünen Fratze passiv-aggressive Drohungen ausspricht, wirkt die Raumstation fremd und alienhaft.

Der bestechende Retro-Grafik-Stil weckt ebenfalls meine Neugier, die verlassenen Stationen zu erkunden und einen Weg finden, Shodan zu überlisten. Ohne das Original von 1994 gespielt zu haben, macht das Remake einen authentischen Eindruck auf mich. Viele Dinge wie das Waffensystem, die Benutzeroberfläche oder die Hacking-Mechanik wurden allerdings zugunsten der Spielbarkeit modernisiert. Dennoch wünschte mir, dass mir das Spiel noch mehr Annehmlichkeiten oder Spielhilfen bieten würde. Zu oft stolpere ich ziellos herum.

Wenn du etwas Geduld mitbringst, dann verspricht «System Shock» ein spannendes Sci-Fi-Adventure zu werden. Ich werde definitiv dran bleiben. Alternativ kannst du einen Blick auf die Enhanced Version des Originals werfen oder dich am zweiten Teil versuchen. Die sehen zwar etwas angestaubt aus, aber auch das hat seinen Charme.

«System Shock» ist erhältlich für PC, Konsolen folgen später. Das Spiel wurde mir von Plaion zur Verfügung gestellt.

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Als Game- und Gadget-Verrückter fühl ich mich bei digitec und Galaxus wie im Schlaraffenland – leider ist nichts umsonst. Wenn ich nicht gerade à la Tim Taylor an meinem PC rumschraube, oder in meinem privaten Podcast über Games quatsche, schwinge ichmich gerne auf meinen vollgefederten Drahtesel und such mir ein paar schöne Trails. Mein kulturelles Bedürfnis stille ich mit Gerstensaft und tiefsinnigen Unterhaltungen beim Besuch der meist frustrierenden Spiele des FC Winterthur. 


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