Das rechte ist Schrott, das linke ganz gut
Produkttest

Das rechte ist Schrott, das linke ganz gut

Michael Restin
15.12.2019

Zwei smarte Veloschlösser mit Alarmsystem, die sich nur via App bedienen lassen. Zweimal das «Abus SmartX 770A». Eines davon bringt mich zum Verzweifeln, das andere funktioniert einwandfrei.

Manche Dinge haben sich so sehr bewährt, dass es sich komisch anfühlt, auf sie zu verzichten. Schlüssel für Schlösser zum Beispiel. Beim «Abus 770A SmartX» brauchst du keinen, dafür geht ohne Handy nichts. Das ist einerseits interessant, andererseits riskant. Wenn es nicht funktioniert, stehst du dumm da. Und die Sterne stehen nicht günstig für das Schloss, es finden sich viele negative Bewertungen. Nicht nur bei uns. Ist dieses teure Stück Stahl wirklich so schlecht, obwohl es smart sein soll? Die erste Antwort lautet: leider ja. Die zweite: Stimmt nicht mehr.

Die Ausgangslage

«Perfect for E-Bike» steht auf der Verpackung. Gleich drei Gründe sprechen dafür, dass das SmartX vor allem die Fahrerinnen und Fahrer hochpreisiger E-Bikes anspricht. Erstens ist es ein Prügel von einem Bügel, der mit zwei Kilogramm Gewicht und Abus' höchster hauseigener Sicherheitsstufe 15 daherkommt. Zweitens ist das Schloss so teuer, dass sich die Anschaffung für ein simples Alltagsbike kaum lohnt. Und drittens hat es selbst einen Akku verbaut. Ohne Strom geht beim Abus 770A nichts. Ist dein Handy leer, hast du ein Problem – denn öffnen lässt sich das Bügelschloss nur über die App.

Lockpicking-Versuche sind damit ausgeschlossen. Ausserdem hat es eine eingebaute Alarmfunktion, die potenzielle Diebe vertreiben soll, wenn sie sich daran zu schaffen machen. Diese Alarmfunktion kenne ich schon vom Abus Bordo Alarm 6000A. Ist sie aktiv, gibt das Schloss zunächst fünf Warntöne ab, wenn es eine Bewegung registriert. Wird das Schloss weiter bewegt, geht danach der Hauptalarm los. Das hat bei meinem Test gelegentlich für etwas Stress beim Aufschliessen gesorgt, denn das Bordo Alarm hat noch einen guten alten Schlüssel. Und um den verwenden zu können, musst du das Schloss in der Regel bewegen. Die elegante Lösung, es ganz ohne (Vor-)Alarm öffnen zu können, ist naheliegend.

Diesen Gedanken hat Abus beim 770A SmartX nicht nur aufgegriffen, sondern konsequent durchgezogen. Weg mit dem Schlüssel. Wenn das Zusammenspiel mit der SmartX-App (iOS / Android) funktioniert, dann musst du nur den Schiebeschalter am Schloss betätigen, um es zu öffnen. Funktioniert das nicht, drehst du mit an Sicherheitslevel 15 grenzender Wahrscheinlichkeit durch. Der geballte Frust findet sich in den Kommentaren zur App. Auszüge: «Gibt's auch -1000 Punkte, das Schloss ist zu und geht nicht auf» – «Ich will mein Geld zurück!» – «Man muss qausi immer sein Telefon rausholen und ggf. Neustarten, es ist eine Qual.» Da es ein ein Software-Update und gelegentlich auch positive Bewertungen gibt, bin ich trotzdem guter Dinge.

Über die Keycard registrierst du das Schloss in der App.
Über die Keycard registrierst du das Schloss in der App.

Der erste Versuch

Mein erster Eindruck ist positiv. Die App ist aufgeräumt und führt dich durch alle nötigen Schritte, um eines oder mehrere Schlösser einzurichten und zu personalisieren. Du kannst anderen Personen Zugriff auf dein Schloss gewähren, wieder entziehen und die Keyless-Funktion justieren. So lässt sich beispielsweise definieren, wie nahe du deinem Schloss kommen musst, bevor es sich bei bestehender Verbindung entsperren lässt. Wenn du der App erlaubst, im Hintergrund aktiv zu sein, kannst du sie schliessen und dein Handy in jedem Fall in der Tasche lassen, solange Bluetooth und GPS aktiv sind. Den letzten Ort, an dem du eine Verbindung zum Schloss hattest, zeigt die App dir ebenfalls an. Tracken lässt es sich nicht.

In der App siehst du Standort- und Status-Infos. Links hat mich der Akkustand meines Handys leicht nervös gemacht.
In der App siehst du Standort- und Status-Infos. Links hat mich der Akkustand meines Handys leicht nervös gemacht.

In den ersten Tagen mit dem Abus 770A SmartX zweifle ich zunächst an mir. Teilweise funktioniert alles so, wie ich mir das vorstelle. Dann wieder gar nichts. Mache ich irgendwas falsch? Hat die App alle Rechte? Wieso muss ich mein Velo auf den Schultern aus der Garage tragen, anstatt einfach das Schloss öffnen zu können? Irgendwann traue ich mich nicht mehr, es zu benutzen. Ich habe so ziemlich jedes Problem, über das sich andere Schlossbesitzer auch beschweren. Es lässt sich nur unzuverlässig entsperren. Der Alarm macht, was er will. Oft lässt er sich nicht scharf schalten. Dazu klafft ein mehrere Millimeter breiter Spalt im Kunststoffgehäuse rund um den Schiebeschalter. Das kann alles nicht sein, schon gar nicht in der Preisklasse.

Ich wende mich per Mail an den Hersteller, berichte von meinem Test und beschreibe die Probleme mit dem Schloss. Maximal fünf Minuten später habe ich Nicolas von Abus am Telefon. Das Thema ist für die Firma verständlicherweise unangenehm. Fast überall, wo sich Beschwerden zum Schloss finden, findet sich auch eine Entschuldigung mit der Bitte um Kontaktaufnahme. Offensichtlich sind Schlösser im Umlauf, die niemals in Kundenhände gehört hätten. Der unschöne Spalt ist ein sichtbares Zeichen dafür. Aber auch im Inneren stimmt etwas ganz und gar nicht. Da es sich nicht um ein Softwareproblem handelt, vereinbaren wir, dass ich ein neues Testschloss zugeschickt bekomme.

Finde den Fehler.
Finde den Fehler.

Der zweite Versuch

Mit dem Schloss der zweiten Chance bin ich mittlerweile seit gut zwei Wochen unterwegs. Es funktioniert wie versprochen. Alles andere wäre auch eine Enttäuschung zu viel gewesen. Was heisst das jetzt? Was überzeugt, was nicht?

Inzwischen vertraue ich der Technik. Und bei der Dezemberkälte ist es angenehm, nicht einmal die Handschuhe ausziehen zu müssen, um das Schloss zu bedienen. Einmal den Schiebeschalter betätigen, dann verbindet sich das Abus 770A mit dem Handy und lässt sich nach zwei bis drei Sekunden öffnen. Das geht nicht viel schneller, als einen Schlüssel zu zücken, ist aber sehr bequem.

Geschlossen befindet sich das Schloss zunächst im Transportmodus. Um den Überwachungsmodus zu aktivieren, musst du innerhalb von fünf Sekunden nach dem Schliessen erneut den Schiebeschalter betätigen und halten, bis du zwei hohe Signaltöne hörst. Sobald du nicht mehr mit dem Schloss verbunden bist, ist der Alarm scharf gestellt und reagiert auf Erschütterungen.

Das 770A SmartX ist mit 23 Zentimeter oder 30 Zentimeter Bügellänge erhältlich. Das ist die kürzere Variante.
Das 770A SmartX ist mit 23 Zentimeter oder 30 Zentimeter Bügellänge erhältlich. Das ist die kürzere Variante.

What the piiiiiep!?

Wenn ich eine Sache am Abus 770A ändern dürfte, dann würde ich es stummschalten. Ich mag die ständigen Signaltöne nicht und will keine Aufmerksamkeit erregen, wenn ich mein Veloschloss öffne. Das SmartX piepst immer. Einmal öffnen und schliessen hört sich so an: Den Schalter schieben bis es piepst. Warten, dass die App sich meldet und die Verbindung steht (mein Handy kann ich zum Glück stummschalten). Schloss öffnen: Doppelpieps. Die App surrt, weil das Schloss geöffnet wurde. Schloss wieder schliessen: Doppelpieps in umgekehrter Tonfolge. Die App surrt, weil das Schloss geschlossen wurde. Schiebeschalter betätigen, bis ein schriller Doppelpieps den Überwachungsmodus bestätigt. Toll wäre, wenn ein paar kleine LEDs den jeweiligen Status ganz ohne Lärm anzeigen könnten. Der Alarm ist eine gute Sache. Auf alle anderen Töne könnte ich verzichten.

Vorzüge und Fallen

Das schlüssellose Leben kann, vom Lärm abgesehen, praktisch sein. Bis zu acht weiteren Personen kannst du temporär oder dauerhaft Zugriff auf dein Schloss gewähren. Der Alarm sorgt in Kombination mit dem gehärteten Stahlbügel für maximale Sicherheit. In der App hast du alles im Blick, unter anderem auch den Akkustand deines Schlosses. Zu dessen Laufzeit gibt es in der Bedienungsanleitung keine Angaben. Das erste Schloss habe ich am 10. September voll aufgeladen, momentan ist der angezeigte Ladestand bei 80 Prozent. Wenn es Zeit zum Nachladen wird, wirst du in der App gewarnt. Der Schloss-Akku ist jedoch nicht der limitierende Faktor. Im Alltag musst du vor allem den Ladezustand deines Handys im Blick behalten. Und dessen Abstand zu deinem Schloss.

Eine mögliches Problem fiel mir auf, als ich auf dem Weg in die Küche war und sich mein Handy auf einmal mit dem Schloss verbunden hat. Das Schloss war am Velo. Mein Velo stand im Velokeller eine Etage tiefer. Der Verbindungsaufbau funktioniert ungefähr auf eine Entfernung von zwei bis fünf Metern. Sobald eine Verbindung besteht, lässt sich das Schloss öffnen. Wenn du im Wohnzimmer, Büro oder Café sitzt und dein Bike in unmittelbarer Nähe abgestellt ist, kann das der Fall sein. Bist du nahe dran, solltest du im Zweifel doch besser die Bluetooth-Verbindung kappen oder die Verbindung nur auf ganz kurze Distanz zulassen.

Wie nah muss dein Handy am Schloss sein, damit es sich entsperren lässt? Hier kannst du es einstellen.
Wie nah muss dein Handy am Schloss sein, damit es sich entsperren lässt? Hier kannst du es einstellen.

Fazit

Das Schloss ist innovativ und besser als sein Ruf. Inzwischen bekommst du ein Produkt, das hält, was es verspricht. Ob das gut oder schlecht ist, muss jeder für sich entscheiden. Die Kombination aus Stahlbügel und Alarmfunktion macht es sehr sicher, die App ist übersichtlich und die Bedienung einfach. Dafür bringt das Schloss einiges auf die Waage und du bist voll auf dein Handy angewiesen. Das mag zukunftsweisend sein, bietet mir im Alltag aber noch nicht genug Vorteile. Das Risiko, mit leerem Handyakku vor dem Schloss zu stehen und nicht an mein Velo zu kommen, ist mir zu gross. Da nehme ich lieber noch ein paar Jahre lang einen Schlüssel mit.

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Sportwissenschaftler, Hochleistungspapi und Homeofficer im Dienste Ihrer Majestät der Schildkröte.


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