Krafttraining: Wie viele Sätze braucht’s?
Hintergrund

Krafttraining: Wie viele Sätze braucht’s?

Muskeln zählen nicht. Das gilt für die Anzahl der Wiederholungen ebenso wie für die Anzahl der Sätze. Deine Muskulatur reagiert auf den ihr auferlegten mechanischen und metabolischen Stress. Nicht mehr und nicht weniger.

Muskeln wurden evolutionär entwickelt, um uns mit unserer Umwelt interagieren zu
lassen. Sie speichern Energie und können Kraft erzeugen. Alles, was sie tun
möchten, ist Lasten um Gelenke zu drehen. Sie zählen weder die Anzahl
Wiederholungen noch die Anzahl Sätze beim Krafttraining.

Was ist ein Satz?

Ein Satz ist die Anzahl der durchgeführten Wiederholungszyklen. Wie für die Anzahl
der Wiederholungen gibt es auch für die Anzahl der Sätze zahlreiche Trainingsempfehlungen, die von 2 bis 6 Sätzen für maximale Muskelhypertrophie und Kraft reichen [1–3].
Hypertrophie bedeutet, dass sich der Querschnitt der Muskelfasern vergrössert. Zur
Einschätzung und zum Vergleich von Krafttrainingsprotokollen wurde der Begriff der
Volumenlast (engl. volume load) eingeführt, der die Last x Anzahl der
Wiederholungen x Anzahl der Sätze widerspiegelt. Trainierst du zum Beispiel deinen
Bizeps mit einer 10-Kilo-Hantel und machst drei Sätze à 12 Wiederholungen, würde
dies einer Volumenlast von 360 Kilo entsprechen.

In der folgenden Betrachtungsweise gehe ich davon aus, dass das Trainingsziel die
Hypertrophie darstellt. Gehen wir also davon aus, du möchtest die Masse eines der
wertvollsten Gewebe des Körpers erhöhen: der Muskeln. Angenommen ich frage dich
nun, was effektiver ist für die Hypertrophie – einer oder mehrere Sätze? Wie würdest du
in einem wissenschaftlichen Experiment zeigen, was effektiver ist?

Eine kritische Auseinandersetzung

Burd und Kollegen [4] untersuchten 2010 den Zusammenhang zwischen dem
muskulären Proteinaufbau beim Krafttraining mit einem Satz und mit drei Sätzen bei
acht krafttrainingserfahrenen jungen Männern. Dabei wurden die einzelnen Beine der
Teilnehmer zufällig zwei Gruppen (1 Satz bzw. 3 Sätze) zugeteilt. Das Training
bestand aus einer Beinstreckerübung (engl. leg extension), die bei beiden
Gruppen mit 70 % 1-RM bis zur kompletten Erschöpfung ausgeführt wurde. Die Dauer
einer Wiederholung betrug 2 Sekunden (1s konzentrisch, 1s exzentrisch). Die Gruppe,
die nur mit einem Satz trainierte, absolvierte 14 ± 2 Wiederholungen, während die
andere Gruppe 14 ± 1, 11 ± 1 und 9 ± 1 Wiederholungen für die Sätze 1, 2 und 3
absolvierte. Die Volumenlast betrug 942 ± 97 kg und 2183 ± 154 kg für die beiden
Gruppen. Die Spannungsdauer war mit 34 ± 3 s und 84 ± 3 s signifikant
unterschiedlich zwischen den beiden Gruppen. 5 Stunden nach dem Krafttraining war
der Proteinaufbau in beiden Gruppen erhöht. Der Effekt war jedoch stärker in der
Gruppe mit 3 Sätzen. Nach 29 Stunden kehrte der Proteinaufbau in der Gruppe mit
einem Satz zum Ausgangswert zurück. In der anderen Gruppe war der Proteinaufbau
auch nach 29 Stunden immer noch erhöht.

Bild: Shutterstock
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Ist mit dieser Studie die Frage abschliessend geklärt? Nein, denn dieses
Studiendesign ist nicht valid, um die Fragestellung nach der Effektivität zwischen einem
und mehreren Sätzen zu klären. Worauf beruht denn nun der beobachtete Effekt der
Erhöhung des Proteinaufbaus? Beruht er auf der längeren Spannungsdauer oder der
grösseren mechanischen Arbeit? Da hier keine eindeutige Zuordnung zu einem der Faktoren gemacht
werden kann, ist ein solches Studiendesign nicht valide, um die Frage nach der geeigneten Anzahl Sätze zu beantworten.

In einer weiteren Studie unterwarfen Burd et al. [5] 15 krafttrainingserfahrenen junge
Männer einem ähnlichen Studienprotokoll. Wiederum wurden die Beine der Probanden
für die Beinstreckerübung zufällig in drei Gruppen eingeteilt:

  • 4 Sätze mit 90 % 1-RM bis zur kompletten Erschöpfung
  • 4 Sätze mit 30 % 1-RM mit derselben Volumenlast wie die vorgängig trainierende Gruppe mit 90 % 1-RM
  • 4 Sätze mit 30 % 1-RM bis zur kompletten Erschöpfung
    Die Pause zwischen den Sätzen betrug 3 Minuten und die Dauer einer Wiederholung
    2 Sekunden. Insgesamt wurden für die drei Bedingungen folgende Volumenlasten und
    Spannungsdauern pro Satz gemessen:

  • 90 % 1-RM: Volumenlast: 710 ± 30 kg, Spannungsdauer: 16.3 ± 1,1 s
  • 30 % 1-RM mit derselben Volumenlast wie 90 % 1-RM: Volumenlast: 632 ± 28,4 kg,

Spannungsdauer: 27.1 ± 1,85 s

  • 30 % 1-RM: Volumenlast: 1073 ± 69,9 kg, Spannungsdauer: 43.3 ± 1,9 s
    Betrachtet wurde der Proteinaufbau 4 und 24 Stunden nach dem Krafttraining. Bei
    allen Gruppen erhöhte das Krafttraining den Proteinaufbau stark nach 4 Stunden,
    wobei der Effekt grösser war in den beiden Gruppen, welche bis zur Erschöpfung
    trainiert hatten. 24 Stunden nach dem Krafttraining war lediglich die Gruppe mit 30 %
    1-RM, welche bis zur Erschöpfung trainierte, noch signifikant gegenüber den beiden
    anderen Gruppen erhöht.

    Das Interessante an beiden Studien ist die Betrachtung der Spannungsdauer. In
    beiden Studien war der Proteinaufbau 24 bis 29 Stunden nach dem Krafttraining
    jeweils in den Gruppen mit den längeren Spannungsdauern immer noch signifikant
    erhöht. Die Spannungsdauer scheint also offensichtlich einen wesentlichen Einfluss
    zu haben. Da aber sowohl die mechanische Arbeit als auch die summative
    Spannungsdauer signifikant unterschiedlich sind in Studien, die die Effektivität
    eines Satzes gegenüber mehreren Sätzen untersuchen, sind die Aussagen solcher
    Studien mit viel Vorsicht zu geniessen.

Bild: Shutterstock
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Einer oder mehrere Sätze? – eine sinnfreie Frage …

Wie im letzten Artikel aus Tier- [6]
und Humanmodellen [7] hergeleitet, kennen wir die Ermüdungs- und Kraftprofile
unterschiedlicher motorischer Einheiten. Im menschlichen Wadenmuskel zeigte Garnett et al. [7], dass motorische Einheiten
des Typs S nach 150 Sekunden weniger als 15 % Kraft verlieren. Bei Einheiten des
Typs FR beträgt der Kraftverlust jedoch mehr als 18 %. Den grössten Kraftverlust
verzeichnen jedoch die motorischen Einheiten des Typs FF mit einem Kraftverlust von
37 bis 100 %.

Aus obigen Studien zum Stoffwechsel und der Ermüdung in Muskeln leiten
wir die Spannungsdauer ab, die eine robuste anabole Reaktion im Muskel auslöst.
Die Rekrutierung erfolgt nach dem Grössenprinzip und somit werden zuerst
motorische Einheiten des Typs S, gefolgt von Einheiten des Typs FR und schliesslich
des Typs FF rekrutiert. Da die metabolische Ermüdung der FF-Einheiten nach rund
120 Sekunden eintritt, muss das FF-Rekrutierungs-Zeitintegral (also die effektive
Spannungsdauer) maximiert werden. Es handelt sich dabei um die Maximierung der
Zeit bei vollständiger Rekrutierung.

Wählst du eine hohe Trainingslast (> 85 % 1-RM) sind sofort alle motorischen
Einheiten rekrutiert. Beträgt nun die Spannungszeit, bei grösster
Kraftanstrengung, lediglich 20 Sekunden bis zum Absetzen des Gewichts, bedeutet
das, dass die motorischen Einheiten des FF-Typs einen metabolischen Stress von 20
Sekunden erfahren haben. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Einheiten des Typs
FF komplett metabolisch ermüdet wurden. Hierzu müsste die effektive
Spannungsdauer etwa sechsmal länger sein. Dafür müssten also
mehrere Sätze absolviert werden. Die Ineffizienz und hohe biomechanische
Gelenksbelastung ist dabei offensichtlich.

Eine komplette Rekrutierung aller motorischer Einheiten kann auch über die
Ermüdung erreicht werden. Bei einer Trainingslast von weniger als 85 % 1-RM sind
zwar anfänglich nicht alle Einheiten rekrutiert. Im Verlaufe der Übung werden Einheiten
mit einem hohen Rekrutierungsschwellenwert (Typ FR und FF) aber hinzugenommen bis
alle motorischen Einheiten rekrutiert wurden. Nun gilt es ab dem Zeitpunkt vollständiger Rekrutierung die effektive Spannungsdauer zu maximieren.

Bild: Shutterstock
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… die unbeantwortet bleibt

Bis heute gibt es kein wissenschaftlich valides Studiendesign, das die
Fragestellung abschliessend geklärt hat. Da Studien, die den Einfluss
unterschiedlicher mechanischer Arbeit (unterschiedliche Anzahl Sätze und/oder
unterschiedliche Wiederholungen) auf den Proteinaufbau untersuchen, immer
mehrere Variablen (mechanische Arbeit und Spannungsdauer) variieren, kann keine
eindeutige Zuordnung eines beobachteten Effekts getroffen werden. Weiter möchte
ich festhalten, dass es keine wissenschaftliche Evidenz gibt, die die
Schlussfolgerung zulässt, dass mehrere Sätze a priori eine stärkere anabole Reaktion
hervorrufen im Vergleich zu einem Satz. Ein Muskel besitzt weder ein internes
Zählregister, noch kümmert ihn die Anzahl Sätze. Er reagiert auf den ihm auferlegten
mechanischen und metabolischen Stress, wobei der metabolische Stress weit höher
zu gewichten ist.

Referenzen

  1. Kraemer WJ, Adams K, Cafarelli E, Dudley GA, Dooly C, Feigenbaum MS, et al. Progression models in resistance training for healthy adults. Med Sci Sports Exerc. United States; 2002;34: 364–380. doi:10.1097/00005768-200202000-00027
  2. ACSM, American College of Sports Medicine. Progression models in resistance training for healthy adults. Med Sci Sports Exerc. United States; 2009;41: 687–708. doi:10.1249/MSS.0b013e3181915670
  3. G. Gregory Haff, PhD F, N. Travis Triplett, PhD F. Essentials of Strength & Conditioning Fourth Edition. Human Kinetics. 2016.
  4. Burd NA, Holwerda AM, Selby KC, West DWD, Staples AW, Cain NE, et al. Resistance exercise volume affects myofibrillar protein synthesis and anabolic signalling molecule phosphorylation in young men. J Physiol. 2010;588: 3119–3130. doi:10.1113/jphysiol.2010.192856
  5. Burd NA, West DWD, Staples AW, Atherton PJ, Baker JM, Moore DR, et al. Low-Load High Volume Resistance Exercise Stimulates Muscle Protein Synthesis More Than High-Load Low Volume Resistance Exercise in Young Men. Lucia A, editor. PLoS One. Public Library of Science; 2010;5: e12033. doi:10.1371/journal.pone.0012033
  6. Burke RE, Levine DN, Tsairis P, Zajac FE. Physiological types and histochemical profiles in motor units of the cat gastrocnemius. J Physiol. John Wiley & Sons, Ltd; 1973;234: 723–748. doi:10.1113/jphysiol.1973.sp010369
  7. Garnett RA, O’Donovan MJ, Stephens JA, Taylor A. Motor unit organization of human medial gastrocnemius. J Physiol. John Wiley & Sons, Ltd; 1979;287: 33–43. doi:10.1113/jphysiol.1979.sp012643
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Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.


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