Die Siedler von Kapla
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Die Siedler von Kapla

Als mitten im Wohnzimmer eine neue Stadt entsteht, gerät der Familienfrieden in Gefahr. Eine Geschichte von Vater und Sohn, Vertreibung und Versöhnung.

Alles begann mit einer Kiste Kapla und einer fatalen Fehleinschätzung. Die Pinienholzplättchen sind so etwas wie der heilige Gral des Holzspielzeugs. Auch fünfjährige Digital Natives, die sonst alles, was nicht Super Mario, Smartphone oder Ninja ist, schnell mit Missachtung strafen, verlieren sich gelegentlich im Spiel mit den kleinen Stäbchen, aus denen sich Burgen, Häuser und Türme bauen lassen. 200 Stück hatten wir davon. Und etwa anderthalb Stunden Ruhe, bis ein Schrei der Verzweiflung die Stille im Homeoffice mit angeschlossener Ferienbetreuung jäh beendete.

Unser Sohn sass vor drei hübschen Chalets und einer Bauruine, die an spanische Küstenstriche im Jahr der Immobilienkrise erinnerte. Wenn die Rohstoffe knapp werden oder das Geld ausgeht, hat das hässliche Folgen. Persönliche Dramen, Aufruhr, Demonstrationen. Ganze Regierungen geraten ins Wanken. Arbeitspläne sowieso. Eine beliebte Lösung: Den Markt mit Geld fluten, Nullzinspolitik, Staatshilfen. Hauptsache die Wirtschaft brummt wieder. Wenn eifrig gebaut und konsumiert wird, haben die Mächtigen ihre Ruhe. Familien funktionieren ganz ähnlich.

Die erste Kiste war zu schnell leer.
Die erste Kiste war zu schnell leer.

Bei uns stellte meine Frau, die Zentralbankpräsidentin, eine einfache Rechnung auf: Wenn 200 Kapla für anderthalb Stunden Ruhe sorgen, reichen 1000 weitere für einen ganzen Arbeitstag. Etwas populistisch gedacht, finde ich. Trotzdem floss das Geld und einen Tag später war sie da, die grosse Kiste mit dem Nervengold zum Preis von ungefähr fünfzig Rappen pro Feinunze. Insgesamt 11,4 Kilogramm Kleinholz für über 200 Franken. Jedes Teil genau 117 Millimeter lang, 23,4 Millimeter breit und 7,8 Millimeter hoch. Ein anscheinend magisches Seitenverhältnis, dank dem sich so gut wie alles gestalten lässt. Ohne Plastik, ohne Einstöpseln à la Lego. Das höchste Kapla-Bauwerk ist 18,40 Meter hoch. Das Holzspielzeug hat nicht nur die Herzen von Sonderpädagogen in Strickpullis erobert, es reizt jede*n. Dabei gibt es Kapla nur, weil ein Niederländer in Frankreich ein Schloss bauen wollte.

Der Name stammt vom niederländischen Begriff für 'Wichtelhölzchen', KAbouter PLAnkjes. Kapla wurde im Jahr 1987 beim Bau eines Schlosses aus Stein im südfranzösischen Département Aveyron entwickelt. Als der damals 25-jährige Bauherr Tom van der Bruggen mit herkömmlichen Holzklötzchen ein Modell des Bauwerks erstellen wollte, erwies sich die Würfelform als ungeeignet, sodass er sie durch Holzplättchen ersetzte – und so Kapla erfand.
Wikipedia

Fünfzehn Jahre später war Tom van der Bruggens Schloss fertig – und refinanziert, schätze ich mal. Ich gönne es ihm. Doch für mich ist sein Erfolg eine Warnung. Während er wahrscheinlich durch seinen Schlossgarten wandelt und ab und an ein wenig Wichtelhölzchen im Kaminzimmer stapelt, wächst bei uns zuhause der Dichtestress.

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Kein Hochstapler

Mein Sohn erweist sich als strategisch clever und baut seine Siedlungen mit Vorliebe an Verkehrsknotenpunkten, die Handel und florierendes Wachstum versprechen. Irgendwo zwischen Wohnzimmer, Essbereich und Durchgang zum Bad scheint für ihn der ideale Platz zu sein. Da müssen alle mal vorbei. Kapla City hat beste Aussichten, Boomtown zu werden. Er zieht unbeirrt ein Reihenhaus nach dem anderen hoch und baut in die Breite, was die Lage für mich noch kritischer macht. Als Ureinwohner wehre ich mich gegen jede Veränderung. Ich will abends den Blick über unberührtes Parkett schweifen lassen, er füllt seine Stadt langsam mit Leben. Ein Konflikt ist unausweichlich.

Ja zur Wohnzimmerinitiative

Da ich Baudirektion, Sicherheitsdepartement und Entsorgungsbetrieb in Personalunion bin, erweitere ich den pädagogischen Nutzen des Holzspielzeugs um eine weitere Dimension. «Hast du schon mal das Wort 'Bürokratie' gehört, mein Sohn? So geht das nicht! Nicht ohne Baubewilligung!» Und überhaupt: Die innerwohnzimmerliche Zersiedelung muss ein Ende haben.

Während er relativ gefasst reagierte, als ich im Halbdunkel versehentlich wie Godzilla in ein hübsches Holzchalet gestampft bin, bringen ihn Umsiedlungspläne zur Weissglut. Ich verweise auf seinen Erstwohnsitz im Kinderzimmer und die Wohnzimmerinitiative, die ich einstimmig annehme.

Nach etwas Geschrei und einer angeregten Diskussion einigen wir uns darauf, dass hier alle machen dürfen, was ich will. Mein basisautokratisches Urteil lautet: Enteignung wegen übergeordnetem öffentlichen Interesse. Dafür stelle ich ihm ein Ersatzgrundstück unter seinem Hochbett zur Verfügung und helfe bei der Erschliessung.

Dort entsteht nun ein neues Musterdorf mit elf Häusern, einem Parkplatz und einem Aussichtsturm, den er bei jeder Gelegenheit als besondere Attraktion bewirbt. Angeblich bekommt dort das Sams seine Wunschpunkte. Ich frage mich, ob sein Schatten den Häusern nicht die Sonne nimmt.

Ansonsten ist jedes Bauwerk ein Bijoux, nach dem sich Investoren die Finger lecken dürften. Bei einer Nettowohnfläche von 60 Quadratzentimetern pro Chalet müsste in Zürich ein Verkaufspreis von 250 000 Franken realistisch sein.

Auch wenn nichts daraus werden sollte und wir mit dem Kapla-Grosseinkauf am Ende «nur» in die Kreativität unseres Sohnes investiert haben, geht das in Ordnung. Jetzt, da das Wohnzimmer wieder frei und der Familienfrieden vorerst gesichert ist. Der Kleine sendet mir zumindest eine versöhnliche Botschaft.

Was der Nachwuchs-Baulöwe noch nicht weiss: Eines Tages wird der Zyklon Miele Triflex über sein Dorf hinwegfegen und es dem Erdboden gleich machen. Dann folgt auf eine kurze Phase der Verzweiflung hoffentlich ein neuer kreativer Höhenflug.

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Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.


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