Ich habe Vorurteile: Canon EOS R8 im Test
Produkttest

Ich habe Vorurteile: Canon EOS R8 im Test

Als ich Daten und Bilder von Canons neuer Budget-Vollformatkamera sehe, bin ich skeptisch. Der Praxistest entkräftet einige meiner Vorurteile, erhärtet andere dafür.

«Willst du die R8 testen?», fragt mich mein Redaktionskollege David Lee. «Was kann die?» David zeigt mir ein Bild und die Spezifikationen. Mein erster Eindruck: «Die würde ich mir nicht kaufen.» Ein Vorurteil – schliesslich habe ich die Kamera nicht mal in den Händen gehalten oder ein Bild mit ihr geschossen. Aber Produktbilder und -daten sind in der heutigen Welt von Onlineshops tatsächlich eine erste Entscheidungsgrundlage. Ist das fair? Was ist dran an meinem Vorurteil? Um es herauszufinden, lasse ich mir von Canon ein Testgerät schicken.

Canon EOS R8 (24.20 Mpx, Vollformat)

Canon EOS R8

24.20 Mpx, Vollformat

Canon EOS R8 (24.20 Mpx, Vollformat)
Kamera

Canon EOS R8

24.20 Mpx, Vollformat

Das Prinzip der Canon EOS R8 ist schnell erklärt: R6 Mark II minus 1000 Franken. Die R8 hat den gleichen Vollformat-Sensor wie die grosse Schwester, aber das leicht abgeänderte Gehäuse der Canon RP. Und genau das ist der Ursprung meiner Skepsis. Dem kleineren Body fehlen wichtige Bedienelemente wie das Daumenrad und der Joystick. Er hat auch keinen eingebauten Bildstabilisator, nur einen SD-Kartenslot und einen kleineren Akku. Ich befürchte zudem, dass ich den Body weniger ergonomisch finde. Abstriche in Sachen Bedienung, Features und Ergonomie also – drei gravierende Nachteile in meinen Augen. Hier alle weiteren Daten der R8 im Vergleich mit der R6 Mark II:

Canon R8Canon R6 MK II
Sensor24 Megapixel
Front-side illuminated
24 Megapixel
Front-side illuminated
Serienbild40 FPS (elektr.)
6 FPS (mech.)
40 FPS (elektr.)
12 FPS (mech.)
StabilisatorKeinerStabilisierter Sensor
Sucher2.36 MP
0,7x
3,68 MP
0,76x
Display1,62 MP1,62 MP
VideoBis 4K 60p
(ohne Crop)
Bis 4K 60p
(ohne Crop)
Masse133 × 86 × 70 mm
461 g
138 × 98 × 88 mm
670 g
SpeicherSingle SD (UHS-II)Dual SD (UHS-II)
AkkuLP-E17
1040 mAh
LP-E6NH
2130 mAh

Vom 24-Megapixel-Sensor mit dem Digic-X-Prozessor erwarte ich keine Überraschungen. Den habe ich bereits ausführlich in der Canon EOS R6 Mark II getestet, wo er mich überzeugt hat. Sensoren anderer Hersteller bieten zwar ein klein wenig mehr Dynamikumfang. Dafür liefert Canon eine Videoauflösung von 4K bei 60 Bildern pro Sekunde im Oversampling-Verfahren ohne Crop. Das ist super. Auch das sehr gute Autofokus-System erbt die R8 von der grossen Schwester. Auf diese Dinge gehe ich hier deshalb nicht mehr ein. Genaueres dazu kannst du in meinem Review der R6 Mark II nachlesen:

  • Produkttest

    Canon fordert den Platzhirsch heraus: EOS R6 Mark II im Test

    von Samuel Buchmann

Stattdessen prüfe ich meine drei Vorurteile und teste, wie schlimm die Abstriche der neuen Kamera in der Praxis sind.

1. Vorurteil: Schlechtere Bedienung

Ich habe in meinem Leben schon mit unzähligen Kameras von allen möglichen Herstellern fotografiert. Dabei habe ich gelernt: Art und Anordnung von Knöpfen sind zu einem grossen Teil Geschmacksache. Und man gewöhnt sich an vieles. Ich versuche deshalb zu unterscheiden zwischen Sachen, die ungewohnt sind und Sachen, die immer umständlich oder unbequem bleiben.

Auf der Oberseite ähnelt das Layout der R8 jenem der R6 Mark II.
Auf der Oberseite ähnelt das Layout der R8 jenem der R6 Mark II.
Quelle: Samuel Buchmann

Zur Kategorie «ungewohnt, aber okay» gehört das Button-Layout der R8. Der AF-ON-Knopf befindet sich zum Beispiel rechts vom Daumen statt links wie bei anderen Canon-Kameras. Auf der Oberseite übernimmt die Kamera den dedizierten Switch zwischen Foto- und Videomodus von der R6 Mark II. Auch der Off-Lock-On-Schalter ist der gleiche. Durch Menüs klicke ich mich mit dem Steuerkreuz. Das finde ich für die Navigation sogar angenehmer als Joystick oder Daumenrad.

Kein Joystick, kein Daumenrad. In den Menüs finde ich das in Ordnung, beim Fotografieren weniger.
Kein Joystick, kein Daumenrad. In den Menüs finde ich das in Ordnung, beim Fotografieren weniger.
Quelle: Samuel Buchmann

Das ändert sich schlagartig, wenn ich einen Fokuspunkt manuell verschieben muss. Auch das muss ich mit dem Steuerkreuz machen. Es hat aber nur 4 Richtungen und nicht 8 wie mein geliebter Joystick der R6 Mark II. Dieser ist zudem perfekt neben der Ruheposition meines Daumens platziert. Das Kreuz der R8 ist mit der Kamera am Auge viel schlechter erreichbar. Das nervt und landet in der Schublade «nachhaltig unpraktisch».

Beim Fotografieren fehlt mir auch das Daumenrad: Bei grösseren Kameras habe ich damit insgesamt drei Räder zur Verfügung. Diese belege ich meist mit Blende, ISO und Belichtungskompensation. Bei der R8 habe ich nur die zwei Räder auf der Oberseite. Um die ISO zu verstellen, muss ich ins Quick-Menü. RF-Objektive haben einen Steuerring, mit dem ich das fehlende Daumenrad kompensieren könnte. Damit konnte ich mich aber noch nie anfreunden, da ich zu oft versehentlich etwas verstelle. Fairerweise muss ich sagen: Auch das wäre vielleicht Gewöhnungssache.

Wie stark würden mich diese Abstriche langfristig stören? Das ist schwer zu sagen. Das mangelnde Daumenrad könnte ich wohl verschmerzen, den fehlenden Joystick weniger. Allerdings ist Canons Autofokussystem so gut, dass ich immer seltener zum Einzelpunkt wechsle. Unter dem Strich hat sich mein Vorurteil deshalb zwar bestätigt, aber die Nachteile sind kleiner als befürchtet.

2. Vorurteil: Fehlende Features

Das kann ich in der nächsten Kategorie nicht behaupten. Bei den Features wird klar, warum die R8 so viel günstiger ist als die R6 Mark II. Da wären zunächst die kleineren Dinge: nur ein Kartenslot statt zwei. Alleine damit disqualifiziert sich die kleine Vollformat-Kamera für professionelle Fotografinnen und Fotografen komplett – Bilder können so nicht redundant gespeichert werden. Und niemand will der Braut erklären, dass ihre Hochzeitsfotos futsch sind, weil eine SD-Karte im falschen Moment den Geist aufgegeben hat.

Die R8 nutzt zudem den sehr kleinen LP-E17-Akku. Er hat nur knapp halb soviel Kapazität wie der Akku der R6 Mark II. Dementsprechend schlechter ist die Laufzeit. Die offizielle Angabe beträgt 150 Bilder mit dem elektronischen Sucher. Bei der grossen Schwester sind es 320.

Die Anschlüsse der R8 sind in Ordnung, die Akkulaufzeit ist hingegen eher dürftig.
Die Anschlüsse der R8 sind in Ordnung, die Akkulaufzeit ist hingegen eher dürftig.
Quelle: Samuel Buchmann

Apropos Sucher: Auch der ist merklich schlechter als bei der R6 Mark II. Mit 2,36 Millionen Bildpunkten hat er über eine Million weniger. Und die Vergrösserung ist mit einem Faktor von 0,7 auch nicht das Gelbe vom Ei. So finde ich es schwieriger, die Schärfe richtig zu beurteilen. Viewfinder dieser Art erinnern mich an die frühen Zeiten spiegelloser Kameras und lassen mich die guten alten optischen Sucher vermissen.

Der grösste Elefant im Raum ist aber der fehlende Bildstabilisator. Andere günstige Vollformat-Modelle wie die Nikon Z5 oder die Sony A7C halten ihre Sensoren mit In-Body-Bildstabilisator (IBIS) ruhig. Auch Canons grössere Modelle wie die R6 Mark II können das. Bei der R8 musst du entweder darauf verzichten, oder dir Objektive mit eingebautem Stabilisator kaufen. Doch Festbrennweiten gibt es oft nur unstabilisiert.

Mit stabilisiertem Objektiv wird auch eine halbe Sekunde aus der Hand mit einem 50 Millimeter noch scharf.
Mit stabilisiertem Objektiv wird auch eine halbe Sekunde aus der Hand mit einem 50 Millimeter noch scharf.
Quelle: Samuel Buchmann
Ohne Stabilisator habe ich bei den gleichen Einstellungen keine Chance mehr.
Ohne Stabilisator habe ich bei den gleichen Einstellungen keine Chance mehr.
Quelle: Samuel Buchmann

Ich habe mich in den letzten Jahren so sehr an die omnipräsente Stabilisierung gewöhnt, dass die R8 in dieser Hinsicht altertümlich wirkt. Plötzlich kann ich mit einer Festbrennweite nicht mehr mit 1/10 Sekunde aus der Hand fotografieren. Ich muss an einem trüben Tag im Wald die ISO hochschrauben. Das geht mir total gegen den Strich und bestätigt deshalb zusammen mit den anderen Abstrichen mein Vorurteil der mangelnden Features.

3. Vorurteil: Unergonomisch

Unberechtigt war mein drittes Vorurteil. Die R8 liegt überraschend gut in der Hand. Ja, der Griff ist kleiner als derjenige der grossen Schwester. So klein, dass mein kleiner Finger regelmässig wegrutscht. An die hervorragende Ergonomie der R6 Mark II kommt die R8 deshalb nicht heran. Doch die Vertiefungen und Rundungen sind einmal mehr genau an den richtigen Stellen. Im Gegensatz zu anderen Herstellern (ich schaue in eure Richtung, Sony und Panasonic) weiss Canon einfach, wie man Kamerabodys richtig formt.

Für mich ist das Gehäuse der R8 etwas zu klein. Mein kleiner Finger findet nicht so richtig Platz am Griff. Hast du kleinere Hände, dürfte dir der gut geformte Body aber zusagen.
Für mich ist das Gehäuse der R8 etwas zu klein. Mein kleiner Finger findet nicht so richtig Platz am Griff. Hast du kleinere Hände, dürfte dir der gut geformte Body aber zusagen.
Quelle: Samuel Buchmann

Das Material fühlt sich gewohnt hochwertig an. Für die Gummierung der Griffe muss ich Canon ein weiteres Kränzchen winden. Sie sind rutschfester als bei anderen Kameras. Insgesamt halte ich die R8 deshalb lieber in der Hand, als ich gedacht hätte. Erst mit grossen Objektiven würde sich das ziemlich sicher ändern.

Fazit: Schlechter, aber nicht schlecht

Waren meine Vorurteile gerechtfertigt? Nur zum Teil. Die Canon EOS R8 ist schlechter als ihre grosse Schwester, die R6 Mark II. Logisch, sie kostet schliesslich 1000 Franken weniger. Sie ist aber besser, als ich es erwartet hätte. Besonders in Sachen Ergonomie hat mich die R8 positiv überrascht und auch mit der Bedienung komme ich klar. Bloss der nicht so hochaufgelöste Sucher und der fehlende Bildstabilisator verderben mir in vielen Situationen den Spass – beides Dinge, die für mich selbstverständlich geworden sind.

Dem gegenüber steht eine sehr gute Bildqualität für diese Preisklasse. Sowohl Fotos als auch Videos sehen genau gleich gut aus wie die der R6 Mark II. Vollformat-Qualität im Oversampling-Verfahren ohne Crop in 4K mit 60 FPS bekommst du nirgends sonst so günstig. Auch der Autofokus ist auf dem neuesten Stand der Technik.

Solltest du dir die 1000 Franken mehr für die R6 Mark II also sparen oder nicht, wenn du heute eine neue Canon kaufen willst? Das kann ich pauschal nicht beantworten. Brauchst du keinen stabilisierten Sensor und nutzt eher kleine Objektive, ist die R8 ein guter Deal. Ich als Kamera-Snob finde hingegen: Wenn ich schon etwas kaufe, dann lieber gleich das komplette Paket in Form der R6 Mark II – mit Bildstabilisator sowie noch besserer Ergonomie und Bedienung. Mein persönliches Urteil zur Canon EOS R8 lautet deshalb gleich wie mein Vorurteil: «Die würde ich mir nicht kaufen.»

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Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann wahrscheinlich an meinen Fingerspitzen mitten in einer Felswand.


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