
Kritik
«Avatar: The Way of Water»: Du glaubst, alles gesehen zu haben? Denk nochmal drüber nach
von Luca Fontana

Nach zwei «Avatar»-Filmen sollte eigentlich alles gesagt sein. Und doch schafft es «Fire and Ash», sich neu anzufühlen. Nicht, weil er lauter oder grösser wäre, sondern weil James Cameron diesmal dort ansetzt, wo es weh tut: bei Verlust und Familie.
Keine Sorge: Die folgende Filmkritik enthält keine Spoiler. Ich verrate dir nicht mehr, als ohnehin schon bekannt und in den Trailern zu sehen ist. «Avatar: Fire and Ash» läuft ab dem 17. Dezember im Kino.
Ach Mann. Nicht schon wieder. Kaum gehen die Lichter im Saal an, habe ich es. Dieses Grinsen. Dieses leicht genervte, ungläubige Grinsen, weil ich doch nicht jedes Mal, wenn ich einen «Avatar»-Film schaue, dasselbe schreiben kann. Das wird langsam absurd.
Und doch bleibt mir nichts anderes übrig: James Cameron hat es auch beim dritten «Avatar»-Film geschafft, mir zu zeigen, wie gross Kino sein kann, wenn jemand es nicht nur will, sondern kompromisslos durchzieht. Wenn Laufzeit keine Angst macht, Pathos kein Schimpfwort ist und Spektakel nicht bedeutet, dass alles andere untergeht.
Tja. Jetzt sitze ich wieder hier. Vor einem nüchternen, grauen Bildschirm. Draussen Nebel, Winter und Dunkelheit. Und vor ein paar Minuten war ich noch auf Pandora – auf diesem glühenden, leuchtenden Mond, der in Farben atmet, der pulsiert, der lebt. Jetzt soll ich das alles in Worte fassen.
Als wäre das so einfach …
«Avatar: Fire and Ash» ist der erste Teil dieser Reihe, der mich nicht nur staunen lässt, sondern wirklich berührt. Nicht, dass er leiser wäre als seine Vorgänger. Im Gegenteil. Vielmehr traut sich Cameron erstmals wirklich, seinen Figuren Raum zu geben, bevor das Spektakel übernimmt. Trauer, Familie und innere Brüche stehen hier nicht im Weg der Bilder. Sie tragen sie.
Denn der Film setzt dort an, wo «Avatar: The Way of Water» aufgehört hat: Der Tod von Neteyam, Sohn von Jake Sully (Sam Worthington) und Neytiri (Zoe Saldana), liegt wie ein Schatten über ihnen und ihren Kindern. «Fire and Ash» macht daraus keinen kurzen emotionalen Aufhänger, sondern seinen Ausgangspunkt: eine Familie, die trauert – und an genau diesem Schmerz zu zerbrechen droht.
Jede Figur geht dabei anders mit diesem Schmerz um. Manche ziehen sich zurück, andere reagieren mit Wut, wieder andere klammern sich an Pflichten und Verantwortung, um dem Schmerz auszuweichen. Cameron nimmt sich überraschend viel Zeit, diesen inneren Zerfall zu zeigen, ohne ihn sofort in Action oder neue Schauwerte aufzulösen.
Parallel dazu verschärft sich die Lage auf Pandora erneut. Die Menschen sind noch immer da, noch immer eine Bedrohung. Neu dazu kommt aber eine weitere, unerwartete Kraft: ein Na’vi-Stamm, der dem Feuer verbunden ist und glaubt, von Eywa, die allumfassende Lebenskraft und Gottheit des Mondes, verlassen worden zu sein. Genau daraus speist sich ihr Antrieb: alles niederzubrennen.
In Feuer und Asche.
Gerade diese Zurückhaltung macht «Fire and Ash» so überraschend mutig. Denn Cameron tut hier etwas, das man ihm lange nicht zugetraut hat: Er gibt den Charakteren den Vortritt. Zumindest am Anfang. Er hetzt nicht von Setpiece zu Setpiece, sondern bleibt bei seinen Figuren. Lässt sie trauern. Lässt sie streiten. Lässt sie Fehler machen, ohne sie sofort mit einem visuellen Feuerwerk zu übertönen.
Das ist bemerkenswert – gerade bei einem Regisseur, dem man seit Jahrzehnten vorwirft, dass seine Filme weniger von ihren Geschichten getragen werden als von ihren Bildern. Dass Emotion oft aus dem Staunen entsteht, nicht aus der Figurenzeichnung.
«Fire and Ash» dreht dieses Verhältnis zumindest zeitweise um. Und genau das verleiht dem Film eine neue, ungewohnte Schwere: Zum ersten Mal fühlen sich Jake, Neytiri, ihre Familie und ja, sogar Stephen Langs Quaritch, nicht wie Bestandteile einer Welt an, sondern wie Menschen – oder Na’vi – mit echten inneren Konflikten.

Besonders stark ist dabei, dass Cameron Trauer nicht als etwas Einheitliches begreift. Sie ist hier kein dramaturgischer Schalter, der einmal umgelegt wird, um Motivation zu erzeugen. Sie frisst sich unterschiedlich tief in jede Figur hinein. Und sie verändert Entscheidungen. Beziehungen. Loyalitäten. «Fire and Ash» zeigt, wie schnell eine Familie, die äusserlich zusammenhält, innerlich zu zerfallen beginnt – und wie gefährlich genau dieser Zustand in einer Welt ist, die ohnehin kurz vor dem nächsten Konflikt steht.
Erst auf diesem Fundament entfaltet das Spektakel seine volle Wirkung. Wenn später neue Welten, neue Kulturen und neue Bedrohungen aufeinandertreffen, dann nicht als Selbstzweck, sondern als Konsequenz dessen, was zuvor aufgebaut wurde. Das Staunen fühlt sich dadurch weniger hohl an. Weniger wie ein Pflichtprogramm. Gut so.
Das Auftauchen des Feuervolks wirkt in «Fire and Ash» darum auch nicht wie ein weiterer exotischer Abstecher, sondern wie eine bewusste Zuspitzung. Dieser Stamm ist nicht einfach ein neues visuelles Gimmick, keine weitere Variante der Na’vi zum Staunen und Abhaken. Er steht für eine Welt, die ihren inneren Zusammenhalt verloren hat. Für eine Kultur, die glaubt, vom Geist Pandoras verlassen worden zu sein und daraus eine zerstörerische Konsequenz zieht.

Pandora selbst verändert dadurch seinen Charakter. Der Mond ist hier nicht länger nur eine Projektionsfläche für Schönheit und Harmonie, sondern ein System im Ungleichgewicht. Ein Ort, an dem selbst jene, die einst im Einklang mit ihm lebten, beginnen, seine Regeln infrage zu stellen. Feuer und Asche sind hier nicht nur ästhetisches Leitmotiv, sondern die logische Verlängerung jener emotionalen Brüche, die Cameron zuvor innerhalb der Familie Sully etabliert hat.
Erst an diesem Punkt darf der Film wieder eskalieren. Das Spektakel kehrt zurück: grösser, lauter und überwältigender denn je. Neue Welten öffnen sich, neue Kulturen prallen aufeinander, neue Bedrohungen verschärfen die Lage. Doch diesmal fühlt sich diese Eskalation nicht wie ein Pflichtprogramm an, weil Teil 3 nun mal grösser sein muss als Teil 2. Sie wirkt vorbereitet.
Verdient, sogar.

Und dann ist da natürlich noch dieser andere Cameron-Motor, der hier wieder auf Hochtouren läuft: der unbedingte Drang, die technischen Grenzen des Kinos weiter nach vorne zu schieben. Jep, auch «Fire and Ash» ist ein weiterer fast schon grössenwahnsinniger Versuch, das aktuell Machbare neu zu definieren.
Ich meine: Diese Bildsprache, die Detailtiefe, die Art, wie Welten, Körper, Bewegung und Licht zusammenspielen. All das wirkt nicht nur grösser, sondern präziser. Kontrollierter. Als hätte Cameron erneut ein Werkzeugkasten geöffnet, den sonst noch niemand benutzt. Der nunmehr 71-jährige Kanadier zeigt hier besonders deutlich, was ihn seit jeher auszeichnet: Seinen Glauben daran, dass Kino alles darf – solange es auf etwas aufbaut.
Ganz frei von bekannten Mustern macht sich «Fire and Ash» allerdings nicht. Ausgerechnet im finalen Akt greift Cameron wieder auf einen dramaturgischen Kniff zurück, den man aus den vorherigen «Avatar»-Filmen nur zu gut kennt. Die Zuspitzung folgt einer Struktur, die vertraut wirkt – nicht falsch, nicht wirkungslos, aber deutlich erkennbar. Man spürt, dass dieser Weg erprobt ist. Vielleicht sogar zu sehr.

Das ist insofern bemerkenswert, als der Film davor über weite Strecken den Mut aufbringt, sich Zeit zu lassen. Figuren atmen zu lassen. Konflikte nicht sofort in Eskalation aufzulösen. Gerade diese Geduld macht den Mittelteil von «Fire and Ash» so stark und lässt das Finale im direkten Vergleich etwas konventioneller erscheinen, als es müsste.
Dabei funktioniert der Showdown emotional weiterhin. Die Bilder sind wuchtig, die Spannung hoch, die Inszenierung grandios, die Laufzeit episch. Doch die Überraschung bleibt aus. Wer das Franchise kennt, ahnt, in welche Richtung sich die Dynamik entwickelt, lange bevor der Film dort ankommt. Das kratzt zwar nicht an der emotionalen Wucht, aber es verhindert, dass «Fire and Ash» im letzten Moment den entscheidenden Schritt weg vom vertrauten Muster hin zu etwas wirklich Neuem macht.
Es nervt mich fast ein bisschen, dass ich es schon wieder schreiben muss. Aber ja: James Cameron kann es immer noch. «Avatar: Fire and Ash» ist ein monumentales Stück Kino, das mehr Herz hat, als man diesem Franchise lange zugetraut hat. Nicht alles daran überrascht, vor allem gegen Ende. Aber genug davon bleibt hängen, um diesen Film weit über das übliche Blockbuster-Mittelmass hinauszuheben.
Was bleibt, ist dieses Gefühl von Verlust – nicht nur im Film, sondern danach. Dieses Zurückgerissenwerden aus einer Welt, die glüht, atmet und lebt, hinein in eine Realität, die plötzlich stiller wirkt. Grauer. Kleiner. «Fire and Ash» ist kein Eskapismus, der betäubt. Es ist einer, der berührt, weil er uns vorher etwas gegeben hat: Figuren, Emotionen und Konsequenzen. Genau deshalb tut der Abschied von Pandora wieder ein kleines bisschen weh.
Vielleicht ist das die grösste Leistung dieses dritten Teils. Nicht, dass er alles neu erfindet. Sondern dass er mir einmal mehr vor Augen führt, wofür Kino da sein kann, wenn jemand den Mut hat, es gross zu denken, ohne dabei zu vergessen, warum wir überhaupt hinschauen. Für diese Momente. Für dieses Staunen. Und für dieses Gefühl, das noch anhält, wenn draussen längst wieder Nebel, Winter und Dunkelheit warten.
I see you, Pandora.
Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.
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