Fake-Bewertungen und Stockfotos – wie wir hinters Licht geführt wurden
Hintergrund

Fake-Bewertungen und Stockfotos – wie wir hinters Licht geführt wurden

Livia Gamper
27.10.2022

Das Leben schreibt die besten Krimis. Dies zeigt der Fall des Beautyprodukte-Vertriebs mit dem Namen Serinita. Mit Hilfe der Galaxus-Community werden ominöse Firmenverbindungen, Fake-Bewertungen und unsere eigenen Fehler aufgedeckt.

Das Category Management von Galaxus akquiriert jedes Jahr Hunderte von neuen Lieferanten, um den Kundinnen und Kunden ein möglichst grosses Sortiment anbieten zu können. In einem Fall sind jetzt ein paar Dinge schiefgelaufen. Es ist der «Fall Serinita».

Beginnen wir von vorne: Serinita bietet Produkte im Beauty-Bereich an. Ich darf den sogenannten Exfora testen – eine Alternative zu herkömmlichen Rasierern, die besser, hautschonender und umweltfreundlicher sein soll als Rasierklingen oder Epiliergeräte.

  • Produkttest

    Serinitas Rasier-Revolution: Funktioniert, es gibt aber ein paar Probleme

    von Livia Gamper

Schon im Produkt-Vorstellungsbeitrag unserer Verkaufsabteilung hatte die Galaxus-Community erste Zweifel an der Seriosität der Firma angemeldet. Gleichzeitig wird der Exfora jedoch auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und TikTok in den Himmel gelobt – obwohl das Konzept eigentlich nicht neu ist. Schon als der Teleshop noch Kundschaft hatte, gab es ähnliche solche Kristall-Rasiergeräte, wie der Exfora einer ist.

Ich testete das Produkt dennoch. Ich arbeite bei Galaxus als Redaktorin und nicht als Wirtschaftsprüferin. Doch nach meinem Review hagelte es Kritik. Die Chronologie der Geschehnisse.

Freitagnachmittag, 14. Oktober: erster Kommentar aus der Community

User ThiloTech hat genau hingeschaut. Er formuliert einige Vorwürfe gegen Serinita. Zusammengefasst sind es diese drei Punkte:

  1. Die Firma Serinita verstosse gegen das Gesetz, da sie als Einzelunternehmen den Namen der Mitgründerinnen tragen müsste. Und diese seien namentlich nicht auffindbar – auf der Webseite sei die Rede von zwei Gründerinnen, was bei einem Einzelunternehmen jedoch nicht möglich sei, da die Unternehmensform nur von einer Person gegründet werden könne.
  2. Die Produkte Serinitas würden von Aliexpress stammen, was sogenanntes Dropshipping darstelle.
  3. Der Account Serinita_Schweiz bei Galaxus vergebe den eigenen Produkten Fünf-Sterne-Bewertungen.

Da kommt einiges zusammen. Gemeinsam mit einem Anwalt gehe ich den Vorwürfen auf den Grund.

Der erste Punkt: das Einzelunternehmen und seine Gründerinnen

Beim Blick ins Online-Impressum von Serinita zeigt sich: Serinita ist kein Unternehmen, sondern lediglich eine Webseite. Das Unternehmen dahinter heisst Unila deCerf. Unila deCerf wiederum ist eine Einzelfirma. Und eine kurze Recherche zeigt: Im Namen Unila deCerf steckt der Nachname einer Gründerin.

Martin Steiger, Anwalt und Unternehmer für Recht im digitalen Raum, erklärt auf Anfrage zur Unternehmensform: «Eine Einzelfirma darf unter einer Marke, die nicht der Einzelfirma entspricht, auftreten.» Unila deCerf darf also als Serinita Produkte anbieten.

Jedoch ist über das Unternehmen Unila deCerf selbst nach ausgiebiger Recherche kaum etwas zu finden. Die auf der Webseite angegebene Adresse ist ein Postfach in Flamatt im Kanton Freiburg. Ein Flamatt-Poststempel ist auch auf dem Päckli mit dem Testprodukt, das ich von Serinita erhalten habe – das passt also zusammen.

Martin Steiger erklärt weiter, dass in der Schweiz eine Impressumspflicht für Onlineshops besteht. Im Impressum Serinitas aka Unila deCerf fehlt laut Anwalt aber mindestens eine Angabe: die Strasse der Adresse des Unternehmens.

Eine Webseite von Unila deCerf ist ebenso wenig vorhanden. Es gibt auch keinen Handelsregistereintrag – dieser wäre allerdings erst ab einem Umsatz von über 100 000 Franken im Jahr Pflicht. Martin Steiger fällt jedoch auf, dass die Einzelfirma nicht im UID-Register zu finden ist. Dort müsste Unila deCerf registriert sein, denn in der Schweiz erhält jedes aktive Unternehmen eine Identifikationsnummer (UID).

Ich versuche, mehr über die Gründerin herauszufinden: In der auf der Webseite zu publizierten Geschichte Serinitas ist die Rede von «zwei jungen Schweizerinnen», die die Idee für Serinita hatten. Ob diese die offiziellen Gründerinnen sind, geht daraus nicht hervor. Klar ist: Eine Einzelfirma, wie Unila deCerf es ist, darf aus juristischer Sicht nur von einer Person gegründet werden.

Martin Steiger bemerkt zudem, dass Serinita auch nach Deutschland und in andere Staaten liefert. Deshalb müsste der Onlineshop unter anderem die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und weitere internationale Rechtsnormen einhalten. «Das ist offensichtlich nicht der Fall», stellt er fest. «Bei der Datenschutzerklärung ist auf den ersten Blick klar, dass die DSGVO nicht eingehalten wird. Genauso entspricht das Impressum nicht den deutsch-europäischen Vorgaben.»

Der zweite Punkt: das angebliche Dropshipping

Ich gehe dem zweiten Vorwurf von User ThiloTech nach: dem Dropshipping-Vorwurf. Die Definition von Dropshipping, auch Streckengeschäft, lautet gemäss Wirtschaftslexikon wie folgt: «Form der Warendistribution, bei der die Ware von einem Glied der Absatzkette, zum Beispiel einem Hersteller (H), direkt, unter Umgehung des Grosshandels (GH), an den Einzelhändler (EH) geliefert wird. Der GH hat nur eine disponierende Funktion, indem Auftrags-, Rechnungs- und Zahlungsweg über ihn führen.»

Die Serinita-Produkte wurden über das Galaxus-Lager an die Kundinnen und Kunden versendet. Der Begriff «Dropshipping» trifft deshalb nicht zu und kann Serinita also nicht vorgeworfen werden. Anders wäre es, wenn zum Beispiel eine Firma ein Produkt bei einer Fabrik in China kauft und in einem eigenen Onlineshop verkaufen würde.

Der dritte Punkt: die Fake-Bewertungen

Der dritte Vorwurf von User Thilotech: Der Galaxus-Account Serinita_Schweiz würde den eigenen Produkten Fünf-Sterne-Bewertungen geben. Das ist einfach nachzuprüfen. Die Bewertungen des Accounts von Serinita sind auf Galaxus einsehbar und bestätigen die Anschuldigung:

Screenshot der eigenen Produkt-Bewertungen von Serinita auf Galaxus.
Screenshot der eigenen Produkt-Bewertungen von Serinita auf Galaxus.

Dienstagmorgen, 18. Oktober: Hinweis zu noch mehr Fake-Bewertungen

Ein anonymer User schreibt: «Jetzt wird’s aber ganz gspässig! Schaut mal die Community-Beiträge des Users an. Eigene Artikel upvoten, andere Peeling-Handschuhe mit einem Stern bewerten. Mol, das ist echt seriös!» Und dazu postet er das mittlerweile gelöschte Profil, das einer der Gründerinnen zugeordnet werden kann.

Das Community-Team von Digitec Galaxus geht den Vorwürfen nach. Sie sind berechtigt. Insgesamt werden am Dienstagnachmittag deshalb neun Kommentare zum Exfora gelöscht. Es sind: die Bewertung des Profils, das der Gründerin zugeordnet werden kann, sowie acht weitere Bewertungen, die von neu erstellten Profilen verfasst wurden, die bislang keine Bestellungen getätigt haben und auch sonst nie aktiv waren.

Das gesamte Konto, das einer der Gründerinnen zugeordnet werden konnte, wird ebenfalls gelöscht, womit die Ein-Stern-Bewertungen von anderen Peeling-Produkten eliminiert sind.

Das Problem mit Fake-Bewertungen: Sie sind unter Umständen illegal und können strafbar sein. «Fake-Bewertungen – für sich oder gegen andere – verletzen die Regeln der Bewertungsplattformen, können aber auch persönlichkeitsverletzend und unlauter sein», führt Anwalt Martin Steiger aus.

Dienstagmittag, 18. Oktober: Kontaktaufnahme mit Serinita

Ich will wissen, was eine der Gründerinnen Serinitas zu den happigen Vorwürfen sagt. Per Mail frage ich sie an, ob sie für ein Interview zur Verfügung steht. Tut sie nicht.

Jedoch schreibt sie mir, dass sie nicht verstehe, weshalb die Galaxus-Community so verbittert sei. Mit Serinita würden sie versuchen, auf die «ehrlichste Weise» zu arbeiten. Man habe sich nichts vorzuwerfen.

Ich konfrontiere sie nochmals mit den Vorwürfen. Die Antwort lässt auf sich warten.

Mittwochmorgen, 19. Oktober: die Sache mit dem Stockfoto der Gründerin

Nach einem Hinweis von Community-User Lilly_fee, die unter dem ersten Beitrag Serinitas schreibt, dass das Foto der beiden Gründerinnen ein Stockfoto sei, sehe auch ich mir die Webseite nochmals genauer an. Unter «Unsere Geschichte» ist nun kein Bild mehr zu finden.

Eine schnelle Google-Cache-Suche bringt aber die Version der Webseite vom 15. Oktober zurück. Dort ist ein Bild einer Frau zu sehen, das impliziert, die Gründerin darzustellen.

Screenshot der Webseiten-Version vom 15. Oktober 2022.
Screenshot der Webseiten-Version vom 15. Oktober 2022.

Eine kurze Reverse-Image-Suche zeigt: Ja, das Bild ist tatsächlich ein Stockfoto, das im Internet schon häufig verwendet wurde. Es handelt sich beim Bild also wohl kaum um eine der Gründerinnen Serinitas. Ausser die Frau fand ihr Bildnis so gelungen, dass sie es Fotodatenbanken zur Verfügung gestellt hat.

Screenshot der Bildsuche mit dem vermeintlichen Bild Serinitas.
Screenshot der Bildsuche mit dem vermeintlichen Bild Serinitas.

Donnerstagnachmittag, 20. Oktober: Gründerin zeigt sich reumütig

Eine der Gründerinnen antwortet mir auf meine Mail-Anfrage. Ich wollte von ihr wissen, mit wem sie die Marke Serinita denn gegründet hat – schliesslich ist von zwei Personen die Rede, auch wenn es sich um eine Einzelfirma handelt. Sie schreibt mir: «Ich habe die Marke Serinita mit einer Person gegründet, der ich nahe stehe, die aber ihren Namen nicht öffentlich bekannt geben möchte.»

Auf Fragen zum Unternehmen Unila deCerf und dessen Zweck, antwortet sie mir, dass diese Firma keine Produkte oder Dienstleistungen verkaufe, sondern nur den Serinita-Shop und deren Webseite besitze. Ziel sei, den Serinita-Shop sowie allfällige weitere Online-Shops zu entwickeln, um dann eine ordentliche GmbH mit dem Namen Unila gründen zu können.

Auf die Frage, weshalb mit den Konten von Serinita Fake-Bewertungen abgegeben wurden, stellt sie zunächst klar, dass sie nicht viel Erfahrung mit der Funktionsweise der Galaxus-Plattform und ihrer Community hatte. Weiter räumt sie ein, dass sie die Serinita-Produkte mit zwei persönlichen Profilen positiv bewertet habe. Auch hätten Personen aus ihrem Umfeld positive Bewertungen zu ihren Produkten hinterlassen – diese hätten das Produkt von der Serinita-Webseite gekauft und nicht auf Galaxus, was die Bewertungen nicht korrekt erscheinen lassen möge.

Schliesslich gibt sie zu, sich zwei weitere Galaxus-Konten mit einer privaten E-Mail-Adresse eingerichtet zu haben, um die Bewertungen ihres Produktes zu verbessern: «Auf emotionale Weise richtete ich zwei weitere Galaxus-Konten mit privaten E-Mail-Adressen ein, um die Bewertung des Exfora zu verbessern und auch einige andere ähnliche Produkte schlecht zu bewerten.» Zu meiner Frage, weshalb sie dies getan habe, erklärt sie: «Ich weiss, dass dies eine kindische und emotionale Reaktion war, die ich bereue, vor allem, wenn ich sehe, wohin sie geführt hat.»

Sie schreibt zudem: «Ich war überrascht und ehrlich gesagt enttäuscht, dass die Anzahl der schlechten Bewertungen von Exfora auf Galaxus so stark zugenommen hat.» Auch von Profilen, die das Produkt nicht gekauft hatten, seien negative Bewertungen abgegeben worden. Und weiter: «Ich bin von dem Produkt überzeugt und würde es nicht in meinem Shop verkaufen, wenn ich der Meinung wäre, dass es ein nutzloses Produkt ist.» Durch die negativen Bewertungen sowie die eingehenden Kommentare habe sie sich ungerecht behandelt gefühlt, insbesondere, da sie hart gearbeitet hätte, eine Webseite und einen Shop von Grund auf aufzubauen. Zum Schluss sagt sie, sie werde nun alle notwendigen Schritte unternehmen, um die Webseite sowie das Unternehmen Unila deCerf vollständig in Ordnung zu bringen.

Donnerstagabend, 20. Oktober: Zusammenarbeit mit Serinita beendet

Für die Galaxus-Einkäuferinnen und -Einkäufer sind es am Ende zu viele Ungereimtheiten. Am Donnerstagnachmittag entscheiden sie sich deshalb, die Zusammenarbeit mit Serinita zu beenden. Die Fragezeichen hinter Serinita und zu deren Geschäftspraxis sind zu gross.

Die Restposten, die bei uns noch an Lager sind, sind noch erhältlich. Es finden jedoch keine neuen Serinita-Produkte mehr den Weg ins Galaxus-Sortiment.

Freitagmorgen, 21. Oktober: Augen auf bei der Materialwahl

Weil ich für die Recherche dieses Artikels viel über Serinita und deren Produkte recherchiert habe, bin ich jetzt in der Zielgruppe für Rasier gelandet und sehe überall im Netz entsprechende Werbung. Dabei wird mir ein Rasierer präsentiert, der genau gleich aussieht, wie der Exfora von Serinita. Das macht mich stutzig.

Nach kurzer Recherche finde ich drei weitere Nanokristall-Rasierer mit exakt demselben Design wie der Exfora:

Genau dasselbe Produkt wird in vielen anderen Online-Shops angeboten.
Genau dasselbe Produkt wird in vielen anderen Online-Shops angeboten.

Interessant ist, zu welchen unterschiedlichen Preisen die identischen Rasier angeboten werden. Von 19.90 bis 39.90 Franken ist alles dabei. Zudem stolpere ich über Serinitas’ Partnerprogramm: Wer die Produkte verkauft, erhält bis zu zehn Prozent Provision. Ein ganzes Vertriebsprogramm steckt also auch noch hinter Serinita. Ich glaube, wir haben genug gesehen. Besser wird’s nicht mehr.

Fazit: Danke an die Community!

Dank der aufmerksamen Galaxus-Community konnten Fake-Bewertungen entfernt, die Konten gelöscht und die Zusammenarbeit mit einer nicht vertrauenswürdigen Firma beendet werden. Danke, dass ihr so genau hinschaut.

Kann so etwas wieder passieren? Ganz ehrlich: ja. Hundert Prozent Sicherheit gibt es leider nicht. Aber wir arbeiten hart daran, dass wir Fake-Bewertungen noch schneller entdecken und diese schnell gelöscht werden. Bisher sind wir vor solchen betrügerischen Machenschaften weitgehend verschont geblieben, trotzdem haben wir das Thema auf dem Schirm. Und wir werden überprüfen, wie wir fragwürdige Lieferanten frühzeitiger aussortieren können, damit deren Produkte gar nicht erst im Shop landen.

Bleibt gerne auch alle zusammen aufmerksam und meldet es, wenn euch etwas seltsam vorkommt. Danke dafür!

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Experimentieren und Neues entdecken gehört zu meinen Leidenschaften. Manchmal läuft dabei etwas nicht wie es soll und im schlimmsten Fall geht etwas kaputt. Ansonsten bin ich seriensüchtig und kann deshalb nicht mehr auf Netflix verzichten. Im Sommer findet man mich aber draussen an der Sonne – am See oder an einem Musikfestival. 


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