Wie mich Honigbrote streichen auf 444 Tode in «The Messenger» vorbereitet hat
Hintergrund

Wie mich Honigbrote streichen auf 444 Tode in «The Messenger» vorbereitet hat

Kevin Hofer
4.11.2023

Hast du kleine Kinder, bleibt nicht mehr viel Zeit zum Zocken. Ich schaff’s fast nur noch in kleinen Brocken. Metroidvania-Spiele sind dafür perfekt. Ein Genre, für das ich vor meinen Kindern weder die Geduld noch die Contenance hatte.

Ich bin leidenschaftlicher Zocker. Oder war’s zumindest mal. Seit der Geburt meines ersten Kindes bin ich im besten Fall noch Gelegenheitsgamer. Immerhin: Mittlerweile sind die Kiddies etwas älter und ich habe wieder Zeit, mich ab und zu meiner alten Leidenschaft zu widmen.

Dabei habe ich ein Genre neu für mich entdeckt: Metroidvania. Es handelt sich um ein Kofferwort aus den zwei genrebildenden Game-Franchises: «Metroid» und «Castlevania». Diese Spiele zeichnen sich durch grosse Spielkarten aus. Teile dieser werden nach und nach durch das Erlernen neuer Fähigkeiten freigeschaltet. Gerade habe ich «The Messenger» beendet. Das Spiel hätte ich vor ein paar Jahren noch nicht zocken können. Erst meine Kinder haben mich darauf vorbereitet.

Kinder stärken das Nervenkostüm

Wer kleine Kinder hat oder hatte, kennt’s: Hast du auf der Brotschnitte auch nur eine Ecke nicht mit Honig bestrichen, artet das in Schreitiraden aus. Nachdem du auch das zweite Kind für den Spaziergang im winterlichen Wald angezogen hast, hat sich das erste bereits wieder ausgezogen – du fängst von vorne an. Beim Bananenschälen machst du sowieso alles falsch. Kurz: Kinder brauchen Geduld, sehr viel Geduld.

Die ging mir früher vollends ab. Dank meinen Kindern habe ich gelernt, ruhig zu bleiben, wenn’s mal nicht so läuft, wie ich möchte. Diese Eigenschaft hilft mir heute bei den Metroidvania-Spielen. Selbst wenn ich zum zehnten Mal in Folge an derselben Stelle in den Tod stürze, gebe ich nicht auf. Ich schreie nicht, wie ich das früher getan hätte. Sondern bedanke mich nett beim Spiel für sein Feedback – meinem virtuellen Ableben – und versuche es nochmal.

Persönliche Angriffe prasseln an mir ab

Den Grossteil meiner schulischen Laufbahn wurde ich gemobbt. Ich war der klassische Aussenseiter. Das hat mich nicht gestärkt, sondern geschwächt. Jahrelang hatte ich mit einem geringen Selbstwertgefühl zu kämpfen. Erst mit der Zeit kam ich darüber hinweg. Auch lange danach habe ich jegliche Kritik als Angriff auf meine Person gewertet.

Und heute? Werde ich wieder beleidigt und beschimpft. Halt einfach von meinen Kindern. Das reicht vom tatsächlich bös gemeinten «Dummkopf» zur «Wurst mit grauen Haaren». Früher hätte mich beides auf die Palme gebracht. Erstes kann ich heute locker nehmen, weil ich weiss woher es kommt. Selbst uns Erwachsenen fällt es manchmal schwer, unsere Emotionen zu regulieren – die Kommentarspalte ist das beste Beispiel dafür. Zweites war gar nicht als Beleidigung gedacht, sondern als Kompliment. Wie ich das als Kompliment verstehen darf, konnte mir mein Sohn im Nachhinein aber nicht erklären. Zum Glück habe ich dank ihm und seinem Bruder gelernt, die Contenance zu wahren.

Was dieser lange Exkurs mit Metroidvania-Games zu tun hat? In «The Messenger», das ich eben beendet habe, habe ich unendlich viele Leben. Sterbe ich, belebt mich der Greed Demon «Quarble» wieder. Dafür frisst er mir für eine gewisse Zeit alle gesammelten Time Shards – das ist die Währung im Spiel. Und er macht sich über mich lustig. Jedes Mal. Das reicht von «du hättest es mit Springen versuchen können» bis «du kannst einfach den Input Lag für deine Inkompetenz verantwortlich machen.» Bis zu den Credits haut mir der Dämon seine Sprüche 444 Mal um die Ohren – ja, ich bin so schlecht. Ich nehme die Beleidigungen dank meiner Kinder so, wie sie jede emotional gestärkte Person nimmt: als Witz.

Dank den Kiddies kann ich heute Metroidvanias zocken, ohne den Kontroller zu zertrümmern oder in Tränen auszubrechen. Demnächst wage ich mich an Plattformer, die haben mich früher noch viel mehr genervt. Vielleicht werde ich doch wieder ein leidenschaftlicher Zocker.

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


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