Stativ für unter 20 Franken: Okay oder zu billig?
Produkttest

Stativ für unter 20 Franken: Okay oder zu billig?

David Lee
19.1.2024

Ein Stativ, das so billig ist, kann nicht gut sein. Oder doch? Ich vergleiche das Rollei Compact Traveler Star S1 mit meinem etwa zehnmal so teuren Manfrotto-Stativ.

Zum Testzeitpunkt Mitte Januar kostet das Rollei-Stativ 16 Franken. In Deutschland ist es mit ungefähr 25 Euro etwas mehr, aber immer noch wenig. Ist es überhaupt möglich, dass ein so günstiges Stativ etwas taugt? Ich bezweifle es – doch die zahlreichen User-Wertungen sind überwiegend positiv. Das weckt meine Neugier.

Rollei Compact Traveler Star S1 (Metall)
15,89 EUR

Rollei Compact Traveler Star S1

Metall

Rollei Compact Traveler Star S1 (Metall)
Stativ
15,89 EUR

Rollei Compact Traveler Star S1

Metall

Ich vergleiche das Stativ in diesem Test mit meinem Manfrotto Befree. Das ist ein gewöhnliches Reisestativ. Solide Qualität, aber kein Luxusprodukt. Mittlerweile ist es nicht mehr erhältlich, aber vor einigen Jahren kostete es 169 Franken.

Manfrotto Befree (Metall)

Manfrotto Befree

Metall

Manfrotto Befree (Metall)
Stativ

Manfrotto Befree

Metall

Eine mögliche Alternative zum nicht mehr erhältlichen Befree ist das Befree Advanced.

Leichtgewicht

Was sofort auffällt: Das Rollei-Reisestativ ist leicht. 550 Gramm zeigt die Küchenwaage, die Specs geben 570 Gramm an – das ist wahrscheinlich das Gesamtgewicht mit Stativplatte und Hülle. Das geringe Gewicht kann sowohl ein Vorteil als auch ein Nachteil sein. Unterwegs möchtest du nicht viel schleppen, andererseits sollte ein Stativ auch etwas aushalten und nicht bei jeder Windböe gleich davonsegeln.

Zum Vergleich: Das Manfrotto Befree wiegt etwa 1450 Gramm. Ohne Hülle und Wechselplatte.

Schnell bereit

Die Konstruktion des Rollei-Stativs ist simpel und praktisch. Dementsprechend schnell ist es aufgestellt: Teleskop-Beine auseinanderziehen und ausfahren, fertig. Die Beine können dreistufig ausgefahren werden. Das ergibt vier verschiedene Höhen. Diese lassen sich dann mit der verstellbaren Mittelsäule genau anpassen. Die Höhe vom Boden bis zur Stativplatte reicht von 39 bis 120 Zentimeter.

Beim Manfrotto Befree muss ich die drei Beine zuerst um 180 Grad drehen, bevor ich sie ausfahren kann. Anschliessend muss ich noch drei kleine Hebel in eine andere Position drehen. Beim Einpacken dasselbe in umgekehrter Reihenfolge.

Der Mechanismus bei Manfrotto ist etwas komplizierter, bietet aber mehr Flexibilität.
Der Mechanismus bei Manfrotto ist etwas komplizierter, bietet aber mehr Flexibilität.
Quelle: David Lee

Diese Hebel haben den Vorteil, dass ich das Manfrotto-Stativ in zwei verschiedenen Winkeln aufstellen kann. Dadurch ist der Höhenbereich grösser: Er reicht von knapp 36 Zentimetern bis zu 140 Zentimeter. Zusammengeklappt sind beide Stative etwa 40 Zentimeter lang.

Die Stativplatte

Die Stativplatte ist die Halterung, die an die Kamera geschraubt wird und dann im Stativ einschnappt. Die Originalplatte des Manfrotto-Stativs ruht in Frieden auf dem Grund des Greifensees. Daher habe ich mir die Ersatzplatte bestellt. Das ist auch ein Unterschied zum Billigstativ: Es gibt Ersatzteile. Und in meinem Fall ist das Ersatzteil sogar hochwertiger als das Originalteil. Es kostet auch mehr als das ganze Rollei-Stativ zum gegenwärtigen Preis.

Dieses Teil hat die Verarbeitungsqualität eines Schweizer Armeesackmessers. Das geht nicht kaputt. Beim kleinen, dünnen Plastikteilchen des Rollei-Stativs bin ich mir nicht so sicher. Ich halte es sogar für ziemlich wahrscheinlich, dass dieses Ding bei regelmässigem Gebrauch irgendwann zerbricht oder aus der Halterung reisst.

Beide Platten haben einen Handgriff zum Drehen der Schraube. Doch nur beim Manfrotto-Stativ bleibt dieser Griff an Ort und Stelle, wenn ich ihn nach oben klappe. Der Rollei-Griff fällt wieder nach unten und verhindert, dass ich die Platte ins Stativ stecken kann. Je nach Drehung kann ich ihn oben reindrücken, dafür habe ich dann Mühe, das Ding wieder herauszukriegen. Es nervt, weil es eine einfache Sache unnötig kompliziert macht.

Der Handgriff und die ganze Platte fühlen sich bei Manfrotto zudem so befriedigend an, dass ich das Ding sogar als Fidget Spinner missbrauche.

Werkzeug vs. «Gfätterlizüüg»

Das Billigstativ fühlt sich klapprig und wacklig an, doch es erfüllt seinen Zweck. Ich kann die Kamera montieren. Sie hält. Sie hält auch schräg und im Hochformat. Aber ganz wohl ist mir nicht dabei. Wie lange das wohl gut geht? Gleich beim ersten Outdoor-Einsatz springt eines der drei Beine aus dem Gelenk. Es lässt sich zwar wieder hineindrücken und funktioniert anschliessend wie zuvor. Zerstört ist aber mein Vertrauen in die Langlebigkeit des Stativs.

Die Testkamera ist mit Objektiv 1,2 Kilogramm schwer. Laut Spezifikationen soll das Stativ bis zu 2 Kilo bewältigen. Beim Manfrotto Befree sind es 4 Kilogramm.

Die Beine des Compact Traveler Star S1 sind vermutlich aus Aluminium, jedenfalls wird das Rollei-Stativ mit dem Prädikat «Metall» beworben. Doch die Seitenverstrebungen sind aus zerbrechlich wirkendem Kunststoff. Auch der Stativkopf und sogar die Scharniere bestehen zum grössten Teil aus Kunststoff. Beim Manfrotto-Stativ ist das anders. Dieses fühlt sich an wie ein Werkzeug. Das Rollei-Stativ dagegen wie ein Spielzeug zum Herumfrickeln – oder wie mein Grossvater gesagt hätte: Gfätterlizüüg.

Die Seitenverstrebungen und Verschlüsse sind aus Plastik.
Die Seitenverstrebungen und Verschlüsse sind aus Plastik.
Quelle: David Lee
Das Manfrotto-Stativ kommt ohne Verstrebungen aus. Denn die Gelenke sind sehr stabil.
Das Manfrotto-Stativ kommt ohne Verstrebungen aus. Denn die Gelenke sind sehr stabil.
Quelle: David Lee

Features, die nur das Billigstativ hat

Das Rollei Compact Traveler Star S1 hat eine Wasserwaage. Mein Manfrotto-Stativ hat das nicht. Das brauche ich aber auch nicht. Erstens zeigt die Wasserwaage nur die Ausrichtung der drei Beine an. Der Stativkopf mitsamt Kamera kann trotzdem schräg sein. Zweitens haben heutige Kameras eine Wasserwaage eingebaut und können dir im Live-Bild anzeigen, ob du sie gerade hältst.

Das grüne Ding ist eine Wasserwaage. Ich brauche sie nicht.
Das grüne Ding ist eine Wasserwaage. Ich brauche sie nicht.
Quelle: David Lee

Das Rollei-Stativ hat zudem einen Schwenkarm. Dem Manfrotto-Stativ fehlt dieser. Damit könnte ich in Videos einen stabilisierten Kameraschwenk machen. Theoretisch. Praktisch allerdings habe ich so meine liebe Mühe damit. Der Schwenkmechanismus geht relativ streng und weil das Stativ so leicht ist, muss ich es mit einer Hand festhalten, damit es nicht mitrutscht. Für Videos im Zoom-Bereich ist das Stativ zudem schlicht zu wacklig.

Das Manfrotto Befree live hat ebenfalls einen Schwenkarm und dürfte wesentlich stabiler sein. Getestet habe ich dies aber nicht.

Fazit: Besser als nichts

Das Rollei-Teil hält die Kamera. Es ist ein Stativ. Und somit besser als kein Stativ. Auf Reisen, wo es stark beansprucht wird, würde ich es trotz des geringen Gewichts nicht mitnehmen. Zu gross wäre mir die Gefahr, dass es im entscheidenden Moment kaputtgeht. Stattdessen sehe ich das Modell eher im Indoor-Bereich, wo es nicht viel aushalten muss.

Das Billigstativ ist ein möglicher Einstieg, wenn du nicht genau weisst, was du brauchst – damit kannst du erste Erfahrungen sammeln. Hast du eine klare Vorstellung deiner Bedürfnisse, dann kauf lieber Qualität. Stative veralten kaum, ein gutes Stativ kannst du viele Jahre verwenden. Angesichts dessen finde ich es nicht klug, hier ein paar Franken zu sparen. Ich bereue es überhaupt nicht, mehr bezahlt und dafür ein robustes, vertrauenswürdiges Stativ zu haben.

25 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

Kommentare

Avatar