Warum ich jetzt doch mit der Apple Watch joggen gehe
Produkttest

Warum ich jetzt doch mit der Apple Watch joggen gehe

Obwohl ich sonst fest in den Fängen von Apple bin, war mein Handgelenk lange Apple-freie Zone. Auch, weil ich beim Joggen bisher eine Garmin hatte. Doch jetzt ändert sich das.

Lange habe ich Vorurteile mit mir herumgetragen: Die Apple Watch sei zwar eine gute Smartwatch, aber für Sport tauge sie nicht richtig. Bei meinen Laufeinheiten hatte ich deshalb immer eine Garmin am Handgelenk. Die behielt ich dann auch gleich den Rest des Tages an. Die Venu 2 plus schickt mir schliesslich auch Benachrichtigungen und zur Not
könnte ich mit ihr telefonieren. Ich war damit deshalb recht zufrieden.

  • Produkttest

    Garmin Venu 2 Plus: gute Allrounderin für den Alltag

    von Martin Jungfer

Bei entsprechendem Anlass bin ich ab und zu auf eine klassische mechanische Uhr gewechselt. Besonders stilvoll sind die meisten Sportuhren schliesslich nicht.

Seit ein paar Wochen habe ich eine Apple Watch 8. Anfangs war ich skeptisch, ob sie die Garmin verdrängen könnte. Inzwischen aber hat sie es getan. Für mich ist der Abstand zwischen den Sport-Experten von Garmin und Co. und der Apple Watch mit dem aktuellen WatchOS inzwischen so gering, dass ich die Garmin abgelegt und durch die Apple Watch ersetzt habe – und zwar für Sport und Alltag.

Ich nehme bewusst ein paar Schwächen in Kauf, die sie gegenüber der Garmin hat. Zum Beispiel habe ich mich von meinem Garmin-Laufcoach verabschiedet und mir eine morgendliche Laderoutine verordnet, damit die deutlich kürzere Akkulaufzeit nicht die neue Freude trübt. Dafür bringt die Apple Watch viel zusätzlichen Komfort in meinen Apple-dominierten Alltag, der die Kompromisse locker wieder wettmacht.

Natürlich könnte ich fürs Joggen weiterhin die Garmin-Uhr nehmen. Habe ich ein paar Tage sogar getan. Aber ich habe schnell gemerkt, dass mir der Mehrwert des Uhr-Wechsel-Dich-Spiels zu gering ist und das Synchronisieren von Daten zu meinen Aktivitäten einfach zu mühsam.

Hier teile ich meine Erfahrungen beim Umstieg mit dir.

1. Der Akku der Apple Watch hält länger als gedacht

Meine Garmin habe ich ein- oder zweimal in der Woche aufgeladen. Um den Akku musste ich mir wenig Gedanken machen, gefühlt war er immer genug geladen für eine spontane Joggingrunde nach dem Büro am Abend. Die Akkulaufzeit der Apple Watch 8 gibt Apple mit 18 Stunden an. Bedeutet, dass ich jeden Tag etwa eine Stunde einplanen muss, in der sie auf dem Ladedock liegt.

Ich lade die Apple Watch während ich am Morgen dusche und frühstücke. Zum Start in den Arbeitstag ist sie dann in der Regel zu 100 Prozent geladen. Und solange ich mit ihr nicht telefoniere – was ich ohnehin selten mache – oder die GPS-Funktion beanspruche, ist der Ladestand am Abend noch bei über 60 Prozent. Das reicht locker, um noch mal in die Laufschuhe zu steigen.

Während des Laufens ist die Apple Watch überraschend genügsam. Bei einer einstündigen Laufeinheit verbrauche ich etwa 15 Prozent Akku, wenn GPS aktiviert ist und die Aktivität mit der Health-App aufgezeichnet wird. Ich kann den Verbrauch durch verschiedene Massnahmen weiter drosseln. Zum Beispiel mit dem Stromsparmodus, dann wird seltener ein GPS-Signal empfangen und aufgezeichnet. Alternativ kann ich mein iPhone zum Laufen mitnehmen. Dann wird das GPS-Tracking von ihm übernommen, was die Ausdauer der Apple Watch selbst deutlich verlängert. Ohne iPhone-Support gibt Apple mit aktivem GPS während einer Aktivität eine Laufzeit von sechs Stunden an. Das reicht also locker für einen Marathon.

2. Mehr Daten als ich brauche

Garmin trackt eine grosse Zahl von Daten. Wortwörtlich jeder Schritt wird vermessen. Die Laufeffizienzdaten, die Garmin ab dem Modell Forerunner 255 bietet, verraten mir zum Beispiel, ob ich mit beiden Beinen gleich effizient laufe. Dazu gibt es während des Laufes Informationen zum aktuellen Leistungszustand und eine Prognose für die Zielzeit. Da kann Apple nicht mithalten. Zwar steht seit dem Update zu WatchOS 9.0 das Feature «Running Power» zur Verfügung. Aber die Angabe zu meiner Laufleistung in Watt ist nur ein errechneter Wert aus den Daten anderer Sensoren – anders als wenn ich zum Beispiel auf einem Hometrainer in die Pedale trete und eine «echte» Kraftangabe in Watt bekomme. Trotzdem kann ich mit Apples Angabe etwas anfangen und beim Laufen versuchen, immer gleich viel Watt zu leisten, egal ob es bergauf oder bergab geht.

Neu seit WatchOS 9.0 sind zudem Daten zu Schrittlänge, Kadenz und Bodenkontaktzeit. Alles Dinge, welche die speziell für Sport gemachten Uhren schon lange haben und mit denen Apple reichlich spät um die Ecke kommt. Aber jetzt sind sie eben da, und deshalb ist für mich auch die Apple Watch als Laufbegleiter geeignet.

Auf dem Display meiner 45-Millimeter-Watch ist Platz für fünf Zeilen Daten. Das ist fast etwas zu viel, um bei einem flüchtigen Blick auf die Uhr alles zu erkennen. Ich könnte es aber konfigurieren und individualisieren. Wie genau, zeigt dieses Video von CNET.

Weil ich konfigurationsfaul bin, benutze ich eine Default-Einstellung, die mir die Dauer meines Trainings anzeigt, die zurückgelegte Strecke, den Kilometerschnitt und den aktuellen Herzfrequenzbereich. Die Darstellung mit den unterschiedlich gefärbten Feldern gefällt mir sehr gut.

Hier ist alles im grünen Bereich. Die Ansicht hilft für Läufe in bestimmten Zonen.
Hier ist alles im grünen Bereich. Die Ansicht hilft für Läufe in bestimmten Zonen.
Auf diesem Screen sehe ich die Zeit für meinen letzten Kilometer.
Auf diesem Screen sehe ich die Zeit für meinen letzten Kilometer.
Quelle: Martin Jungfer

3. Auf der Apple Watch gibt es auch Trainingsprogramme – aber keine Garmin-Coaches

Ich vermisse Jeff. Jeff ist einer der Coaches, den ich bei Garmin als Gratiszugabe erhalte. Drei Jahre lang habe ich immer sein Trainingsprogramm absolviert. Das hat er mir anhand meiner Wünsche erstellt. Wenn ich ihm also zum Beispiel sage, dass ich in 16 Wochen einen 10-Kilometer-Lauf in einer bestimmten Zeit beenden möchte, erstellt er mir passend dazu zwei bis drei aufeinander abgestimmte Trainingseinheiten pro Woche. Bin ich in einem besonders gut oder schwänze einmal eines, passt sich der Trainingsplan dynamisch an. Einen würdigen Ersatz dafür habe ich für die Apple Watch bisher nicht gefunden. Für Tipps in den Kommentaren bin ich dankbar.

Natürlich gibt es diverse Apps, die nach meinen Laufdaten gieren und mich mit allerlei Gamification-Gedöns locken. Ich kann Mitglied im Nike Running Club werden oder mich bei Adidas Running zu Challenges und Events einladen lassen. Und es gibt Training Peaks, eine Art Vermittlungsplattform, bei der mir Coaches ihr Programm verkaufen wollen – passend zu meinen mehr oder minder ambitionierten Zielen. 25 oder gar 40 Dollar für eine Anleitung finde ich allerdings happig. Etwas günstiger ist die App von «daslauftraining.com», bei der ein 3-Monats-Abo für knapp 20 Euro oder Franken zu haben ist.

Trotzdem, da bleibe ich vorerst bei Apple selbst. In der Training-App auf der Watch kann ich mir aussuchen, ob ich für eine bestimmte Zeit oder Strecke oder mit einem bestimmten Tempo laufen möchte. Ich könnte mir auch ein eigenes Programm zusammenstellen – mit Intervallen, Warm-up- und Cool-down-Phasen. Aber es ist mir zu mühsam, das auf dem kleinen Screen zusammenzutippen.

Ich kann die auf dem ersten Screen angezeigten Messwerte verändern, wenn ich möchte.
Ich kann die auf dem ersten Screen angezeigten Messwerte verändern, wenn ich möchte.
Ich kann das Ziel meiner Trainingseinheit editieren, hier beispielsweise die Zielzeit für einen 5k-Lauf.
Ich kann das Ziel meiner Trainingseinheit editieren, hier beispielsweise die Zielzeit für einen 5k-Lauf.
Quelle: Martin Jungfer

4. Das passende Armband für jede Gelegenheit

Zugegeben, hier bin ich in die Konsumfalle getappt. Bei meiner Garmin gab es ein Armband für alles und ich habe mir gar keine Gedanken darüber gemacht. Für meine Apple Watch kann ich dagegen für jede Gelegenheit, und eben auch für den Sport, ein passendes Armband kaufen. Jetzt besitze ich Leder oder Edelstahl fürs Büro und einen Sport Loop fürs Lauftraining. Zwischen 50 und 100 Franken kann ich für Armbänder von Apple oder Nike ausgeben. Oder weniger für nicht-lizenzierte Armbänder.

Ich bin mit dem Sport Loop von Apple bisher sehr zufrieden. Er ist aus einem Nylon-Gewebe, ist stufenlos an mein eher schmales Handgelenk mit 18 Zentimetern Umfang anpassbar und hält mit Klettverschluss zusammen.

Besonders wichtig war mir, dass ich mein Armband reinigen kann. Ich möchte mir keine Gedanken machen müssen, wie sich darin über Monate mehr und mehr Schweiss ansammelt. Deshalb spüle ich den Sport Loop ab und zu unter fliessendem Wasser mit etwas Seife ab. Resistenter gegen Schweiss wären Armbänder aus Plastik, aber die sind einfach nicht mein Fall.

Von Apple gibt es sogar eine eigene Anleitung, wie die Armbänder zu reinigen sind. Das habe ich erst nachher gelesen, aber zum Glück habe ich auch in Unkenntnis dieser Hilfestellung nicht viel falsch gemacht.

5. Das Handy ist am Handgelenk dabei

Natürlich ist Apple nicht die einzige Smartwatch, die LTE-fähig ist und mir einige Funktionen eines Smartphones am Handgelenk liefert. Samsung und Huawei haben ebenfalls Modelle im Sortiment, seit Kurzem spielt auch Google mit der Pixel Watch mit. Von Garmin gibt es die Forerunner 945 mit LTE-Funktion.

Mit meiner Venu 2 von Garmin hatte ich beim Sport bisher immer das iPhone dabei, in einer dieser Oberarmtaschen verstaut. Irgendwann hatte ich mich daran gewöhnt. Mit der Apple Watch kann ich das iPhone zu Hause liegen lassen – das fühlt sich erstaunlich befreiend an. Ich weiss, dass ich unterwegs auch ohne Handy erreichbar bin.

Damit aber nicht jede Teams-Benachrichtigung oder jeder Newsletter im E-Mail-Postfach meine Uhr vibrieren lässt, habe ich mir einen entsprechenden Fokus-Modus konfiguriert. Jetzt dürfen mich beim Laufen nur noch meine Frau oder mein Chef stören. Je nachdem, ob ich in der Freizeit laufe oder die Apple Watch zu Testzwecken ausführe.

Fazit: Mit WatchOS 9.0 verringert Apple den Abstand zur Konkurrenz

Vor WatchOS 9.0 hätte ich die Apple Watch nicht ernsthaft als Laufpartnerin in Erwägung gezogen. Obwohl ich nicht sonderlich ambitioniert bin, sehe ich trotzdem gern ein paar Leistungsdaten und versuche, diese zu verbessern. Da hinkte die Apple Watch der sportlicheren Konkurrenz lange hinterher. Jetzt aber hat sie zum Aufholen angesetzt, auch wenn zum Überholen noch einiges fehlt.

Eine Garmin-Uhr ist rein für den Sport sicher weiterhin die klar bessere Wahl. Aber die Apple Watch überkompensiert die schwächere Performance auf diesem Gebiet im Alltag. Sie ist annähernd perfekt ins Apple-Universum integriert. Statt iPhone weckt mich neu die Watch durch sanftes Klopfen aufs Handgelenk, ich steuere meine Podcasts neu über die Watch und benutze Siri zum Diktieren von Nachrichten. Das iPhone selbst bleibt viel häufiger in der Tasche.

Mein Vorurteil, dass die Apple Watch als Uhr für den Sport wenig taugt, hat sich nach dem Test deutlich abgeschwächt. Für meine Bedürfnisse reichen ihre Fähigkeiten völlig aus. Ich bin der lebende Beweis, dass – zumindest bei mir – die Produktstrategie von Apple funktioniert: Sie wollen gar nicht in jedem Segment das beste Gerät für jeden Spezialfall liefern, sondern einfach nur ein sehr gutes, das dafür aber perfekt ins Apple-Universum passt.

Titelfoto: Martin Jungfer

44 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Journalist seit 1997. Stationen in Franken, am Bodensee, in Obwalden und Nidwalden sowie in Zürich. Familienvater seit 2014. Experte für redaktionelle Organisation und Motivation. Thematische Schwerpunkte bei Nachhaltigkeit, Werkzeugen fürs Homeoffice, schönen Sachen im Haushalt, kreativen Spielzeugen und Sportartikeln. 


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar