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Hintergrund

Sergej Lebedev und der erste sowjetische Computer

Kevin Hofer
2.7.2021

Computer aus der Sowjetunion? Waren das nicht alles Kopien von IBM? Nein. Der sowjetische Computerpionier Sergej Lebedev tüftelt unter widrigen Umständen in den frühen 1950ern den ersten digitalen Computer der Sowjetunion aus.

Kiew 1949. Genauer: Feofaniya. Ein vom 2. Weltkrieg stark gebeuteltes Kloster im Vorort der ukrainischen Hauptstadt. Arbeiter gehen ein und aus und setzen das Gebäude in Stand. Hier wollen Sergej Lebedev und sein Team den ersten digitalen Computer der Sowjetunion entwickeln.

Es ist erstaunlich, dass es Lebedev und Team unter diesen Umständen im November 1950 gelingt, einen Computer zu bauen und zum Laufen zu bringen.

Der Weg ins Kloster

In seiner Arbeit muss Lebedev lineare und nicht-lineare Differenzialgleichungen lösen. Er denkt deshalb über mechanische Methoden der Berechnung nach. Er wird unter anderem von mechanischen analogen Rechnern, wie sie Vannevar Bush entwickelt hat, inspiriert. In den 1930ern und 1940ern geht die sowjetische Forschung in Richtung analoger Geräte.

1943 geht Lebedev nach Moskau und wird Leiter des neuen Departements für die Automatisierung elektrischer Systeme am Elektroingenieurs-Institut. 1946 wird er zum Direktor der ukrainischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Hier beschäftigt er sich vermehrt mit der Problematik der automatischen Berechnung.

1949 wächst das Labor auf 20 Mitarbeitende an. Die Vorarbeiten für den Bau sind abgeschlossen. Jetzt steht Lebedev jedoch vor einem Problem: Wo im vom Krieg zerstörten Kiew soll er die Maschine bauen?

Im Kloster

Kiew hat unter dem Krieg stark gelitten. Vor allem an Unterkünften und Bauland fehlt es. Hinzu kommt, dass in den 1940ern nur wenige Leute das potenzial digitaler Computer erkennen. Glücklicherweise erklärt sich die ukrainische Akademie der Wissenschaft dazu bereit, das Kloster in Feofaniia zur Verfügung zu stellen.

Nebst Wärme, Distanz und Strassen muss Lebedev eine weitere Herausforderungen meistern. Das Kloster ist zwar gross, jedoch keiner der Räume gross genug für die «kleine» elektronische Rechenmaschine. Die braucht nämlich gut und gerne 50 Quadratmeter Platz – etwa 1,3 Mal so gross wie ein Boxring. Deshalb müssen die Räume des Klosters vergrössert werden.

Boris Malinovsky, Experte über Computer aus der Sowjetunion, spricht über MESM und Lebedev.

Als mit dem Bau endlich begonnen werden kann, ergeben sich weitere Probleme. Beispielsweise geben lose Kabel Spannung an das Gehäuse der Maschine ab. Wenn die Mitarbeitenden nicht vorsichtig sind, trifft sie ein 250-Volt-Schock. Deshalb muss eine spezielle Isolation entwickelt werden.

Ein weiteres Problem sind die rund 6000 Vakuumröhren der MESM. Aufgrund des schwierigen Herstellungsprozesses ist jede Röhre einzigartig. Da sie jedoch parallel laufen, müssten mindestens immer zwei Röhren dieselben Eigenschaften aufweisen. Deshalb muss das Team von Lebedev alle Röhren testen und entsprechend in Paare aufteilen. Um ein passendes Paar zu finden, müssen sie unter Umständen tausende Röhren testen.

Um die Probleme zu lösen, erwartet Lebedev von seinen Mitarbeitenden, dass sie auch mal am Abend arbeiten. Es kommt häufig vor, dass er selbst erst um 3 Uhr morgens Feierabend macht.

Trotz der harten Arbeit geniessen die Mitarbeitenden und Lebedev ihr Leben während dieser Zeit. Sie diskutieren Probleme auf Spaziergängen im nahegelegenen Wald oder am See. Er selbst soll sogar einen Lieblings-Baumstrunk haben, auf dem er viel sitzt und nachdenkt. Dabei macht er Notizen, aber nicht immer in sein Notizbuch, sondern seine Zigarettenschachtel. Lebedev raucht viel.

Am 6. November 1950 ist es dann aber so weit: MESM löst ihre erste, einfache Rechnung: Was gibt 2 x 2? Glücklicherweise gibt die Maschine fast immer «4» als Antwort. 1951 ist MESM im Vollzeiteinsatz. Ab 1952 auch für streng geheime Berechnungen für Raketen und Nuklearwaffen. Bis 1957 läuft MESM und wird dann ausser Betrieb genommen. Sie gilt heute als erste funktionsfähige elektronische Rechenmaschine auf dem europäischen Festland.

MESM ist umso mehr eine riesige Errungenschaft, wenn man bedenkt, dass nur etwa 20 Personen an deren Entwicklung beteiligt sind. Der US-amerikanische ENIAC war zwar grösser und leistungsfähiger, dafür arbeiteten auch über 200 Personen an ihm.

Lebedev ist zu diesem Zeitpunkt bereits mit anderen Projekten beschäftigt. BESM-2 – Schnell arbeitende Elektronen-Rechenmaschine 2 – ist 1958 der erste seriengefertigte Computer Lebedevs.

Chaos

Auch in Bezug auf die Software hinkt die Sowjetunion der USA hinterher. In den USA sorgen Computerprogramme dafür, dass die Rechner auch von Laien bedient werden können. Die Programmierung bleibt in der sozialistischen Räterepublik bis in die späten 1960er Angelegenheit der Nutzenden.

Unter sowjetischen Computerexperten herrscht deshalb ab Ende der 1960er Jahre der Konsens, dass eine eigene Reihe kompatibler Computer nötig ist. Also solche Computer die miteinander kompatibel sind und mit einer einheitlichen Sprache kommunizieren. Lebedev tanzt hier aus der Reihe. Er bezweifelt die technische Realisierbarkeit und den Nutzen einer solchen Computerreihe.

Dennoch setzen sich die Befürworter der kompatiblen Computer durch. Mithilfe der Spionagetätigkeit der DDR gelingt es, das IBM System/360 zu kopieren. Trotz dieser Kopien gelingt es der Sowjetunion nicht, den technologischen Rückstand auf den Westen, allen voran den USA, bis zu ihrem Zusammenbruch aufzuholen.

Lebedew besteht weiter der Entwicklung von Strukturen für parallele Berechnungen und der Intensivierung von Forschungen über Parallelität in Berechnungen. Er sagt auch voraus, dass Supercomputern mit hoher Leistung künftig wichtig werden. Seine eigene Serie von solchen Maschinen nennt er ELBRUS, so wie der höchste Gipfel Europas, den er mit 35 bestiegen hat.

Seine Supercomputer bekommt er jedoch nicht mehr zu Gesicht. Er stirbt am 3. Juli 1974 nach langer Krankheit 71-jährig in Moskau. Gesamthaft hat er mit Teams über 18 Grossrechner in etwas mehr als 20 Jahren entwickelt. 1996 wird er posthum mit dem Computer Pioneer Award ausgezeichnet. Eine Auszeichnung, die ihm selbst wohl egal gewesen wäre.

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


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