Kreativer, gesünder, glücklicher: Ein Experiment mit Schreibtherapie
Hintergrund

Kreativer, gesünder, glücklicher: Ein Experiment mit Schreibtherapie

Gedanken handschriftlich zu Papier zu bringen, soll kreativer machen und der Psyche guttun. Was die Schreibtherapie noch kann, habe ich in einem Selbsttest erlebt.

Es gibt Hobbies, die legt man ganz schnell wieder ab und es gibt Hobbies, die macht man zum Beruf. Ersteres war für mich das Töpfern, letzteres das Schreiben. Schon als Grundschulkind habe ich siebenseitige Aufsätze in Deutsch geschrieben. Und meine allerletzte Deutschprüfung im Gymnasium kommentierte mein geschätzter Lehrer mit den Worten: «Du kannst sehr gut schwafeln – ich hoffe trotzdem, dass du irgendwann darüber hinauswächst.» Als Note gab er mir trotzdem ein «Sehr Gut».

Dennoch: Auch an Beziehungen zu guten Freunden muss man gelegentlich arbeiten. Darum wurde ich hellhörig, als ich von der Technik des Hypnowritings – einer Form der Schreibtherapie – erfahren habe. Therapeutisches Schreiben, das soll dich entspannen können, für tieferen Schlaf und mehr Kreativität sorgen und eine Exit-Strategie sein aus scheinbar endlosen Gedankenspiralen. Als eine Form dieser Kunsttherapie beruht auch Hypnowriting auf der Annahme, dass manche Gefühle und Emotionen andere Wege an die Oberfläche finden müssen, als über ein therapeutisches Gespräch möglich ist.

Texte schreiben, um mich also von meinem Alltag zu erholen, in dem ich fast ausschließlich Texte schreibe? Noch bin ich unschlüssig, ob das eine gute Idee ist. Andererseits: Was soll schon schief gehen? Einen Versuch ist es wert.

Hypnowriting: Was kann ich mit Stift und Papier erreichen?

Vor mir auf dem Schreibtisch liegen Handy und Laptop. Der erste Fehler: Denn das wahrscheinlich Wichtigste am Hypnowriting ist es, mit Stift und Papier zu schreiben. Darauf verweist Ursula Neubauer, Schreibtherapeutin und Hypnowriting-Coach in Wien. «Mit der Hand zu schreiben aktiviert mehrere Bereiche unseres Gehirns, die uns kreativer werden lassen», sagt sie. Das zeigt sich auch in einer Untersuchung der Seoul National University. Die Forschenden konnten beweisen: Kreatives Schreiben im Universitätsalltag beeinflusst den Schreibfluss der Studierenden positiv. Ausschlaggebend für diese Kreativitätsprozesse ist das Schreiben mit der Hand, wie auch Resultate eines Forschungsteams der University of California zeigen. Aktivierte Gehirnareale sind zum Beispiel der Frontalhirnlappen und das limbische System, wo unsere Persönlichkeit, unsere Kreativität und unsere Emotionen sitzen.

Besonders wirkungsvoll an der Schreibtherapie ist der Perspektivenwechsel, sagt Coach Neubauer: «Beim Schreiben kommen wir in eine Beobachterhaltung. Plötzlich kann ich von außen auf das Geschriebene blicken und dadurch Distanz zu Problemen gewinnen, in denen ich Minuten zuvor noch mittendrin steckte.» Mit Stift und Papier raus aus der Grübelfalle – das ist genau das Richtige für mich.

Schreibtherapie: Lass‘ es los, schreib‘ es auf!

Schreiben musst du für die Schreibtherapie übrigens nicht gut können. Eigentlich solltest du sogar alles vergessen, was du in der Schule gelernt hast, sagt Neubauer: Stil, Grammatik oder lyrische Qualität – braucht es alles nicht. Perfekt, denke ich, denn nach hoher Kunst fühle ich mich am heutigen Tag ohnehin nicht. Ich hole mir jetzt Stift und Papier und schiebe meinen Laptop zur Seite. Ganz zuklappen kann ich ihn nicht, da ich mich für eine Schreibmeditation mithilfe von Audiotapes entschieden habe, die mein Laptop abspielt.

Ich starte das erste Tape: die Wohlfühloase. 15 Minuten lang soll ich mir von der Seele schreiben, wie dieser Ort aussehen soll und welche Wünsche ich daran habe. Denn das Aufschreiben unserer Ziele und Wünsche soll unsere Widerstandskraft steigern und glücklich machen, zeigen Studien. Neubauers Stimme fordert mich nun sanft dazu auf, meine Augen zu schließen und mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Von Konzentration, Glück und Widerstandskraft noch keine Spur. Und auch bei den Worten: «Beim Ausatmen lass los, was du gerade nicht brauchst» denke ich an anstehende Termine und verkrampfe sofort. Der Wohlfühlort liegt hinter einer schweren Wolkendecke.

Die Kraft von Stift und Papier

Schließlich wird die Stimme in meinen Ohren still und mit ihr meine Gedanken. Ich höre jetzt ein Windspiel und soll mit dem Schreiben beginnen. Aus einem Wolkenchaos erscheint vor meinem geistigen Auge plötzlich ein durch einen Wald eingegrenztes Grundstück mit einem kleinen Haus. Ich schreibe auf: «Es riecht nach frisch geschnittenem Gras, nach Regen und feuchter Erde, nach einem Lavendelbeet, ein Vogel piept, sonst ist es ruhig. Der Wind weht, die Bäume rauschen.» Schon bald bewegt sich meine Hand wie von alleine, wie eine Marionette. Ein Exekutionsorgan längst überfälliger Gedanken, die endlich raus wollen.

Plötzlich verwandeln sich liebliche Beschreibungen meiner Umgebung in Anforderungen an meine Umgebung. In ein Regelwerk für meinen Wohlfühlort. Der rasche Tonwechsel überrascht mich selbst: Ich schreibe auf, wer Zutritt zu meinem Grundstück und wer dort überhaupt keinen Platz hat. Forderungen schießen aus meinem Stift, bis mir die Hand weh tut.

Meine Sätze werden immer kürzer: Im schnellen Staccato fülle ich den kleinen Notizblock Seite für Seite. Es fühlt sich überhaupt nicht an, wie Meditation. Ich bin auch gar nicht entspannt, sondern in Rage! Wieso das – der Ort sollte mich doch entspannen?! Stattdessen wird er zum Katalysator für die Anstrengung vergangener Wochen und sprudelt in Form einer Wunschliste an einen imaginären Wohlfühlort an die Oberfläche. Warum, verdammt, bin ich nie an diesem wundervollen Ort, wenn ich so genau weiß, wie er auszusehen hat?

Die Stimme auf dem Tape bittet mich nun sanft, den Stift zur Seite zu legen. Ich setze mein Papiervernichtungsinstrument ab und atme auf. Und plötzlich: Erleichterung. Meine Gesichtsmuskeln entspannen sich, meine Hand wird leicht wie das Stück Papier, bevor ich es mit dem Gewicht meiner Worte ganz schwer gemacht habe. Ich erkenne: Was auf diesem kleinen Stück Papier steht, entspringt einer sehr tiefen Gehirnfurche. Das Schreiben hat definitiv mehr ausgelöst als kreative Energien und Flow-Momente.

Fazit: Was expressives Schreiben in uns bewirkt

Über das Ergebnis meiner Schreibmeditation war ich verwundert. Ich hätte mir nicht gedacht, dass mein Experiment so schnell eskaliert, wo ich doch nur auf der Suche nach Abwechslung, Kreativität und einer neuen Perspektive auf das Schreiben war. Stattdessen zeigte sich das Schreiben mit Stift und Papier als Türöffner für tief gelegene und vielleicht unbewusste Bedürfnisse.

In meinem Fall war es das Bedürfnis nach Ruhe, was schon der Beschreibung meiner Oase zu entnehmen war. Was auf mein Erlebnis eher zutrifft als die Beschreibung «Meditation», ist das «expressive Schreiben»: Eine Methode nach dem Psychologen James Pennebaker, die darauf abzielt unsere Resilienz zu fördern. So angespannt ich zu Beginn war, sobald ich den Stift abgelegt habe, konnte ich meine Gedanken an das Papier abgeben und sie – wenn auch etwas erschrocken – von außen betrachten. Danach war ich weniger zornig auf mich selbst, auf meine fehlende Ruhekompetenz oder auf was auch immer mich sonst noch aufgewühlt hat. Ja, ich habe mich lockerer und entspannter gefühlt.

Und ich habe das Schreiben wieder von einer freieren Seite erlebt, so, wie ich es mir ursprünglich vorgenommen habe. Einen Text zu schreiben, der nicht korrigiert, nicht kritisiert und nicht einmal gelesen wird, hat mir sehr gutgetan. Seit meiner Erfahrung mit dem Hypnowriting habe ich mir daher folgendes Morgenprozedere beibehalten:

Jeden Tag schreibe ich gleich nach dem Aufstehen meine Gedanken auf ein Stück Papier. Eine Art «Journaling», andere würden «Morgenseiten» dazu sagen. Was dort steht, ist ziemlich willkürlich, wirr und schwer lesbar.

Ein Auszug gefällig? Bitte sehr: «Eine Motte sitzt neben mir, sie schillert grau-braun und ich glaube, sie lächelt darüber, dass heute vielleicht ihr letzter Tag zu leben ist.»

Titelbild: shutterstock.com

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Olivia Leimpeters-Leth
Autorin von customize mediahouse

Ich liebe blumige Formulierungen und sinnbildliche Sprache. Kluge Metaphern sind mein Kryptonit, auch wenn es manchmal besser ist, einfach auf den Punkt zu kommen. Alle meine Texte werden von meinen Katzen redigiert: Das ist keine Metapher, sondern ich glaube «Vermenschlichung des Haustiers». Abseits des Schreibtisches gehe ich gerne wandern, musiziere am Lagerfeuer oder schleppe meinen müden Körper zum Sport oder manchmal auch auf eine Party. 


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