Weshalb fehlt in Büchern die letzte Seitenzahl?
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Weshalb fehlt in Büchern die letzte Seitenzahl?

Seiten sind zu nummerieren. Das gilt für die Bachelorarbeit genauso wie für Belletristik. Fast, denn die letzte Seite scheint bei Büchern von dieser Regel ausgenommen zu sein. Warum?

Gerade habe ich «Unterwegs» (Originaltitel «On the Road») von Jack Kerouac fertig gelesen. Ein Buch über Rausch, Frauen, Freundschaft, Jazz und im weiteren Sinne künstlerische Befreiung. Eine wunderschöne Geschichte der sogenannten Beat Generation – eine literarische Strömung in den USA in den 50ern – auf 379 Seiten. Halt., stimmt nicht. 380 Seiten. Aber die letzte ist nicht nummeriert. Wie so oft. Aber weshalb?

Ist Gutenberg schuld?

Diese Frage habe ich mir schon oft gestellt. Vielleicht ging Gutenberg beim allerersten Buchdruck die Tinte genau vor der letzten Seitenzahl aus. Zur Ehrung seiner Erfindung wird bis heute auf die Praktik verzichtet. Oder werden die kognitiven Fähigkeiten der Leser von den Verlagen so tief eingeschätzt, dass sie ihnen verdeutlichen wollen, dass das Buch auf der Seite ohne Zahl zu Ende ist? Oder vielleicht ist doch einfach Bill Gates schuld. Wilde Theorien habe ich genug, zu einem einleuchtenden Schluss aber bin ich nie gekommen.

Vor allem, weil längst nicht bei allen Büchern die letzte Seitenzahl fehlt. Es kann also keine normative Praktik sein. Liegt die Entscheidung vielleicht bei den Verlagen? Nein. Ich habe mir zwei Bücher des Knaur-Verlags angeschaut. Das eine ist bis zum Ende paginiert, das andere nicht. Es herrscht klare innerverlagliche Uneinigkeit. Auch bei Alter, Veröffentlichung und Gattung des Buches kann ich bei meiner Auswahl keine Regelmässigkeit feststellen. Was ich aber feststelle: Nur deutsche Bücher sind in der Fusszeile nummeriert. Bei englischen und französischen Ausgaben ist die Seitenzahl in der Kopfleiste zu finden. Und zwar bis zur letzten Seite.

Das erklärt aber noch immer nicht, weshalb in der deutschen Sprache auf eine durchgehende Paginierung verzichtet wird. Sogar dein Freund und Helfer, Google, spuckt nicht viel zum Thema aus. Gerade einmal in einem einzigen Forum für Bücherfreunde hat sich ausser mir noch jemand diese Frage gestellt. Die ersten Beiträge liefern nicht viel Brauchbares. Dann schaltet sich Inka ein. Sie scheint die Lösung in einem Wikipedia-Artikel zum Thema Paginierung gefunden zu haben.

Aus Gründen der Ästhetik werden die Zahlen bei der Titelei und weiteren Seiten wie Inhaltsverzeichnis, Beginn neuer Kapitel oder Hauptabschnitte weggelassen. Weiterhin ist dieses in der Belletristik auf der letzten und deshalb meistens nicht vollständig mit Text gefüllten Seite des Buches üblich; dies gilt auch für die Seiten von Kapitelenden, wenn der Text nicht mehr als ein Drittel der Seite füllt.
Wikipedia

Thomas Meyer lüftet das Geheimnis

Inka und Wikipedia in Ehren, aber diese Hypothese muss ich verifizieren. Um das Mysterium ein für allemal zu klären, frage ich einen, der es wissen muss. Thomas Meyer, Autor des Bestsellerromans «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse», bestätigt: «Bei mehr als 5 Leerzeilen nach dem Text lässt man – bei Diogenes zumindest – unten die Seitenzahl weg. Immer. Nicht nur am Ende des Buches.»

Aus Gründen der Ästhetik. Keine Verschwörungstheorien, keine referenzielle Praktik, kein Affront gegen die Leserschaft. Eine Seitenzahl sieht einfach nicht schön aus, wenn oberhalb eine grosse Lücke klafft. Damit ist auch geklärt, weshalb fremdsprachige Werke mit Seitenzahl in der Kopfzeile stets bis zum Ende durchnummeriert sind. Die einfachsten Erklärungen sind meist die schlüssigsten, wenn auch nicht die spannendsten. Immerhin gibt’s ein paar Rebellen, die sich dem Ästhetik-Grundsatz nicht verschreiben.

Paulo Coelho und Diogenes sind pro Ästhetik, Michael Tsokos und Knaur nicht.
Paulo Coelho und Diogenes sind pro Ästhetik, Michael Tsokos und Knaur nicht.

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Meinen Horizont erweitern: So einfach lässt sich mein Leben zusammenfassen. Ich liebe es, neue Menschen, Gedanken und Lebenswelten kennenzulernen,. Journalistische Abenteuer lauern überall; ob beim Reisen, Lesen, Kochen, Filme schauen oder Heimwerken.


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