Go heavy or go home? Welchen Einfluss die Belastung oder Intensität auf die Muskelmasse hat
Hintergrund

Go heavy or go home? Welchen Einfluss die Belastung oder Intensität auf die Muskelmasse hat

Grosse Gewichte führen angeblich zu grossen Muskeln. Darum trainieren viele nach dem Motto «Go heavy or go home» Dabei müsste es heissen: «Go smart or go home».

Welchen Einfluss hat das gewählte Gewicht oder Intensität auf die Muskelmasse? Das ist eine der Grundfragen beim Krafttraining. Lass mich darum zuerst die beiden Begriffe definieren, um eine sprachliche Klarheit zu schaffen. Die Belastung (engl. load) beim Krafttraining bezieht sich auf die Masse respektive das Gewicht eines Objekts, wie beispielsweise einer Hantel in Kilogramm. Die Intensität wird üblicherweise als Prozentsatz der maximalen willkürlichen Kraft (% 1-Repetitionsmaximum (1-RM)) definiert. Wie der Name erahnen lässt, stellt das 1-RM die Masse dar, mit der du eine bestimmte Übung genau einmal komplett ausführen kannst, aber kein zweites Mal. Entsprechend stellt das 2-RM die Masse dar, mit der du die Übung zweimal bewältigen kannst. Das 3-RM bedeutet ein 3-maliges Ausführen und so weiter. Von der Masse, die beim 1-RM erfolgreich bewegt wurde, kann man nun die Intensität in Prozent angeben. 60 % 1-RM entspricht also 60 % der zum Zeitpunkt des 1-RM Tests erfolgreich bewegten Masse. Liegt das 1-RM bei einem Bizepscurl bei 20 kg, entsprächen 60 % 1-RM folglich 12 kg.

Welchen Einfluss hat jetzt die gewählte Belastung oder Intensität auf das Muskelwachstum oder die Kraftproduktion? Nach wie vor werden hohe Trainingsintensitäten (70 – 80 % 1-RM) empfohlen, um das Muskelwachstum anzuregen. Das kommt daher, dass mechanischer Stress auf Muskelfasern – verursacht durch die externe Belastung, zum Beispiel durch die Masse einer Hantel – einen primären Mechanismus zur Anregung des Muskelwachstums darstellt. Wie hoch muss dieser mechanische Stress effektiv sein?

Studie Kumar

Die Forschungsgruppe rund um Kumar et al. [1] untersuchte die Beziehung zwischen dem muskulären Proteinaufbau und der Trainingsintensität mit einem Studiendesign, bei dem in zwei Testgruppen die geleistete Arbeit gleich gross war. Das Krafttraining bestand aus einer Beinstreckübung (engl. leg extension) des dominanten Beins mit 20 bis 90 % des 1-RM bei je 25 jungen (24 ± 6 Jahre) und alten (70 ± 5 Jahre) Männern mit identischem Body-Mass-Index (24 ±). Damit die geleistete Arbeit vergleichbar ist, wurden die Teilnehmer in Gruppen unterteilt:

  • Gruppe 20 % 1-RM 3 x 27 Repetitionen
  • Gruppe 40 % 1-RM 3 x 14 Repetitionen
  • Gruppe 60 % 1-RM 3 x 9 Repetitionen
  • Gruppe 75 % 1-RM 3 x 8 Repetitionen
  • Gruppe 90 % 1-RM 6 x 3 Repetitionen

Trainiert wurde mit jeweils zwei Minuten Pause zwischen den einzelnen Sätzen. Der Proteinaufbau wurde 1, 2 und 4 Stunden nach der Belastung gemessen. Dabei stellten Kumar und Kollegen fest, dass die Intensität und der Proteinaufbau in einer Sigmoid- oder Schwanenhalsfunktion zueinander stehen (ein Modell zur Beschreibung von Wachstumsprozessen, welche aussieht wie ein S. Daher auch S-Funktion genannt). Intensitäten von mehr als 60 % 1-RM führten zu keiner weiteren signifikanten Erhöhung des Proteinaufbaus. Das bedeutet, dass eine Steigerung der Trainingsintensität den Proteinaufbau und somit das Muskelwachstum nicht weiter erhöht.

Studie Schönfeld

In einer Studie von Schönfeld et al. [2] wurden Männer mit Erfahrung im Krafttraining in zwei Gruppen unterteilt, wobei beide Gruppen dasselbe Trainingsvolumen absolvierten. Eine Gruppe trainierte gemäss einem Bodybuilding Protokoll (3 x ca. 10 Repetitionen) und die andere Gruppe nach einem Powerlifting Protokoll (7 x ca. 3 Repetitionen). Das Training wurde während acht Wochen und dreimal die Woche durchgeführt. Der Muskelquerschnitt des Bizeps nahm bei beiden Gruppen ähnlich zu. Die Kraftzunahme war aufgrund der Spezifität des Tests bei der Gruppe mit dem Powerlifting Protokoll höher. Interessant ist jedoch die Aussage der Autoren, dass die Teilnehmer der Powerlifting-Gruppe am Ende der Studie Anzeichen von Übertraining und Gelenkproblemen aufwiesen, während in der Bodybuilding-Gruppe keine derartigen Symptome beobachtet wurden.

Zu beachten ist, dass bei beiden Studien nicht bis zum kompletten Muskelversagen trainiert wurde. Die externe mechanische Arbeit wurde zwischen den Trainingsintensitäten konstant gehalten. Es stellt sich nun die Frage, was passiert, wenn bis zum Muskelversagen trainiert wird? Welchen Einfluss hat dort die Belastung und/oder Intensität speziell auf das Muskelwachstum?

Studie Mitchell

Mitchell et al. [3] zeigten an untrainierten Männern (21 ± 1 Jahre), dass unterschiedliche Trainingsintensitäten (d.h. 30 % versus 80 % 1-RM), zum Muskelwachstum des Quadrizeps (vorderer Oberschenkelmuskel) eingesetzt werden können, wenn bis zum Muskelversagen trainiert wird. Hierbei wiesen die Forscher die Beine der Teilnehmer zufällig zwei von drei Trainingsbedingungen zu, die sich anhand der Trainingsintensität oder des Trainingsvolumens unterschieden. Die Bedingungen setzten sich wie folgt zusammen:

  • Gruppe 30 % 1-RM 3 Sätze bis zum Muskelversagen
  • Gruppe 80 % 1-RM 3 Sätze bis zum Muskelversagen
  • Gruppe 80 % 1-RM 1 Satz bis zum Muskelversagen

Die Teilnehmer trainierten den Quadrizeps mittels Kniestreckung dreimal die Woche über zehn Wochen hinweg. Das Muskelvolumen erhöhte sich signifikant bei allen Gruppen. Die Kraftsteigerung nach der Studie war in den Gruppen mit 80 % 1-RM nicht unterschiedlich im Gegensatz zu der 30 % 1-RM Gruppe.

Studie Morton

Bei trainierten Männern zeigten Morton et al. [4], dass die Belastung keinen Einfluss auf das Muskelwachstum oder die Steigerung der Kraft hat, vorausgesetzt es wird bis zum Muskelversagen trainiert. 49 trainierte Männer (23 ± 1 Jahre) trainierten während zwölf Wochen mit einem Ganzkörpertraining. Die Teilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip in eine Gruppe mit höherer oder niedrigerer Trainingsintensität eingeteilt. Dabei trainierten sie im Schnitt zwischen 30 – 50 % oder 75 – 90 % des 1-RM und benötigten pro Satz zwischen 20 – 25 Repetitionen bzw. 8 – 12 Repetition bis zum Muskelversagen. Die Kraft und das Wachstum der Muskelfasern nahm nach den zwölf Wochen bei beiden Gruppen signifikant zu.

Fazit: Schwerere Hanteln führen nicht a priori zu mehr Muskelwachstum

Der Glaube, dass schwerere Hanteln zu grösserem Muskelwachstum führen, ist nach wie vor stark verbreitet. Das ist aber ein Trugschluss. Wird nicht bis zum kompletten Muskelversagen trainiert, stimulieren Belastungen oder Intensitäten, die grösser als 60 % des 1-RM sind, das Muskelwachstum nicht zusätzlich. Wird jedoch bis zum Muskelversagen trainiert zeigen Studien sowohl an untrainierten als auch an trainierten Männern, dass die externe Belastung oder Trainingsintensität nur eine untergeordnete Rolle spielen und Intensitäten zwischen 30 – 90 % des 1-RM zielführend sind.

Ein weiterer Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt, ist der biomechanische Gelenkstress, der bei höheren Belastungen oder Intensitäten grösser ist. Daher ist die Empfehlung, mit geringerer bis moderater Belastung beziehungsweise Intensität bis zur kompletten Erschöpfung zu trainieren.

Das neue Trainingsmotto sollte lauten: «Train smart or go home».

Referenzen

  1. Kumar V, Selby A, Rankin D, Patel R, Atherton P, Hildebrandt W, et al. Age-related differences in the dose-response relationship of muscle protein synthesis to resistance exercise in young and old men. J Physiol. 2009;587: 211–217. doi:10.1113/jphysiol.2008.164483
  2. Schoenfeld BJ, Ratamess NA, Peterson MD, Contreras B, Sonmez GT, Alvar BA. Effects of different volume-equated resistance training loading strategies on muscular adaptations in well-trained men. J Strength Cond Res. NSCA National Strength and Conditioning Association; 2014;28: 2909–2918. doi:10.1519/JSC.0000000000000480
  3. Mitchell CJ, Churchward-Venne TA, West DWDD, Burd NA, Breen L, Baker SK, et al. Resistance exercise load does not determine training-mediated hypertrophic gains in young men. J Appl Physiol. American Physiological Society Bethesda, MD; 2012;113: 71–77. doi:10.1152/japplphysiol.00307.2012
  4. Morton RW, Oikawa SY, Wavell CG, Mazara N, McGlory C, Quadrilatero J, et al. Neither load nor systemic hormones determine resistance training-mediated hypertrophy or strength gains in resistance-trained young men. J Appl Physiol. 2016;121: 129–138. doi:10.1152/japplphysiol.00154.2016

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Molekular- und Muskelbiologe. Forscher an der ETH Zürich. Kraftsportler.


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