
Kritik
«Void Sails» im Test: Ein gelungenes Indie-Spiel, das genau meinen Nerv trifft
von Cassie Mammone
«Date Everything!» zeigt, wie spassig eine Dating-Sandbox sein kann. Das Spiel nimmt sich durch die Liebschaften zu Haushaltsgegenständen nicht allzu ernst, erzählt dennoch interessante Geschichten.
In «Date Everything!» ist der Name Programm. Hundert (!) unterschiedliche Haushaltsgegenstände stehen für meine Flirtversuche Spalier. Das ungewöhnliche Konzept hat schon beim ersten Trailer einen Nerv bei mir getroffen. Der Sandbox-Charakter, die sympathischen Charaktere und die interessanten Mini-Geschichten machen aus der Schnapsidee eine wunderbare romantische Visual Novel.
Bevor ich mich den hundert potenziellen Liebschaften stelle, beginne ich in «Date Everything!» als neue Angestellte im Kundensupport eines Grossunternehmens. Dabei läuft während meines ersten Arbeitstages so einiges schief. Als Resultat davon werde ich erstmal «beurlaubt». So bin ich dazu verdammt, meine Tage orientierungslos zuhause zu verbringen.
Da kommt es gelegen, dass mir eine geheimnisvolle Person ein Paket zustellt, in dem sich die sogenannten «Dateviators» befinden. Das ist eine magische Brille, die alles um mich herum zum Leben erweckt. Als arbeitslose Stubenhockerin sind das in meinem Fall meine Haushaltsgegenstände. Die werden nicht nur lebendig, sondern richtig attraktiv.
Hier beginnt das eigentlich Spiel: Ich laufe durch mein Haus und aktiviere mithilfe meiner Dateviators die unterschiedlichsten Gegenstände. Indem ich mit ihnen rede, lerne ich sie besser kennen. Dabei wähle ich im Gespräch vorgegebene Antwortmöglichkeiten aus, die die Beziehung in eine positive oder negative Richtung lenken. Die Wirkung der Optionen ist meistens offensichtlich. Das Ziel dieser Begegnungen ist es, einen von drei Beziehungsstatus zu erreichen: Liebe, Freundschaft oder Hass.
Erreiche ich einen Status, steigt einer meiner S.P.E.C.S-Werte um fünf Punkte. Die Buchstaben stehen für Intelligenz (Smarts), Haltung (Poise), Empathie (Empathy), Charme und Frechheit (Sass). Höhere Werte schalten gewisse vorteilhafte Antwortmöglichkeiten frei. Zusätzlich sind die Statuswerte wichtig für das Endgame.
Erreiche ich nämlich einen bestimmten Beziehungsstatus mit einem Gegenstand, geben weitere Unterhaltungen mit diesem nichts her. Zumindest, bis ich ihn vermenschliche und damit zum Leben erwecke. Anfangs zeigen mir die Dateviators lediglich die «Seele» eines Gegenstandes. Weil ich ein Mensch bin, sehen die Gegenstände für mich menschlich aus. Die Erklärung ist zwar aus der Luft gegriffen, aber an der Motivation, die Gegenstände zu «realisieren», ändert das nichts. Damit das klappt – und ich ein gutes Ende in der Geschichte erreiche – benötige ich bestimmte Statuswerte.
Der Gameplay-Loop wird trotz geradliniger Herangehensweise nicht langweilig. Grund dafür sind die gut geschriebenen Dialoge sowie die unterhaltsame Erkundung, die immer wieder kleine Belohnungen bereithält.
Zu Beginn stehen mir nur ein paar Gegenstände fürs Dating zur Verfügung. Zum Beispiel bleibt mein Dachgeschoss verschlossen, bis ich den passenden Schlüssel dafür finde. Der befindet sich in einem geheimen Raum, auf den mich die Gegenstände in Gesprächen hinweisen. Das bringt mich dazu, mich in meinem Zuhause genau umzuschauen.
Manchmal sind neue Gegenstände hinter Interaktionen mit anderen Gegenständen versteckt. Mein Waschbecken denkt, es sei ein Mensch, der zum Waschbecken-Dasein verflucht wurde. Damit ich dem Vorfall nachgehen kann, muss ich die Detektivin des Hauses besser kennenlernen. Das ist die Lupe Maggie. Sie möchte von mir wiederum Hilfe bei ihrem eigenen Fall. Gerüchten zufolge gibt es einen Gegenstand in meinem Haus, der nicht aus echtem Silber besteht, sich aber als Original ausgibt. Also machen wir uns auf, die Fälschung zu stellen.
Am Ende lösen wir den Fall und Maggie hilft mir daraufhin beim Waschbecken-Vorfall. Den Erfolg zelebrieren wir mit einem romantischen Date und erreichen daraufhin den Love-Status.
Die Bandbreite meiner potenziellen Partnerinnen und Partner ist gross:
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass eine Dating-Sandbox mit hundert unterschiedlichen Charakteren so viel Tiefgang haben kann. Das Spiel hat mich mit seiner durchdachten Herangehensweise und charmanten Texte vom Gegenteil überzeugt.
Ausserdem finde ich es genial, wie das Entwicklungsstudio Sassy Chap Games Trigger-Warnungen einbaut. Manche Charaktere benutzen zum Beispiel eine stark sexualisierte Sprache. Andere Charaktere haben mit schwierigen Themen wie toxischen Beziehungen oder Traumata zu tun.
Treffe ich auf solche Charaktere, warnen mich meine Dateviators. Danach entscheide ich, ob ich die Geschichte des Gegenstands erleben möchte. Ist mir ein Thema zu viel, lasse ich den Gegenstand aus und wähle direkt aus, in welcher Beziehung wir zueinanderstehen. Dadurch verpasse ich die Geschichte meiner Mausefalle, weil ich auf Gespräche über Tierkadaver verzichten kann. Genau so muss eine Trigger-Warnung aussehen: Klar und deutlich formuliert. Und wenn ich auf sie eingehe, verpasse ich nichts vom Spiel, ausser einige Dialoge.
Nach ungefähr 20 Stunden kann ich einen Beziehungsstatus mit allen hundert Gegenständen erreichen. Damit sind die Voraussetzungen für eines der besseren Enden gelegt. Will ich alles im Spiel erleben, muss ich es mindestens dreimal durchspielen. Das heisst, dass ich mit allen Gegenständen jeweils einmal den Beziehungsstatus Liebe, Freundschaft oder Hass erreichen muss.
Die Gestaltung untermauert den positiven Gesamteindruck von «Date Everything!». Das Highlight ist die hochwertige und vollständige englische Synchronisierung. Unter den Synchronsprecherinnen und -sprechern befinden sich zahlreiche bekannte Namen wie Ben Starr («Final Fantasy XVI», «Clair Obscur: Expedition 33»), Troy Baker («The Last of Us», «Death Stranding») und beinahe der gesamte Cast der beliebten D&D-Webserie «Critical Role». Deswegen sind die Vertonung und die Texte lediglich auf Englisch verfügbar. Schade, aber bei einem so Wortwitz-lastigen Spiel nachvollziehbar.
Alle hundert Charaktere besitzen zudem eine eigene Hintergrundmusik. Der Sound meiner erlebnisfreudigen Kleiderbügel klingt locker und optimistisch. Die Klänge, wenn ich mit meinem Albtraum Nightmare rede, sind hingegen düster und von dramatischen Noten geprägt.
Auch technisch gibt es nichts zu meckern. Das Spiel läuft sowohl auf meinem PC als auch auf dem Steam Deck solide. Die gelegentlichen Ruckler beim Öffnen und Schliessen des Menüs kann ich verzeihen.
«Date Everything!» ist ab dem 17. Juni für Playstation 5, Xbox Series X/S, Nintendo Switch und PC erhältlich. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von Team17 für den PC über Steam zur Verfügung gestellt.
Von «Date Everything!» habe ich eine scherzhafte Dating-Simulation erwartet, die abseits ihres absurden Szenarios wenig zu bieten hat. Stattdessen habe ich ein Spiel mit Herz bekommen, das viele abwechslungsreiche und interessante Geschichten erzählt. Die Dating-Sandbox hält mich stets auf Trab und ich freue mich darauf, alle meine Haushaltsgegenstände besser kennenzulernen.
Wenn du humorvoll-romantisches Lesefutter für den Sommer brauchst, kann ich dir «Date Everything!» wärmstens empfehlen. Dank Trigger-Warnungen musst du dich auch nicht Geschichten stellen, die stark sexualisiert sind oder schwierige Themen behandeln. Die Texte sind gelungen vertont, was den geschliffenen Gesamteindruck untermauert.
Kritik zum Spiel habe ich keine. «Date Everything!» ist eine durch und durch charmante Visual Novel, die mich um ihren Finger gewickelt hat.
Worauf wartest du? Vielleicht wartet in der Küche, im Wohnzimmer oder im Bad bereits die grosse Liebe auf dich. Vielleicht aber auch dein nächster Erzfeind oder eine gute Freundin. So wie der Dildo in meinem Nachttisch, der mit mir keine romantische Beziehung eingehen will. Das nehme ich ihm nach unseren gemeinsamen Eskapaden doch ein wenig übel.
Pro
Meinen ersten Text über Videospiele habe ich mit acht Jahren geschrieben. Seitdem konnte ich nicht mehr damit aufhören. Die Zeit dazwischen verbringe ich mit meiner Liebe für 2D-Husbandos, Monster, meinen Krawallkatzen und Sport.