Handyfänger, Bettbox und Care Cup – 7 Wohnaccessoires für den letzten Lebensabschnitt
Hintergrund

Handyfänger, Bettbox und Care Cup – 7 Wohnaccessoires für den letzten Lebensabschnitt

Pia Seidel
16.3.2023
Bilder: Pia Seidel

Die Designerin und Trendforscherin Bitten Stetter entwirft Produkte für kranke und sterbende Menschen, die ansprechender und funktionaler sind als die weitverbreiteten, aber wenig durchdachten Pflegeutensilien und -möbel. Einen Einblick in ihr Schaffen und Projekt «Finally» gibt derzeit eine Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur.

Als Bitten Stetter ihre Mutter auf der letzten Reise begleitet hat, sind ihr zahlreiche Lücken in der Gestaltung von Verbrauchsmaterial und Möbeln in Pflegeeinrichtungen aufgefallen. Seither setzt sich die Trendforscherin und Designerin für ein menschenzentriertes Produktdesign in der Pflege und für eine neue Sterbekultur ein. Unter anderem, indem sie mit Expertinnen und Experten im Palliativbereich zusammenarbeitet, um neue Objekte für alle Höhen und Tiefen der Lebensreise zu entwerfen. Ein Teil ihrer fair und klimabewusst produzierten Prototypen wird bereits in der Praxis getestet und ist aktuell im Gewerbemuseum Winterthur ausgestellt. Diese sieben Objekte veranschaulichen besonders gut, wie der letzte Lebensabschnitt würdevoller gestaltet werden könnte.

1. Aufbewahrungsbox

«Bettbox» ist ein flexibles Faltobjekt und ein Wohnaccessoire, das seitlich am Bett befestigt wird und den Nachttisch ersetzt. Auf diesem Wege können schwerkranke Menschen, aber auch Menschen mit kurzem Aufenthalt im Krankenhaus, ohne fremde Hilfe an ihre persönlichen Sachen kommen. In die Box passen Kleinigkeiten wie Stifte, Papier oder aber Pflege-Tools. Sie ist bei jedem Spitalaufenthalt nützlich.

Die Bettbox funktioniert auch wie ein Koffer und ist so designt, dass sie von A nach B transportiert werden kann.
Die Bettbox funktioniert auch wie ein Koffer und ist so designt, dass sie von A nach B transportiert werden kann.
Quelle: Pia Seidel

Schon vor drei Jahren hat mir die in Zürich lebende und arbeitende Designerin in einem Gespräch erklärt, warum der standardisierte Nachttisch ungenügend ist: «Wenn sich der Bewegungsradius einschränkt, hortet der Mensch seine Sachen auch im Bett. Die Pflegekräfte räumen diese jedoch für Pflegehandlungen wieder heraus. Dabei vergessen sie oft aufgrund des hohen Arbeitsvolumens, die Dinge wieder zurückzulegen.»

  • Hintergrund

    Von Mode- zu Sterbewelten

    von Pia Seidel

In solchen Situationen braucht es Lösungen, die sich am Krankenbett anbringen lassen, damit Menschen jederzeit auf ihre Habseligkeiten zugreifen können. Für ihre Mutter hat Bitten Stetter zunächst improvisiert und einen Fahrradkorb zweckentfremdet. Heute hat sie die improvisierte Lösung zu einem ausgeklügelten Designobjekt gemacht, das nicht gereinigt werden muss, vom Pflegepersonal verschoben werden kann und es nicht bei der Arbeit einschränkt.

2. Dekoration

«Mobile» ist ein dekoratives DIY-Faltobjekt für den Handgriff des Krankenbetts. An seinen kleinen Holzklammern können Kleinigkeiten wie Fotos, Grusskarten oder Schutzengel hängen.

Auf Augenhöhe: Das Mobile lädt dazu ein, es individuell zu gestalten.
Auf Augenhöhe: Das Mobile lädt dazu ein, es individuell zu gestalten.
Quelle: Pia Seidel

Das Faltobjekt soll mehr Bewegung in den Alltag bettlägeriger Menschen bringen, die Sinne stimulieren und Gespräche über das, was daran hängt, einleiten. Es bleibt im Sichtfeld der Betroffenen – ohne dabei die Pflegenden in ihrer Arbeit zu beeinträchtigen. Je bunter es gestaltet ist, desto mehr Farbe verleiht es den eher tristen Krankenhauszimmern.

3. Smartphone Halterung

Dass sich die Designerin auch mit der Lebensreise im Zeitalter des digitalen Wandels beschäftigt, zeigt sich am «Handyfänger». Das Faltobjekt wird neben der Klingel am Handgriff des Aufrichters oder am Bettgitter angebracht. Auf der Unterseite befindet sich eine Öffnung fürs Ladekabel.

Der Handyfänger ist ein faltbarer Alltagshelfer für Bettlägerige.
Der Handyfänger ist ein faltbarer Alltagshelfer für Bettlägerige.
Quelle: Pia Seidel

Der Halter sorgt dafür, dass das Smartphone nicht im Bett verloren geht. Anders als auf einem Nachttisch ist es so einfacher zu greifen und gibt den Betroffenen ein Stück Autonomie zurück.

4. Baldachin

Das Design «Baldachin» hat Bitten Stetter zusammen mit Pflegekräften entwickelt. Es hat Taschen für Persönliches und Pflegeutensilien und besteht aus feinem, lichtdurchlässigem Baumwollstoff, der auf eine Spirale aufgezogen und mit zwei Klettstreifen über dem Bett befestigt wird.

Am Bett installiert, wird der Baldachin zu einem privaten Ruheraum.
Am Bett installiert, wird der Baldachin zu einem privaten Ruheraum.
Quelle: Pia Seidel

Wenn Menschen ans Pflege- oder Krankenbett gebunden sind, ist der Baldachin ein Weg, sich zurückzuziehen und etwas mehr Privatsphäre zu haben. Er kann ganz oder nur teilweise zugezogen werden. Diese Optionen ermöglichen, den Tag in Phasen einzuteilen und Lichtverhältnisse zu beeinflussen. Indem er grelles Neon- oder Sonnenlicht fernhält, vermittelt er ein heimeliges Gefühl und ist zum Beispiel perfekt für Ruhephasen.

5. Federn

Der «Federfühler» besteht aus Keramik und Vogelfedern. Er kann Berührungsängste überwinden, aber auch zum Gesprächsöffner werden.

Mit Federn sind feinste Berührungen möglich, die ein wohliges Gefühl erzeugen können.
Mit Federn sind feinste Berührungen möglich, die ein wohliges Gefühl erzeugen können.
Quelle: Pia Seidel

Weil Bitten Stetter beobachtet hat, dass Körperkontakt bei Krankheit häufig auf der Strecke bleibt, hat sie ein Hilfsmittel entwickelt, das sanfte Streicheleinheiten ermöglicht. Egal, wie klein sie sind – Berührungen schaffen Nähe, sind ein Kommunikationsmittel und lösen ein wohliges Gefühl aus, das Trost spenden kann.

6. Schnabeltasse

Die Zürcherin hat auch der Schnabeltasse ein Redesign verpasst. Ihr Entwurf namens «Care Cup» ist tailliert für einen guten Griff, bauchig für ein angenehmes Trinkgefühl. Er besteht aus Keramik statt aus Kunststoff und erleichtert es, in kleinen Schlucken zu trinken – im Liegen oder angelehnt.

Durch Farbe sieht die Keramik-Schnabeltasse hübscher aus.
Durch Farbe sieht die Keramik-Schnabeltasse hübscher aus.
Quelle: Pia Seidel

Schnabeltassen für Babys sind liebevoll designt, oft bunt und gemustert. Für Erwachsene sind sie jedoch meistens Weiss oder Grau. Die «Care Cup» hingegen, ist in verschiedenen Farben erhältlich. Durch das individuelle Design können Betroffene das Ambiente im sonst so sterilen Krankenhauszimmer wohnlicher machen.

7. Würfelspiel

Das Würfelset aus Holz hat Stichworte wie «Vollmacht», «Schmerz» oder «Abschied» auf seinen Seiten stehen. Es kann als Kommunikationshelfer und Gesprächsöffner dienen.

Das Würfelspiel soll dabei helfen, auch unangenehmen Themen spielerisch zu begegnen.
Das Würfelspiel soll dabei helfen, auch unangenehmen Themen spielerisch zu begegnen.
Quelle: Pia Seidel

Gerade weil es oft schwerfällt, solche Themen anzusprechen, kann das Würfelspiel im Laufe der Lebensreise das Gespräch über Krankheit, unsere Endlichkeit und andere relevante Themen anregen. So werden im besten Fall Entscheidungen gefällt, die zum Beispiel den Betroffenen eine höhere Lebensqualität gewähren oder Angehörigen den Umgang mit der Situation erleichtern.

Produkte für kurze und lange Krankenhausaufenthalte auf der Lebensreise

Das Projekt «Finally» ist noch bis zum 14. Mai 2023 Teil der Ausstellung «The Bigger Picture: Design – Frauen – Gesellschaft», in der Arbeiten von ausgewählten Schweizer Designerinnen der letzten 120 Jahre gezeigt werden. Am 30. März findet ausserdem eine Tagung zum Thema «Sterben gestalten» im Berner Generationenhaus statt, bei der Bitten Stetter mitwirkt. Anmelden kannst du dich unter der offiziellen Homepage.

Auftaktfoto: Pia Seidel

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Wie ein Cheerleader befeuere ich gutes Design und bringe dir alles näher, was mit Möbeln und Inneneinrichtung zu tun hat. Regelmässig kuratierte ich einfache und doch raffinierte Interior-Entdeckungen, berichte über Trends und interviewe kreative Köpfe zu ihrer Arbeit. 


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