«Scheiss Grafikkarten, ich kann’s nicht mehr sehen»
Hintergrund

«Scheiss Grafikkarten, ich kann’s nicht mehr sehen»

Kevin Hofer
31.5.2021
Bilder: Thomas Kunz

Grafikkarten sind ein rares Gut. Die Misere begann letzten September mit dem Release der RTX-30-Serie von Nvidia. Mit Yannick Cejka, Junior Category Business Manager bei digitec, spreche ich über die Gründe, den Ausblick und auch seine persönliche Ansicht.

Yannick arbeitet seit rund fünf Jahren bei digitec. Erst im Retail, dann als Assistent bei den PC-Komponenten. Mittlerweile macht er alles, vom Einkauf bis zum Verkauf der Komponenten. So eben auch bei den raren Grafikkarten.

Hallo Yannick, besten Dank, dass du dir Zeit fürs Interview nimmst. Die letzten Monate ging es drunter und drüber bei den Grafikkarten. Wie fühlst du dich?
Yannick Cejka: In Bezug auf die Grafikkarten ein bisschen ausgelaugt und angespannt. Ansonsten fühle ich mich sehr gut. Es war und ist eine intensive und stressige Zeit. Hinzu kommt, dass ich selbst Grafikkarten-Fan bin und die Situation derzeit alles andere als befriedigend empfinde. Ich warte auch immer noch auf meine AMD Radeon RX 6800 XT.

Was war für dich professionell am schwierigsten?
Grafikkarten zu vernünftigen Preisen zu kriegen, und überhaupt welche zugeteilt zu bekommen. Die beliebten Grafikkarten bei uns sind meist auch die beliebten in der ganzen EU. Die Zuteilung erfolgt nach Marktgrösse und weil die Schweiz klein ist, sind die Zuteilungen lächerlich. Ich kann digitec noch so gut positionieren, es ist und bleibt ein Business, das sich nach Marktgrösse richtet. Ich kann also keinen grossen Einfluss auf bessere Zuteilungen nehmen.

Unsere Community kann sehr hart sein und spart nicht mit Kritik. Wie gehst du damit um?
Mit persönlichen, angriffigen Kommentaren habe ich Mühe. Aber ich sehe das so: Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Ich kann mittlerweile besser damit umgehen als auch schon. Ich bin aber auch froh, dass es manchmal erfreuliche, unterstützende Kommentare gibt. Es ist nicht nur alles schlecht. Wir können aber auch einiges durch die Community lernen und sogar Fehler an Prozessen und am System aufdecken. Ich gebe mein Bestes in der aktuellen Situation. Mir ist bewusst, dass ich es nicht allen recht machen kann.

Positive Kommentare erleichtern Yannick das Leben.
Positive Kommentare erleichtern Yannick das Leben.

Auf Basis von Community-Feedback habt ihr einiges ausprobiert – auch die Zuteilung mittels Los. Mittlerweile machst du Verkaufsfenster, in denen du ankündigst, wann die lagernden Karten in den Verkauf gehen. Wie fühlst du dich jeweils vor einem solchen Fenster?
Fünf Minuten vor dem Verkauf schnellt mein Puls in die Höhe. Den Verkauf mache ich immer mit den Kollegen. Wir müssen sehr viel händisch eingreifen. Es ist meist frustrierend. Auch auf unserer Seite ist alles verzögert und schon oft zusammengebrochen.

Macht dir die Arbeit so noch Freude?
Durch die Situation bei den Grafikkarten habe ich sehr viele manuelle Aufgaben zu erledigen. Die machen mir nur bedingt Spass. Ich würde mit dieser Zeit lieber an der Qualität der Produktebeschreibungen und -spezifikationen feilen.

Hattest du schon mal das Gefühl: Ich kann nicht mehr?
Ja, nach dem letzten Verkaufsfenster definitiv. Ich sass vor meinem Bildschirm, habe F5 gedrückt, wie alle Kunden auch, und nichts ist mehr gegangen. Da habe ich mir gedacht: «Das kann’s nicht sein. Scheiss Grafikkarten, ich kann’s nicht mehr sehen. Ich nehme heute Nachmittag frei und komme erst in zwei Wochen wieder.»

F5 drücken gehört auch für Yannick mittlerweile zum Tagesgeschäft.
F5 drücken gehört auch für Yannick mittlerweile zum Tagesgeschäft.

Das war am 12. Mai. Was ist dort genau schief gelaufen?
Das war ein Fehler unsererseits. Wir haben uns auf Basis falscher Daten auf den Ansturm vorbereitet. Und bei diesen Daten hatten wir nicht im Geringsten den tatsächlich zu erwartenden Traffic auf dem Schirm.

Hast du mit so einer Situation im August 2020 – einen Monat vor dem Launch der RTX-30-Serie – gerechnet?
Nein, niemals. Ich bin bereits seit einiger Zeit im Komponenten-Business tätig, aber sowas ist auch für mich neu. Wir hatten noch nie eine solche Verknappung im GPU-Bereich. Das ganze Ausmass hat wohl niemand kommen sehen.

Wann hast du realisiert, dass hier etwas Spezielles ansteht?
Eine erste Vorahnung hatte ich fünf Minuten vor dem Launch. Ich habe bemerkt, dass gewisse Seiten länger laden. Als dann fünf Minuten nach dem Launch gewisse Verkäufe noch nicht registriert wurden und die Homepage faktisch unbrauchbar war, wusste ich: Da kommt noch einiges auf mich zu.

Also war bereits der Launch ein Reinfall?
Der Launch an sich verlief trotz des sehr grossen Ansturms noch einigermassen. Einige Kunden hatten zwar Probleme beim Checkout, das ist aber bei hoher Last nichts Aussergewöhnliches. Der grosse Reinfall war, dass wir Grafikkarten in grossen Mengen bei den Herstellern bestellt haben, die sie bis heute nicht ausliefern konnten.

Aber die weiteren Verkäufe…
… liefen dann ganz anders ab. Da war bereits klar: Es gibt nur sehr wenige Karten, für sehr viele Kunden. Der Ansturm wurde von Mal zu Mal grösser. Mittlerweile haben wir bei den Verkaufsfenstern etwa doppelt so viel Traffic auf der Seite als beim Launch. Die Kunden haben bemerkt: Verdammt, die Situation hat sich auch über ein halbes Jahr nach dem Launch nicht entspannt. Ich will und brauche jetzt aber eine neue Grafikkarte. Der Ansturm ist ungebrochen und sogar noch grösser.

Mittlerweile sind einige Monate ins Lande gezogen und sicherlich mehrere 1000 Grafikkarten über die digitale Ladentheke gegangen. Gibt es in der Schweiz tatsächlich so viele Gamer?
Ich staune auch. Aber ich vermute, dass es sehr viele Leute gibt, die aus den Karten Profit schlagen wollen. Miner von Kryptowährungen oder Wiederverkäufer. Das sind beides Riesenprobleme.

Gibt es denn Möglichkeiten, gegen die Wiederverkäufer, die sogenannten Scalper, vorzugehen?
Grundsätzlich wollen wir so fair wie möglich sein und die Grafikkarten an die verkaufen, die sie tatsächlich brauchen – also Gamer. Das ist aber schwierig. In der Schweiz darf jede*r seine erworbene Ware wieder verkaufen. Rechtlich können wir da nichts machen. Wir können einzig in den AGB festlegen, dass wir nicht an Scalper verkaufen. Wir kennen mittlerweile sogar die meisten Namen der Wiederverkäufer. Aber die finden immer wieder neue Möglichkeiten, unter anderem Namen zu bestellen. Da können wir unmöglich gewinnen.

Scalper und Miner bereiten Yannick Kopfzerbrechen.
Scalper und Miner bereiten Yannick Kopfzerbrechen.

Der Kundendienst und du gehen nach den Verkaufsfenstern manuell die Bestellungen durch, um Mehrfachbestellungen oder sonstige Auffälligkeiten zu stornieren. Das ist ein riesen Aufwand.
Ja, und ich frage mich langsam aber sicher, ob sich der ganze Aufwand lohnt. Aus Kundenperspektive verstehe ich den Frust: Da nimmst du an drei Verkaufsfenstern teil und gehst jeweils leer aus. Währenddessen ergattern irgendwelche Scalper mit ihren Tricks mehrere Karten. Der Aufwand dieses Robin-Hood-Spiels ist enorm. Umso grösser ist die Freude, wenn wir mal einen erwischen. Im Kundendienst haben wir einige regelrechte Sherlock Holmes, die da ganz viel Talent an den Tag legen. Das hilft mir enorm und ich bin um ihre Mithilfe sehr dankbar.

Welche Faktoren haben zur Grafikkarten-Knappheit geführt?
Einerseits sind die Ressourcen knapp. Es gibt zurzeit schlichtweg nicht genug Halbleiter, um die hohe Nachfrage zu stillen. Die Nachfrage ist so gross, weil die Leistungssteigerung der Grafikkarten gegenüber der Vorgängergeneration enorm ist. Aber auch die Covid-Pandemie mit der hohen Nachfrage nach IT-Geräten fürs Homeoffice hat dazu beigetragen. Zurzeit grösster Treiber dürfte aber der Mining Boom sein. Speziell das Minen von Ethereum.

Grafikkarten sind Nischenprodukte im Vergleich zu Smartphones. Dort liest man bis jetzt noch nicht viel von einer Knappheit. Wieso?
Es ist sicherlich auch eine Machtfrage. Der Markt für Smartphones ist viel grösser und hat daher auch mehr Kontrolle über die Produktion. Ich erachte die Grafikkarten als Indikator für andere Tech-Bereiche. Da kommt wohl noch einiges auf uns zu.

Wie beurteilst du die aktuelle Situation aus marktwirtschaftlicher Perspektive?
Der unverbindliche Verkaufspreis der Grafikkarten ist utopisch. Sogar der Einkaufspreis liegt mittlerweile deutlich darüber. Die Situation ist schwierig und ich erachte sie noch pessimistischer als vor einem halben Jahr. Bei den Top-Modellen kriegen wir nicht etwa mehr Karten, sondern weniger. Generell habe ich das Gefühl, dass wir noch weniger Karten zugeteilt bekommen als letztes Jahr.

Du rechnest also nicht so schnell mit Entspannung?
Wenn das so weitergeht, wird sich das Ganze wohl erst Mitte 2022 erholen. Aber vielleicht irre ich mich auch und Ende Jahr ist alles wieder lieferbar. Da würde ich mich freuen – und könnte endlich mit meiner neuen Karte zocken.

262 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar