Mythos oder Medizin
Deutsch, 2014
Es schnieft und tropft wieder aus allen Ecken. Und überall wird kräftig in die Taschentücher geschnäuzt. Warum es eigentlich okay wäre, seinen Schnodder hochzuziehen.
Es gibt Geräusche, die mich wahnsinnig machen. Wenn jemand in meiner Gegenwart seinen Schnodder hochzieht, zum Beispiel. Igitt! Allein der Gedanke daran lässt mich erschaudern. Nun ist es leider so, dass meine Töchter in den Wintermonaten oft verschnupft sind – und entsprechend häufig ihre Rotznase geräuschvoll hochziehen. Entweder, weil sie zu bequem sind, um sich ein Taschentuch zu holen. Oder, zumindest bei der Vierjährigen, weil das mit dem Naseputzen noch nicht richtig klappt.
Von «Das gibt Kopfschmerzen!» über «Du wirst nur gesund, wenn du es rauslässt!» bis zu «Dir wächst bald ein Gummibaum aus den Ohren!» habe ich wohl schon jeden erdenklichen Spruch von mir gegeben, in der Hoffnung, dem ekligen Schnoddern ein Ende zu setzen. Wohlwissend, dass es sich dabei wohl bloss um verzweifelte Erziehungslügen handelt. Oder doch nicht? Höchste Zeit für eine Mythen-Recherche.
Tatsächlich gibt es sogar triftige Gründe gegen das Schnäuzen: Wer mit einem Taschentuch seine Nase putzt, überträgt die Krankheitserreger schnell auf seine Hände – und damit bald an Türklinken und Gegenstände, wo sie auf andere Menschen übertragen werden. Ganz schlecht ist, wenn ein Taschentuch mehrmals benutzt wird, weil damit gleich mehrfach in Schnodder gefasst wird. Stofftaschentücher sind darum klar die schlechtere Wahl als Papiertaschentücher.
Ein weiterer Pluspunkt fürs Schnoddern: Beim Hochziehen wird der Schleim über den Rachen in Richtung Magen transportiert – und dort wird er durch die Magensäure eliminiert. Eine Art Selbstentsorgung des Körpers.
Das Problem ist laut Irene Berres, Kolumnistin der Spiegel-Kolumne «Mythos oder Medizin» sowie Autorin des gleichnamigen Buches, ein anderes – und zwar sowohl beim Hochziehen als auch beim Schnäuzen: Du solltest es damit nicht übertreiben.
Bei kräftigem Druck kann sich nämlich Schleim aus dem Nasenrachenraum in die angrenzenden Nebenhöhlen schieben und einen harmlosen Schnupfen in eine schmerzhafte Nasennebenhöhlenentzündung verwandeln. Oder die Krankheitserreger gelangen ins Mittelohr und können dort eine Mittelohrentzündung auslösen.
Wissenschaftsjournalistin und Autorin Berres verweist in diesem Zusammenhang auf eine US-Studie: Vier gesunden und schnupffreien Menschen wurde zu Testzwecken Kontrastmittel in den Nasenrachenraum gebracht, danach mussten sie kräftig ihre Nasen schnäuzen. Resultat: Bei allen landete Kontrastmittel in den Nebenhöhlen.
Das Hochziehen schadet also eigentlich nicht. Solange es nicht zu übereifrig gemacht wird. Das Schnäuzen in ein Taschentuch aber wiederum auch nicht. Solange nicht zu heftig hinein trompetet wird und das Taschentuch jedes Mal entsorgt wird.
Das ist gut zu wissen – heisst für meine Kinder nun aber nicht, dass sie künftig einen Freipass fürs Schnoddern bekommen. Nicht zuletzt, weil es auch wahnsinnig unanständig ist. Und mich erschaudern lässt.
Richtiges Schnäuzen ist für Kinder aber gar nicht so einfach. Sie können es in der Regel erst im Alter von drei oder vier Jahren selbstständig. Mit welchen Tricks sie es spielerisch lernen, erfährst du in folgendem Beitrag:
Anna- und Elsa-Mami, Apéro-Expertin, Gruppenfitness-Enthusiastin, Möchtegern-Ballerina und Gossip-Liebhaberin. Oft Hochleistungs-Multitaskerin und Alleshaben-Wollerin, manchmal Schoggi-Chefin und Sofa-Heldin.